lich die Schlange die Eva, durch ihr Exem- pel, zur Ubertretung des göttlichen Verbots zu verführen sucht, und ihr sagt, sie habe die von GOtt gemachte Ordnung über- schritten, und sey doch nicht gestorben; So weiß ich nicht, wie die mit so ausnehmender Weißheit ausgerüstete Eva dadurch habe verführet werden können? Wuste sie dann nicht, daß die Schlange, als ein Thier, von der Ordnung, die GOtt, in Ansehung der Nahrung seiner Geschöpfe, gemacht hatte, nicht die geringste Wissenschaft haben konn- te? Wuste sie nicht, daß die Thiere, weil sie keinem Gesetze unterworfen sind, nicht sün- digen, und folglich nicht gestraft werden können? und daß es sich mit ihr, als mit einer Freyheit begabten Creatur gantz anders verhalte? Wo bleibt die Weißheit, die man sonst dem ersten Menschen beyleget, wenn man dieses von ihr glaubt? Ja wo bleibt sie, wenn man ihr nachredet, sie habe noch klü- ger, als sie war, und GOtt gleich werden wollen? die ersten Menschen waren voll- kommen glücklich: Sie waren folglich auch vollkommen mit dem Grad ihrer Weißheit zufrieden. Wie konnte demnach in Eva eine Begierde entstehen, klüger zu werden? Es ist dieses eben so unmöglich, als daß sie
sollte
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lich die Schlange die Eva, durch ihr Exem- pel, zur Ubertretung des goͤttlichen Verbots zu verfuͤhren ſucht, und ihr ſagt, ſie habe die von GOtt gemachte Ordnung uͤber- ſchritten, und ſey doch nicht geſtorben; So weiß ich nicht, wie die mit ſo ausnehmender Weißheit ausgeruͤſtete Eva dadurch habe verfuͤhret werden koͤnnen? Wuſte ſie dann nicht, daß die Schlange, als ein Thier, von der Ordnung, die GOtt, in Anſehung der Nahrung ſeiner Geſchoͤpfe, gemacht hatte, nicht die geringſte Wiſſenſchaft haben konn- te? Wuſte ſie nicht, daß die Thiere, weil ſie keinem Geſetze unterworfen ſind, nicht ſuͤn- digen, und folglich nicht geſtraft werden koͤnnen? und daß es ſich mit ihr, als mit einer Freyheit begabten Creatur gantz anders verhalte? Wo bleibt die Weißheit, die man ſonſt dem erſten Menſchen beyleget, wenn man dieſes von ihr glaubt? Ja wo bleibt ſie, wenn man ihr nachredet, ſie habe noch kluͤ- ger, als ſie war, und GOtt gleich werden wollen? die erſten Menſchen waren voll- kommen gluͤcklich: Sie waren folglich auch vollkommen mit dem Grad ihrer Weißheit zufrieden. Wie konnte demnach in Eva eine Begierde entſtehen, kluͤger zu werden? Es iſt dieſes eben ſo unmoͤglich, als daß ſie
ſollte
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lich die Schlange die Eva, durch ihr Exem-
pel, zur Ubertretung des goͤttlichen Verbots
zu verfuͤhren ſucht, und ihr ſagt, ſie habe
die von GOtt gemachte Ordnung uͤber-
ſchritten, und ſey doch nicht geſtorben; So
weiß ich nicht, wie die mit ſo ausnehmender
Weißheit ausgeruͤſtete Eva dadurch habe
verfuͤhret werden koͤnnen? Wuſte ſie dann
nicht, daß die Schlange, als ein Thier, von
der Ordnung, die GOtt, in Anſehung der
Nahrung ſeiner Geſchoͤpfe, gemacht hatte,
nicht die geringſte Wiſſenſchaft haben konn-
te? Wuſte ſie nicht, daß die Thiere, weil ſie
keinem Geſetze unterworfen ſind, nicht ſuͤn-
digen, und folglich nicht geſtraft werden
koͤnnen? und daß es ſich mit ihr, als mit einer
Freyheit begabten Creatur gantz anders
verhalte? Wo bleibt die Weißheit, die man
ſonſt dem erſten Menſchen beyleget, wenn
man dieſes von ihr glaubt? Ja wo bleibt ſie,
wenn man ihr nachredet, ſie habe noch kluͤ-
ger, als ſie war, und GOtt gleich werden
wollen? die erſten Menſchen waren voll-
kommen gluͤcklich: Sie waren folglich auch
vollkommen mit dem Grad ihrer Weißheit
zufrieden. Wie konnte demnach in Eva
eine Begierde entſtehen, kluͤger zu werden?
Es iſt dieſes eben ſo unmoͤglich, als daß ſie
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/689>, abgerufen am 25.11.2024.
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