wie diesen Nachkommen des ersten Menschen die an- gebohrne Unart, als ein Verbrechen, könne zugerech- net werden. Es ist nicht unsere Schuld, daß wir böse gebohren werden, und folglich, wegen unserer ange- bohrnen Schwachheit, die Gesetze nicht halten kön- nen, welche dem ersten Menschen gegeben worden, der in vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit erschafen war. Wer uns darum strafet, der begehet eine Ungerechtigkeit, und die wird gar schlecht bemän- telt, wenn man spricht: Wir hätten die Kräfte ge- habt, denen Gesetzen, welche uns gegeben worden, die gebührende Folge zu leisten; wir hätten aber diese Kräfte durch unser eigen Versehen verschertzet. Denn nicht der Hr. Prof. Manzel und ich, oder sonst irgend einer von allen ietzo lebenden Menschen, haben vom verbotenen Baum gegessen. Warum sollen wir dann die unordentliche Lust unserer ersten Eltern büssen? Womit haben wir verdienet, daß uns durch unmög- lich zu haltende Gesetze eine Last aufgelegt wird, die uns zu schwer ist? GOtt hätte unsere erste Eltern nach Belieben, wegen Uebertretung der Gesetze, welche sie, durch ihr Versehen, nicht halten konnten, züchtigen können: Uns aber muß er, falls er will, daß wir ihm gehorchen sollen, Gesetze geben, die mit dem Zustan- de übereinkommen, in welchem wir uns ietzo befin- den, und die wir vermögend sind zu halten. Unmögli- che Dinge muß er nicht von uns fordern, sonst dencken wir von ihm, was wir von einem Menschen dencken würden, der einen Lahmen mit Schlägen zwingen wolte, ein Menut zu tantzen, unter dem Vor- wande, der Ur-Elter-Vater dieses Krüppels sey ein geschickter Täntzer gewesen; habe sich aber,
durch
Ss 4
(o)
wie dieſen Nachkommen des erſten Menſchen die an- gebohrne Unart, als ein Verbrechen, koͤnne zugerech- net werden. Es iſt nicht unſere Schuld, daß wir boͤſe gebohren werden, und folglich, wegen unſerer ange- bohrnen Schwachheit, die Geſetze nicht halten koͤn- nen, welche dem erſten Menſchen gegeben worden, der in vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit erſchafen war. Wer uns darum ſtrafet, der begehet eine Ungerechtigkeit, und die wird gar ſchlecht bemaͤn- telt, wenn man ſpricht: Wir haͤtten die Kraͤfte ge- habt, denen Geſetzen, welche uns gegeben worden, die gebuͤhrende Folge zu leiſten; wir haͤtten aber dieſe Kraͤfte durch unſer eigen Verſehen verſchertzet. Denn nicht der Hr. Prof. Manzel und ich, oder ſonſt irgend einer von allen ietzo lebenden Menſchen, haben vom verbotenen Baum gegeſſen. Warum ſollen wir dann die unordentliche Luſt unſerer erſten Eltern buͤſſen? Womit haben wir verdienet, daß uns durch unmoͤg- lich zu haltende Geſetze eine Laſt aufgelegt wird, die uns zu ſchwer iſt? GOtt haͤtte unſere erſte Eltern nach Belieben, wegen Uebertretung der Geſetze, welche ſie, durch ihr Verſehen, nicht halten konnten, zuͤchtigen koͤnnen: Uns aber muß er, falls er will, daß wir ihm gehorchen ſollen, Geſetze geben, die mit dem Zuſtan- de uͤbereinkommen, in welchem wir uns ietzo befin- den, und die wir vermoͤgend ſind zu halten. Unmoͤgli- che Dinge muß er nicht von uns fordern, ſonſt dencken wir von ihm, was wir von einem Menſchen dencken wuͤrden, der einen Lahmen mit Schlaͤgen zwingen wolte, ein Menut zu tantzen, unter dem Vor- wande, der Ur-Elter-Vater dieſes Kruͤppels ſey ein geſchickter Taͤntzer geweſen; habe ſich aber,
durch
Ss 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0739"n="647"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
wie dieſen Nachkommen des erſten Menſchen die an-<lb/>
gebohrne Unart, als ein Verbrechen, koͤnne zugerech-<lb/>
net werden. Es iſt nicht unſere Schuld, daß wir boͤſe<lb/>
