Ew. Hochwohlgeb. ersehen aus diesem allen, daß das Argument des Hn. Manzels noch viel zu schwach ist, die ursprüngliche Vollkommenheit des menschli- chen Geschlechts zu erweisen. Jch schreite demnach zu "dem folgenden, welches §. 21. also lautet: "Ein jeder "Gesetzgeber muß dahin sehen, daß seine Gebote die "Kräfte derjenigen, welchen er sie giebet, nicht überstei- "gen, und muß kein Gesetze geben, das seine Untertha- "nen nicht vollkommen zu halten vermögend sind. "Macht er es anders, so ist er ein Tyrann. Nun ist aus- "gemacht, daß GOTT die Gesetze der Natur in un- "ser Hertz geschrieben; Wir aber halten sie nicht, wie "die klägliche Erfahrung lehret: Folglich leben wir "nicht in dem Zustande, in welchem wir, nach der Ab- "sicht GOttes, leben solten.
Hier muß ich vor allen Dingen Ew. Hochwohl- geb. sagen, daß dieses Argument gar nicht so eingerich- tet ist, als es seyn solte. Die Frage ist nicht, ob die Men- schen die natürlichen Gesetze beobachten; sondern, ob sie fähig sind, dieselbe zu halten? Daß die meisten Men- schen dawider handeln, ist unstreitig: Aber dieses thut zu des Hrn. Manzels Endzweck nichts. Der hätte sa- gen sollen der Mensch wäre gar nicht in Stande, die Gesetze der Natur zu halten: So hätte er daher folgern können, daß der Mensch sich einmahl in einem andern Zustande befunden habe. Wie er seine Sachen vor- gebracht hat, heißt alles, was er saget, nichts.
Dieses könnte zu Abfertigung dieses andern Argu- ments genug seyn: Allein da mir die Höflichkeit zu glauben befiehlt, daß der Hr. Prof. Manzel besser und ordentlicher gedacht hat, als er geschrieben: So will ich seinem Schluß die rechte Form geben, und alsdann se-
hen,
(o)
Ew. Hochwohlgeb. erſehen aus dieſem allen, daß das Argument des Hn. Manzels noch viel zu ſchwach iſt, die urſpruͤngliche Vollkommenheit des menſchli- chen Geſchlechts zu erweiſen. Jch ſchreite demnach zu „dem folgenden, welches §. 21. alſo lautet: „Ein jeder „Geſetzgeber muß dahin ſehen, daß ſeine Gebote die „Kraͤfte derjenigen, welchen er ſie giebet, nicht uͤbeꝛſtei- „gen, und muß kein Geſetze geben, das ſeine Untertha- „nen nicht vollkommen zu halten vermoͤgend ſind. „Macht er es anders, ſo iſt er ein Tyrann. Nun iſt aus- „gemacht, daß GOTT die Geſetze der Natur in un- „ſer Hertz geſchrieben; Wir aber halten ſie nicht, wie „die klaͤgliche Erfahrung lehret: Folglich leben wir „nicht in dem Zuſtande, in welchem wir, nach der Ab- „ſicht GOttes, leben ſolten.
Hier muß ich vor allen Dingen Ew. Hochwohl- geb. ſagen, daß dieſes Argument gar nicht ſo eingerich- tet iſt, als es ſeyn ſolte. Die Frage iſt nicht, ob die Men- ſchen die natuͤrlichen Geſetze beobachten; ſondern, ob ſie faͤhig ſind, dieſelbe zu halten? Daß die meiſten Men- ſchen dawider handeln, iſt unſtreitig: Aber dieſes thut zu des Hrn. Manzels Endzweck nichts. Der haͤtte ſa- gen ſollen der Menſch waͤre gar nicht in Stande, die Geſetze der Natur zu halten: So haͤtte er daher folgern koͤnnen, daß der Menſch ſich einmahl in einem andern Zuſtande befunden habe. Wie er ſeine Sachen vor- gebracht hat, heißt alles, was er ſaget, nichts.
Dieſes koͤnnte zu Abfertigung dieſes andern Argu- ments genug ſeyn: Allein da mir die Hoͤflichkeit zu glauben befiehlt, daß der Hr. Prof. Manzel beſſer und ordentlicher gedacht hat, als er geſchrieben: So will ich ſeinem Schluß die rechte Form geben, und alsdann ſe-
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Ew. Hochwohlgeb. erſehen aus dieſem allen, daß
das Argument des Hn. Manzels noch viel zu ſchwach
iſt, die urſpruͤngliche Vollkommenheit des menſchli-
chen Geſchlechts zu erweiſen. Jch ſchreite demnach zu
„dem folgenden, welches §. 21. alſo lautet: „Ein jeder
„Geſetzgeber muß dahin ſehen, daß ſeine Gebote die
„Kraͤfte derjenigen, welchen er ſie giebet, nicht uͤbeꝛſtei-
„gen, und muß kein Geſetze geben, das ſeine Untertha-
„nen nicht vollkommen zu halten vermoͤgend ſind.
„Macht er es anders, ſo iſt er ein Tyrann. Nun iſt aus-
„gemacht, daß GOTT die Geſetze der Natur in un-
„ſer Hertz geſchrieben; Wir aber halten ſie nicht, wie
„die klaͤgliche Erfahrung lehret: Folglich leben wir
„nicht in dem Zuſtande, in welchem wir, nach der Ab-
„ſicht GOttes, leben ſolten.
Hier muß ich vor allen Dingen Ew. Hochwohl-
geb. ſagen, daß dieſes Argument gar nicht ſo eingerich-
tet iſt, als es ſeyn ſolte. Die Frage iſt nicht, ob die Men-
ſchen die natuͤrlichen Geſetze beobachten; ſondern, ob
ſie faͤhig ſind, dieſelbe zu halten? Daß die meiſten Men-
ſchen dawider handeln, iſt unſtreitig: Aber dieſes thut
zu des Hrn. Manzels Endzweck nichts. Der haͤtte ſa-
gen ſollen der Menſch waͤre gar nicht in Stande, die
Geſetze der Natur zu halten: So haͤtte er daher folgern
koͤnnen, daß der Menſch ſich einmahl in einem andern
Zuſtande befunden habe. Wie er ſeine Sachen vor-
gebracht hat, heißt alles, was er ſaget, nichts.
Dieſes koͤnnte zu Abfertigung dieſes andern Argu-
ments genug ſeyn: Allein da mir die Hoͤflichkeit zu
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ordentlicher gedacht hat, als er geſchrieben: So will ich
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/732>, abgerufen am 22.11.2024.
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