Denn die Vernunft weiß von dem Stande der Un- schuld nichts, und irret der Hr. Prof. nicht, wenn er sagt; er sehe schon vorher, was er sich vor eine Last auf- lege, indem er sich unterstünde, denselben aus der sich selbst gelassenen Vernunft zu erweisen. Er hätte dem- nach, meines Erachtens, besser gethan, wenn er sich nicht eines so schweren Beweises unterfangen hätte, der, wenn er gleich noch so wohl gerathen wäre, in der Weltweisheit nicht den geringsten Nutzen schafen kan. Nun aber werden Ew. Hochwohlgeb. wenn Sie die Gründe, durch welche der Hr. Prof. seinen Stand der Unschuld aus der Vernunft beweisen will, genau betrachten, wohl sehen, daß sein Beweiß un- gemein schwach sey. Es ist ein Jammer anzusehen, wie er sich drehet: Und doch muß er oft zu der Schrift seine Zuflucht nehmen. Jch will das, was er schreibt etwas genauer beleuchten.
Vorher aber muß ich Ew. Hochwohlgeb. bitten, mich nicht vor einen Ketzer zu halten, wenn Sie in die- ser meiner Untersuchung etwan einige Dinge antrefen, die mit den gemeinen Lehren von dem Zustande der er- sten Menschen nicht übereinstimmen. Sie werden so gütig seyn, und mir die Freyheit gönnen, die sich der Hr. Prof. Manzel heraus genommen hat. Er dichtet, er abstrahirt von der Ofenbahrung, und sagt uns, was ihm, nach seiner Vernunft, von dem Stande der Unschuld düncket. Jch mache es eben so: ausser daß ich nicht dichte, sondern nur seine Fictiones ver- werfe. Wir sind beyde orthodox, ob wir gleich et- was sagen, das mit den Meinungen unserer Gottes- Gelehrten streitet.
Nachdem ich also allem ungleichen Verdacht vor-
gebeu-
(o)
Denn die Vernunft weiß von dem Stande der Un- ſchuld nichts, und irret der Hr. Prof. nicht, wenn er ſagt; er ſehe ſchon vorher, was er ſich vor eine Laſt auf- lege, indem er ſich unterſtuͤnde, denſelben aus der ſich ſelbſt gelaſſenen Vernunft zu erweiſen. Er haͤtte dem- nach, meines Erachtens, beſſer gethan, wenn er ſich nicht eines ſo ſchweren Beweiſes unterfangen haͤtte, der, wenn er gleich noch ſo wohl gerathen waͤre, in der Weltweisheit nicht den geringſten Nutzen ſchafen kan. Nun aber werden Ew. Hochwohlgeb. wenn Sie die Gruͤnde, durch welche der Hr. Prof. ſeinen Stand der Unſchuld aus der Vernunft beweiſen will, genau betrachten, wohl ſehen, daß ſein Beweiß un- gemein ſchwach ſey. Es iſt ein Jammer anzuſehen, wie er ſich drehet: Und doch muß er oft zu der Schrift ſeine Zuflucht nehmen. Jch will das, was er ſchreibt etwas genauer beleuchten.
Vorher aber muß ich Ew. Hochwohlgeb. bitten, mich nicht vor einen Ketzer zu halten, wenn Sie in die- ſer meiner Unteꝛſuchung etwan einige Dinge antꝛefen, die mit den gemeinen Lehren von dem Zuſtande der er- ſten Menſchen nicht uͤbereinſtimmen. Sie werden ſo guͤtig ſeyn, und mir die Freyheit goͤnnen, die ſich der Hr. Prof. Manzel heraus genommen hat. Er dichtet, er abſtrahirt von der Ofenbahrung, und ſagt uns, was ihm, nach ſeiner Vernunft, von dem Stande der Unſchuld duͤncket. Jch mache es eben ſo: auſſer daß ich nicht dichte, ſondern nur ſeine Fictiones ver- werfe. Wir ſind beyde orthodox, ob wir gleich et- was ſagen, das mit den Meinungen unſerer Gottes- Gelehrten ſtreitet.
Nachdem ich alſo allem ungleichen Verdacht vor-
gebeu-
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(o)
Denn die Vernunft weiß von dem Stande der Un-
ſchuld nichts, und irret der Hr. Prof. nicht, wenn er
ſagt; er ſehe ſchon vorher, was er ſich vor eine Laſt auf-
lege, indem er ſich unterſtuͤnde, denſelben aus der ſich
ſelbſt gelaſſenen Vernunft zu erweiſen. Er haͤtte dem-
nach, meines Erachtens, beſſer gethan, wenn er ſich
nicht eines ſo ſchweren Beweiſes unterfangen haͤtte,
der, wenn er gleich noch ſo wohl gerathen waͤre, in der
Weltweisheit nicht den geringſten Nutzen ſchafen
kan. Nun aber werden Ew. Hochwohlgeb. wenn
Sie die Gruͤnde, durch welche der Hr. Prof. ſeinen
Stand der Unſchuld aus der Vernunft beweiſen will,
genau betrachten, wohl ſehen, daß ſein Beweiß un-
gemein ſchwach ſey. Es iſt ein Jammer anzuſehen,
wie er ſich drehet: Und doch muß er oft zu der Schrift
ſeine Zuflucht nehmen. Jch will das, was er ſchreibt
etwas genauer beleuchten.
Vorher aber muß ich Ew. Hochwohlgeb. bitten,
mich nicht vor einen Ketzer zu halten, wenn Sie in die-
ſer meiner Unteꝛſuchung etwan einige Dinge antꝛefen,
die mit den gemeinen Lehren von dem Zuſtande der er-
ſten Menſchen nicht uͤbereinſtimmen. Sie werden ſo
guͤtig ſeyn, und mir die Freyheit goͤnnen, die ſich der
Hr. Prof. Manzel heraus genommen hat. Er dichtet,
er abſtrahirt von der Ofenbahrung, und ſagt uns,
was ihm, nach ſeiner Vernunft, von dem Stande
der Unſchuld duͤncket. Jch mache es eben ſo: auſſer
daß ich nicht dichte, ſondern nur ſeine Fictiones ver-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/726>, abgerufen am 22.11.2024.
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