gebohren werden, und folglich, wegen unſerer ange-<lb/>
bohrnen Schwachheit, die Geſetze nicht halten koͤn-<lb/>
nen, welche dem erſten Menſchen gegeben worden,<lb/>
der in vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit<lb/>
erſchafen war. Wer uns darum ſtrafet, der begehet<lb/>
eine Ungerechtigkeit, und die wird gar ſchlecht bemaͤn-<lb/>
telt, wenn man ſpricht: Wir haͤtten die Kraͤfte ge-<lb/>
habt, denen Geſetzen, welche uns gegeben worden, die<lb/>
gebuͤhrende Folge zu leiſten; wir haͤtten aber dieſe<lb/>
Kraͤfte durch unſer eigen Verſehen verſchertzet. Denn<lb/>
nicht der Hr. Prof. Manzel und ich, oder ſonſt irgend<lb/>
einer von allen ietzo lebenden Menſchen, haben vom<lb/>
verbotenen Baum gegeſſen. Warum ſollen wir dann<lb/>
die unordentliche Luſt unſerer erſten Eltern buͤſſen?<lb/>
Womit haben wir verdienet, daß uns durch unmoͤg-<lb/>
lich zu haltende Geſetze eine Laſt aufgelegt wird, die<lb/>
uns zu ſchwer iſt? GOtt haͤtte unſere erſte Eltern nach<lb/>
Belieben, wegen Uebertretung der Geſetze, welche ſie,<lb/>
durch ihr Verſehen, nicht halten konnten, zuͤchtigen<lb/>
koͤnnen: Uns aber muß er, falls er will, daß wir ihm<lb/>
gehorchen ſollen, Geſetze geben, die mit dem Zuſtan-<lb/>
de uͤbereinkommen, in welchem wir uns ietzo befin-<lb/>
den, und die wir vermoͤgend ſind zu halten. Unmoͤgli-<lb/>
che Dinge muß er nicht von uns fordern, ſonſt dencken<lb/>
wir von ihm, was wir von einem Menſchen dencken<lb/>
wuͤrden, der einen Lahmen mit Schlaͤgen zwingen<lb/>
wolte, ein Menut zu tantzen, unter dem Vor-<lb/>
wande, der Ur-Elter-Vater dieſes Kruͤppels ſey<lb/>
ein geſchickter Taͤntzer geweſen; habe ſich aber,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Ss 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">durch</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[647/0739]
(o)
wie dieſen Nachkommen des erſten Menſchen die an-
gebohrne Unart, als ein Verbrechen, koͤnne zugerech-
net werden. Es iſt nicht unſere Schuld, daß wir boͤſe
gebohren werden, und folglich, wegen unſerer ange-
bohrnen Schwachheit, die Geſetze nicht halten koͤn-
nen, welche dem erſten Menſchen gegeben worden,
der in vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit
erſchafen war. Wer uns darum ſtrafet, der begehet
eine Ungerechtigkeit, und die wird gar ſchlecht bemaͤn-
telt, wenn man ſpricht: Wir haͤtten die Kraͤfte ge-
habt, denen Geſetzen, welche uns gegeben worden, die
gebuͤhrende Folge zu leiſten; wir haͤtten aber dieſe
Kraͤfte durch unſer eigen Verſehen verſchertzet. Denn
nicht der Hr. Prof. Manzel und ich, oder ſonſt irgend
einer von allen ietzo lebenden Menſchen, haben vom
verbotenen Baum gegeſſen. Warum ſollen wir dann
die unordentliche Luſt unſerer erſten Eltern buͤſſen?
Womit haben wir verdienet, daß uns durch unmoͤg-
lich zu haltende Geſetze eine Laſt aufgelegt wird, die
uns zu ſchwer iſt? GOtt haͤtte unſere erſte Eltern nach
Belieben, wegen Uebertretung der Geſetze, welche ſie,
durch ihr Verſehen, nicht halten konnten, zuͤchtigen
koͤnnen: Uns aber muß er, falls er will, daß wir ihm
gehorchen ſollen, Geſetze geben, die mit dem Zuſtan-
de uͤbereinkommen, in welchem wir uns ietzo befin-
den, und die wir vermoͤgend ſind zu halten. Unmoͤgli-
che Dinge muß er nicht von uns fordern, ſonſt dencken
wir von ihm, was wir von einem Menſchen dencken
wuͤrden, der einen Lahmen mit Schlaͤgen zwingen
wolte, ein Menut zu tantzen, unter dem Vor-
wande, der Ur-Elter-Vater dieſes Kruͤppels ſey
ein geſchickter Taͤntzer geweſen; habe ſich aber,
durch
Ss 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/739>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.