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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
ersten Menschen in seiner Vollkommenheit gegeben,
hat, und die wir ietzo, wie der Hr. Manzel will, nicht
mehr halten können, uns noch verbinden oder nicht?
Antwortet er nein: So muß man alle Systemata Juris
Naturae
zum Gewürtz-Kramer schicken, und nimmer-
mehr von Recht und Billigkeit reden, sondern nach
seinen Lüsten leben. Der Hr. Prof. Manzel wird auch
keine gute Ursache geben können, warum er sein
Werckgen geschrieben, und warum er sich bemühet
hat, die edle Wissenschaft des Rechts der Natur auf
einen bessern Fuß zu setzen.

Da es nun aber nicht glaublich ist, daß er so ant-
worten wird, so muß er sagen, die Gesetze der Natur
verbinden uns noch, ob wir gleich nicht mehr im
Stande sind, dieselbe zu halten. Mit was vor Grun-
de kan er aber dieses sagen, da er selbst meinet es sey
eine Tyranney, jemanden Gesetze zu geben, die er
nicht halten kan?

Jch kan zwar leicht dencken, daß er sich, um
vor diesem Einwurf sicher zu seyn, unter die Canonen
der Kirche retiriren, und mit der Lehre von der Erb-
Sünde, als mit einem Schilde wafnen wird: Allein
Ew. Hochwohlgeb. sehen wohl, daß dieses einem
Weltweisen, der aus der blossen Vernunft von dem
Stande der Unschuld handeln will, nicht sonder-
lich wohl anstehet.

Die Vernunft weiß von keiner Erb-Sünde, von
keinen Kindern des Zorns. Sie begreift wohl, daß,
wenn der erste Mensch aus seiner Vollkommenheit ge-
fallen ist, die aus diesem Fall in seiner Natur entstan-
dene Verschlimmerung auf seine Nachkommen habe
können fortgepflantzet werden. Sie begreift aber nicht,

wie

(o)
erſten Menſchen in ſeiner Vollkommenheit gegeben,
hat, und die wir ietzo, wie der Hr. Manzel will, nicht
mehr halten koͤnnen, uns noch verbinden oder nicht?
Antwortet er nein: So muß man alle Syſtemata Juris
Naturæ
zum Gewuͤrtz-Kramer ſchicken, und nimmer-
mehr von Recht und Billigkeit reden, ſondern nach
ſeinen Luͤſten leben. Der Hr. Prof. Manzel wird auch
keine gute Urſache geben koͤnnen, warum er ſein
Werckgen geſchrieben, und warum er ſich bemuͤhet
hat, die edle Wiſſenſchaft des Rechts der Natur auf
einen beſſern Fuß zu ſetzen.

Da es nun aber nicht glaublich iſt, daß er ſo ant-
worten wird, ſo muß er ſagen, die Geſetze der Natur
verbinden uns noch, ob wir gleich nicht mehr im
Stande ſind, dieſelbe zu halten. Mit was vor Grun-
de kan er aber dieſes ſagen, da er ſelbſt meinet es ſey
eine Tyranney, jemanden Geſetze zu geben, die er
nicht halten kan?

Jch kan zwar leicht dencken, daß er ſich, um
vor dieſem Einwurf ſicher zu ſeyn, unter die Canonen
der Kirche retiriren, und mit der Lehre von der Erb-
Suͤnde, als mit einem Schilde wafnen wird: Allein
Ew. Hochwohlgeb. ſehen wohl, daß dieſes einem
Weltweiſen, der aus der bloſſen Vernunft von dem
Stande der Unſchuld handeln will, nicht ſonder-
lich wohl anſtehet.

Die Vernunft weiß von keiner Erb-Suͤnde, von
keinen Kindern des Zorns. Sie begreift wohl, daß,
wenn der erſte Menſch aus ſeineꝛ Vollkommenheit ge-
fallen iſt, die aus dieſem Fall in ſeiner Natur entſtan-
dene Verſchlimmerung auf ſeine Nachkommen habe
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[646/0738] (o) erſten Menſchen in ſeiner Vollkommenheit gegeben, hat, und die wir ietzo, wie der Hr. Manzel will, nicht mehr halten koͤnnen, uns noch verbinden oder nicht? Antwortet er nein: So muß man alle Syſtemata Juris Naturæ zum Gewuͤrtz-Kramer ſchicken, und nimmer- mehr von Recht und Billigkeit reden, ſondern nach ſeinen Luͤſten leben. Der Hr. Prof. Manzel wird auch keine gute Urſache geben koͤnnen, warum er ſein Werckgen geſchrieben, und warum er ſich bemuͤhet hat, die edle Wiſſenſchaft des Rechts der Natur auf einen beſſern Fuß zu ſetzen. Da es nun aber nicht glaublich iſt, daß er ſo ant- worten wird, ſo muß er ſagen, die Geſetze der Natur verbinden uns noch, ob wir gleich nicht mehr im Stande ſind, dieſelbe zu halten. Mit was vor Grun- de kan er aber dieſes ſagen, da er ſelbſt meinet es ſey eine Tyranney, jemanden Geſetze zu geben, die er nicht halten kan? Jch kan zwar leicht dencken, daß er ſich, um vor dieſem Einwurf ſicher zu ſeyn, unter die Canonen der Kirche retiriren, und mit der Lehre von der Erb- Suͤnde, als mit einem Schilde wafnen wird: Allein Ew. Hochwohlgeb. ſehen wohl, daß dieſes einem Weltweiſen, der aus der bloſſen Vernunft von dem Stande der Unſchuld handeln will, nicht ſonder- lich wohl anſtehet. Die Vernunft weiß von keiner Erb-Suͤnde, von keinen Kindern des Zorns. Sie begreift wohl, daß, wenn der erſte Menſch aus ſeineꝛ Vollkommenheit ge- fallen iſt, die aus dieſem Fall in ſeiner Natur entſtan- dene Verſchlimmerung auf ſeine Nachkommen habe koͤnnen foꝛtgepflantzet weꝛden. Sie begꝛeift aber nicht, wie

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/738>, abgerufen am 22.11.2024.