Denn so wie der Rocken wächst können wir ihn doch nicht essen. Er muß gemähet, gedroschen, ge- mahlen, das daraus verfertigte Meel mit Wasser vermischet, und durch das Feuer gar, und also zu unserer Nahrung geschickt gemacht werden.
Mich deucht diese Arbeit ist nicht weniger müh- sam, als diejenige, welche zur Bestellung des Ackers erfordert wird. Gibt demnach diese uns Fug und Recht zu schliessen, daß unsere ersten Eltern in dem Stande ihrer Vollkommenheit davon frey gewesen: So sehe ich nicht, was mich hindern solte, zu sagen, wenn wir in diesem beglückten Zustande geblieben, so würden wir auch von der Nothmendigkeit, das Korn einzusammlen, zu dreschen, zu mahlen, und zu unserm Gebrauch geschickt zu machen, nichts ge- wust haben. Und folglich hätte der Hr. Prof. eben so grosse Ursache aus der mühsamen Einsammlung, und Zubereitung des Korns zu schliessen, im Stan- de der Unschuld würde das Meel, entweder gantz fertig vom Himmel gefallen seyn, oder wie Sand auf der Erden gelegen haben, als Er hat, zu muth- massen, das Korn würde im Stande der Unschuld ohne alle Bemühung des Menschen gewachsen seyn. Aus seinem Satze folget mehr, als dieses. Ja er leydet nicht einmahl, daß er mit dem schon fertigen Meel zufrieden ist. Denn gesetzt, wir fünden nun das Meel so häufig, als den Sand, würden wir desselben nicht bald überdrüßig werden? Würden wir nicht auf andere Dinge, die nicht so gemein sind, verfallen, und uns einbilden, wir hätten dieselbe zu unserer Er- haltung nöthig? So bald es nun einige Mühe koste- te, dieselbe zu erlangen, würden wir eben so hertz-
brechend
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(o)
Denn ſo wie der Rocken waͤchſt koͤnnen wir ihn doch nicht eſſen. Er muß gemaͤhet, gedroſchen, ge- mahlen, das daraus verfertigte Meel mit Waſſer vermiſchet, und durch das Feuer gar, und alſo zu unſerer Nahrung geſchickt gemacht werden.
Mich deucht dieſe Arbeit iſt nicht weniger muͤh- ſam, als diejenige, welche zur Beſtellung des Ackers erfordert wird. Gibt demnach dieſe uns Fug und Recht zu ſchlieſſen, daß unſere erſten Eltern in dem Stande ihrer Vollkommenheit davon frey geweſen: So ſehe ich nicht, was mich hindern ſolte, zu ſagen, wenn wir in dieſem begluͤckten Zuſtande geblieben, ſo wuͤrden wir auch von der Nothmendigkeit, das Korn einzuſammlen, zu dreſchen, zu mahlen, und zu unſerm Gebrauch geſchickt zu machen, nichts ge- wuſt haben. Und folglich haͤtte der Hr. Prof. eben ſo groſſe Urſache aus der muͤhſamen Einſammlung, und Zubereitung des Korns zu ſchlieſſen, im Stan- de der Unſchuld wuͤrde das Meel, entweder gantz fertig vom Himmel gefallen ſeyn, oder wie Sand auf der Erden gelegen haben, als Er hat, zu muth- maſſen, das Korn wuͤrde im Stande der Unſchuld ohne alle Bemuͤhung des Menſchen gewachſen ſeyn. Aus ſeinem Satze folget mehr, als dieſes. Ja er leydet nicht einmahl, daß er mit dem ſchon fertigen Meel zufrieden iſt. Denn geſetzt, wir fuͤnden nun das Meel ſo haͤufig, als den Sand, wuͤrden wir deſſelben nicht bald uͤberdruͤßig werden? Wuͤrden wir nicht auf andere Dinge, die nicht ſo gemein ſind, verfallen, und uns einbilden, wir haͤtten dieſelbe zu unſerer Er- haltung noͤthig? So bald es nun einige Muͤhe koſte- te, dieſelbe zu erlangen, wuͤrden wir eben ſo hertz-
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Denn ſo wie der Rocken waͤchſt koͤnnen wir ihn doch
nicht eſſen. Er muß gemaͤhet, gedroſchen, ge-
mahlen, das daraus verfertigte Meel mit Waſſer
vermiſchet, und durch das Feuer gar, und alſo zu
unſerer Nahrung geſchickt gemacht werden.
Mich deucht dieſe Arbeit iſt nicht weniger muͤh-
ſam, als diejenige, welche zur Beſtellung des Ackers
erfordert wird. Gibt demnach dieſe uns Fug und
Recht zu ſchlieſſen, daß unſere erſten Eltern in dem
Stande ihrer Vollkommenheit davon frey geweſen:
So ſehe ich nicht, was mich hindern ſolte, zu ſagen,
wenn wir in dieſem begluͤckten Zuſtande geblieben,
ſo wuͤrden wir auch von der Nothmendigkeit, das
Korn einzuſammlen, zu dreſchen, zu mahlen, und
zu unſerm Gebrauch geſchickt zu machen, nichts ge-
wuſt haben. Und folglich haͤtte der Hr. Prof. eben
ſo groſſe Urſache aus der muͤhſamen Einſammlung,
und Zubereitung des Korns zu ſchlieſſen, im Stan-
de der Unſchuld wuͤrde das Meel, entweder gantz
fertig vom Himmel gefallen ſeyn, oder wie Sand
auf der Erden gelegen haben, als Er hat, zu muth-
maſſen, das Korn wuͤrde im Stande der Unſchuld
ohne alle Bemuͤhung des Menſchen gewachſen ſeyn.
Aus ſeinem Satze folget mehr, als dieſes. Ja er
leydet nicht einmahl, daß er mit dem ſchon fertigen
Meel zufrieden iſt. Denn geſetzt, wir fuͤnden nun das
Meel ſo haͤufig, als den Sand, wuͤrden wir deſſelben
nicht bald uͤberdruͤßig werden? Wuͤrden wir nicht
auf andere Dinge, die nicht ſo gemein ſind, verfallen,
und uns einbilden, wir haͤtten dieſelbe zu unſerer Er-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 673. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/765>, abgerufen am 22.11.2024.
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