Thorheit sey, zierlich zu schreiben, wenn man keine Verse macht. Denn ich begehre kein Joch auf meiner Brüder, der bösen Poeten, Hälse zu legen, oder ihrer Verschwendung Ziel und Maasse zu se- tzen. Diese Herren können mit den Schätzen, welche ihnen nicht sauer zu verdienen, haußhalten, als sie wollen. Je reichlicher und freygebiger sie ihre Kostbarkeiten ausspenden, je lieber ist es mir. Jch sage nur, daß ich, und meines gleichen elende Scribenten besser thun, wenn wir uns der gekün- stelten und zierlichen Schreib-Art, in welcher un- sere Feinde ihr Vergnügen suchen, gäntzlich ent- halten.
Denn gewiß die gar zu ängstliche Sorgfalt, mit welcher die guten Scribenten ihre Worte aus- suchen, und ihre Schriften schmücken, stehet einem weisen Mann, der sich mit Kleinigkeiten nicht auf- hält, gantz und gar nicht an; Und insonderheit hat ein elender Scribent nicht nöthig, daß er sich so viele Mühe giebt. Wir können ohnedem glücklich seyn. Sind wir nur großmüthig, und kehren uns an der Leute Reden nicht: Sind wir nur mit uns selbst zu frieden, und düncken uns groß, eben dar- um, weil wir Eigenschaften besitzen, die andern lächerlich vorkommen: Bilden wir uns nur ein, daß wir um so viel gelehrter sind, je weniger Lust wir haben, etwas zu lernen; So ist unsere Glück- seeligkeit feste genug gegründet. Seneca, der uns sehr genau gekannt haben muß, sagt es ausdrück- lich. Ad hanc, spricht er (58), tam solidam
feli-
(58)Ep. 115.
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Thorheit ſey, zierlich zu ſchreiben, wenn man keine Verſe macht. Denn ich begehre kein Joch auf meiner Bruͤder, der boͤſen Poeten, Haͤlſe zu legen, oder ihrer Verſchwendung Ziel und Maaſſe zu ſe- tzen. Dieſe Herren koͤnnen mit den Schaͤtzen, welche ihnen nicht ſauer zu verdienen, haußhalten, als ſie wollen. Je reichlicher und freygebiger ſie ihre Koſtbarkeiten ausſpenden, je lieber iſt es mir. Jch ſage nur, daß ich, und meines gleichen elende Scribenten beſſer thun, wenn wir uns der gekuͤn- ſtelten und zierlichen Schreib-Art, in welcher un- ſere Feinde ihr Vergnuͤgen ſuchen, gaͤntzlich ent- halten.
Denn gewiß die gar zu aͤngſtliche Sorgfalt, mit welcher die guten Scribenten ihre Worte aus- ſuchen, und ihre Schriften ſchmuͤcken, ſtehet einem weiſen Mann, der ſich mit Kleinigkeiten nicht auf- haͤlt, gantz und gar nicht an; Und inſonderheit hat ein elender Scribent nicht noͤthig, daß er ſich ſo viele Muͤhe giebt. Wir koͤnnen ohnedem gluͤcklich ſeyn. Sind wir nur großmuͤthig, und kehren uns an der Leute Reden nicht: Sind wir nur mit uns ſelbſt zu frieden, und duͤncken uns groß, eben dar- um, weil wir Eigenſchaften beſitzen, die andern laͤcherlich vorkommen: Bilden wir uns nur ein, daß wir um ſo viel gelehrter ſind, je weniger Luſt wir haben, etwas zu lernen; So iſt unſere Gluͤck- ſeeligkeit feſte genug gegruͤndet. Seneca, der uns ſehr genau gekannt haben muß, ſagt es ausdruͤck- lich. Ad hanc, ſpricht er (58), tam ſolidam
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(58)Ep. 115.
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Thorheit ſey, zierlich zu ſchreiben, wenn man keine
Verſe macht. Denn ich begehre kein Joch auf
meiner Bruͤder, der boͤſen Poeten, Haͤlſe zu legen,
oder ihrer Verſchwendung Ziel und Maaſſe zu ſe-
tzen. Dieſe Herren koͤnnen mit den Schaͤtzen,
welche ihnen nicht ſauer zu verdienen, haußhalten,
als ſie wollen. Je reichlicher und freygebiger ſie
ihre Koſtbarkeiten ausſpenden, je lieber iſt es mir.
Jch ſage nur, daß ich, und meines gleichen elende
Scribenten beſſer thun, wenn wir uns der gekuͤn-
ſtelten und zierlichen Schreib-Art, in welcher un-
ſere Feinde ihr Vergnuͤgen ſuchen, gaͤntzlich ent-
halten.
Denn gewiß die gar zu aͤngſtliche Sorgfalt,
mit welcher die guten Scribenten ihre Worte aus-
ſuchen, und ihre Schriften ſchmuͤcken, ſtehet einem
weiſen Mann, der ſich mit Kleinigkeiten nicht auf-
haͤlt, gantz und gar nicht an; Und inſonderheit hat
ein elender Scribent nicht noͤthig, daß er ſich ſo
viele Muͤhe giebt. Wir koͤnnen ohnedem gluͤcklich
ſeyn. Sind wir nur großmuͤthig, und kehren uns
an der Leute Reden nicht: Sind wir nur mit uns
ſelbſt zu frieden, und duͤncken uns groß, eben dar-
um, weil wir Eigenſchaften beſitzen, die andern
laͤcherlich vorkommen: Bilden wir uns nur ein,
daß wir um ſo viel gelehrter ſind, je weniger Luſt
wir haben, etwas zu lernen; So iſt unſere Gluͤck-
ſeeligkeit feſte genug gegruͤndet. Seneca, der uns
ſehr genau gekannt haben muß, ſagt es ausdruͤck-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/653>, abgerufen am 22.11.2024.
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