Sie irren sich, wofern sie sich einbilden, daß un- sere Schreib-Art durch den Mangel der Zierlichkeit alle Annehmlichkeit verliehre, und aufhöre schön zu seyn. Sie findet doch ihre Liebhaber, und ist um so viel schöner, je natürlicher und ungekünstel- ter sie ist. Ein geputztes und geschmincktes Gesicht fällt sehr in die Augen: Aber das sind die rechten Schönheiten, die auch ungeputzt gefallen. Die Schönheit unserer Schreib-Art hat diese Eigen- schaft. Unser Styl ist auch bey seiner natürlichen Scheußlichkeit schön. Er ist, wie die Möpse, speciosus ex horrido(56): Und wir würden ihn verderben, wenn wir daran künsteln wolten.
Ja wenn wir gleich dieses thäten, so wäre doch noch Gefahr dabey, ob wir es unsern Feinden zu Danck machen würden. Wir sind mit diesen ei- gensinnigen Leuten übel daran. Schreiben wir natürlich, und männlich, so ist es ihnen nicht recht: Schreiben wir zierlich und künstlich, so lachen sie uns aus. Diejenigen aus unserm Mittel, welche man die bösen Poeten nennet, erfahren es täglich. Diese zierliche Herrenputzen sich ungemein heraus, weil sie so oft zur Hochzeit gehen. Jhre Schriften sind prächtig geschmücket, und eine jede Zeile der- selben pranget mit Gold, Silber, und Ertz, da- zu auch Edelgestein. Sie gleichen dem Wagen des Phöbus.
Sie irren ſich, wofern ſie ſich einbilden, daß un- ſere Schreib-Art durch den Mangel der Zierlichkeit alle Annehmlichkeit verliehre, und aufhoͤre ſchoͤn zu ſeyn. Sie findet doch ihre Liebhaber, und iſt um ſo viel ſchoͤner, je natuͤrlicher und ungekuͤnſtel- ter ſie iſt. Ein geputztes und geſchmincktes Geſicht faͤllt ſehr in die Augen: Aber das ſind die rechten Schoͤnheiten, die auch ungeputzt gefallen. Die Schoͤnheit unſerer Schreib-Art hat dieſe Eigen- ſchaft. Unſer Styl iſt auch bey ſeiner natuͤrlichen Scheußlichkeit ſchoͤn. Er iſt, wie die Moͤpſe, ſpecioſus ex horrido(56): Und wir wuͤrden ihn verderben, wenn wir daran kuͤnſteln wolten.
Ja wenn wir gleich dieſes thaͤten, ſo waͤre doch noch Gefahr dabey, ob wir es unſern Feinden zu Danck machen wuͤrden. Wir ſind mit dieſen ei- genſinnigen Leuten uͤbel daran. Schreiben wir natuͤrlich, und maͤnnlich, ſo iſt es ihnen nicht recht: Schreiben wir zierlich und kuͤnſtlich, ſo lachen ſie uns aus. Diejenigen aus unſerm Mittel, welche man die boͤſen Poeten nennet, erfahren es taͤglich. Dieſe zierliche Herrenputzen ſich ungemein heraus, weil ſie ſo oft zur Hochzeit gehen. Jhre Schriften ſind praͤchtig geſchmuͤcket, und eine jede Zeile der- ſelben pranget mit Gold, Silber, und Ertz, da- zu auch Edelgeſtein. Sie gleichen dem Wagen des Phoͤbus.
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(o)
Sie irren ſich, wofern ſie ſich einbilden, daß un-
ſere Schreib-Art durch den Mangel der Zierlichkeit
alle Annehmlichkeit verliehre, und aufhoͤre ſchoͤn
zu ſeyn. Sie findet doch ihre Liebhaber, und iſt
um ſo viel ſchoͤner, je natuͤrlicher und ungekuͤnſtel-
ter ſie iſt. Ein geputztes und geſchmincktes Geſicht
faͤllt ſehr in die Augen: Aber das ſind die rechten
Schoͤnheiten, die auch ungeputzt gefallen. Die
Schoͤnheit unſerer Schreib-Art hat dieſe Eigen-
ſchaft. Unſer Styl iſt auch bey ſeiner natuͤrlichen
Scheußlichkeit ſchoͤn. Er iſt, wie die Moͤpſe,
ſpecioſus ex horrido (56): Und wir wuͤrden ihn
verderben, wenn wir daran kuͤnſteln wolten.
Ja wenn wir gleich dieſes thaͤten, ſo waͤre doch
noch Gefahr dabey, ob wir es unſern Feinden zu
Danck machen wuͤrden. Wir ſind mit dieſen ei-
genſinnigen Leuten uͤbel daran. Schreiben wir
natuͤrlich, und maͤnnlich, ſo iſt es ihnen nicht recht:
Schreiben wir zierlich und kuͤnſtlich, ſo lachen ſie
uns aus. Diejenigen aus unſerm Mittel, welche
man die boͤſen Poeten nennet, erfahren es taͤglich.
Dieſe zierliche Herrenputzen ſich ungemein heraus,
weil ſie ſo oft zur Hochzeit gehen. Jhre Schriften
ſind praͤchtig geſchmuͤcket, und eine jede Zeile der-
ſelben pranget mit Gold, Silber, und Ertz, da-
zu auch Edelgeſtein. Sie gleichen dem Wagen
des Phoͤbus.
“Aureus axis erat, temo aureus, aurea
ſummæ
“Curvatura rotæ; radiorum argenteus ordo,
“Per
(56) Sencea Ep. 44.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/651>, abgerufen am 25.11.2024.
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