Nachdem ich also nunmehro auch den ungegrün- deten Vorwurf einer erdichteten Unordnung von den elenden Scribenten so gründlich und vortreflich abgelehnet habe, so gehe ich, mit einer, einem elen- den Schreiber anständigen, Zufriedenheit weiter, und beleuchte dasjenige, was die guten Scribenten wider unsere Schreib-Art einzuwenden haben. Da die guten Leute in allen Stücken so lecker, und von so verwehntem Geschmacke sind, so ist es nicht zu verwundern, daß ihnen unsere Schreib- Art nicht zierlich genug ist. Sie rümpfen die Nase, wann sie unsere Schriften lesen, und drücken ihren Eckel durch die bittersten Worte aus. Sie klagen, unsere scheußliche Schreib- Art verursache ihnen ein Bauch-Grimmen, und gebärden sich so übel, daß man fast davor erschre- cken sollte. Allein ich kenne diese Herren, und muß ihres Eckels und ihrer Verdrehungen lachen. Jch glaube auch, daß alle diejenigen, die mir die Ehre thun, meine Schrift biß hieher zu lesen, schon begreifen werden, daß diese Zärtlich- keit unsere Feinde mehr schände, als uns der Vor- wurf, denn sie uns machen, und wenn er gleich noch so gegründet wäre.
Ein weiser Mann befleißiget sich in allen Din- gen der Mäßigkeit, und siehet also die gar zu grosse Bemühung, zierlich zu schreiben, vor eine Schwach- heit an, die sich vor ihn nicht schicket. Unsere Vorfahren, die alten Teutschen, waren gewiß gantz andere Leute, als wir, und ihre Tugenden setzen selbst diejenigen in Verwunderung, die am weitesten von der Vollkommenheit unserer Väter
abge-
(o)
Nachdem ich alſo nunmehro auch den ungegruͤn- deten Vorwurf einer erdichteten Unordnung von den elenden Scribenten ſo gruͤndlich und vortreflich abgelehnet habe, ſo gehe ich, mit einer, einem elen- den Schreiber anſtaͤndigen, Zufriedenheit weiter, und beleuchte dasjenige, was die guten Scribenten wider unſere Schreib-Art einzuwenden haben. Da die guten Leute in allen Stuͤcken ſo lecker, und von ſo verwehntem Geſchmacke ſind, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß ihnen unſere Schreib- Art nicht zierlich genug iſt. Sie ruͤmpfen die Naſe, wann ſie unſere Schriften leſen, und druͤcken ihren Eckel durch die bitterſten Worte aus. Sie klagen, unſere ſcheußliche Schreib- Art verurſache ihnen ein Bauch-Grimmen, und gebaͤrden ſich ſo uͤbel, daß man faſt davor erſchre- cken ſollte. Allein ich kenne dieſe Herren, und muß ihres Eckels und ihrer Verdrehungen lachen. Jch glaube auch, daß alle diejenigen, die mir die Ehre thun, meine Schrift biß hieher zu leſen, ſchon begreifen werden, daß dieſe Zaͤrtlich- keit unſere Feinde mehr ſchaͤnde, als uns der Vor- wurf, denn ſie uns machen, und wenn er gleich noch ſo gegruͤndet waͤre.
Ein weiſer Mann befleißiget ſich in allen Din- gen der Maͤßigkeit, und ſiehet alſo die gar zu groſſe Bemuͤhung, zierlich zu ſchreiben, vor eine Schwach- heit an, die ſich vor ihn nicht ſchicket. Unſere Vorfahren, die alten Teutſchen, waren gewiß gantz andere Leute, als wir, und ihre Tugenden ſetzen ſelbſt diejenigen in Verwunderung, die am weiteſten von der Vollkommenheit unſerer Vaͤter
abge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0648"n="556"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/><p>Nachdem ich alſo nunmehro auch den ungegruͤn-<lb/>
deten Vorwurf einer erdichteten Unordnung von<lb/>
den elenden Scribenten ſo gruͤndlich und vortreflich<lb/>
abgelehnet habe, ſo gehe ich, mit einer, einem elen-<lb/>
den Schreiber anſtaͤndigen, Zufriedenheit weiter,<lb/>
und beleuchte dasjenige, was die guten Scribenten<lb/>
wider unſere Schreib-Art einzuwenden haben.<lb/>
Da die guten Leute in allen Stuͤcken ſo lecker,<lb/>
und von ſo verwehntem Geſchmacke ſind, ſo iſt<lb/>
es nicht zu verwundern, daß ihnen unſere Schreib-<lb/>
Art nicht zierlich genug iſt. Sie ruͤmpfen die<lb/>
Naſe, wann ſie unſere Schriften leſen, und<lb/>
druͤcken ihren Eckel durch die bitterſten Worte<lb/>
aus. Sie klagen, unſere ſcheußliche Schreib-<lb/>
Art verurſache ihnen ein Bauch-Grimmen, und<lb/>
gebaͤrden ſich ſo uͤbel, daß man faſt davor erſchre-<lb/>
cken ſollte. Allein ich kenne dieſe Herren, und<lb/>
muß ihres Eckels und ihrer Verdrehungen lachen.<lb/>
Jch glaube auch, daß alle diejenigen, die mir<lb/>
die Ehre thun, meine Schrift biß hieher zu<lb/>
leſen, ſchon begreifen werden, daß dieſe Zaͤrtlich-<lb/>
keit unſere Feinde mehr ſchaͤnde, als uns der Vor-<lb/>
wurf, denn ſie uns machen, und wenn er gleich<lb/>
noch ſo gegruͤndet waͤre.</p><lb/><p>Ein weiſer Mann befleißiget ſich in allen Din-<lb/>
gen der Maͤßigkeit, und ſiehet alſo die gar zu groſſe<lb/>
Bemuͤhung, zierlich zu ſchreiben, vor eine Schwach-<lb/>
heit an, die ſich vor ihn nicht ſchicket. Unſere<lb/>
Vorfahren, die alten Teutſchen, waren gewiß<lb/>
gantz andere Leute, als wir, und ihre Tugenden<lb/>ſetzen ſelbſt diejenigen in Verwunderung, die am<lb/>
weiteſten von der Vollkommenheit unſerer Vaͤter<lb/><fwplace="bottom"type="catch">abge-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[556/0648]
(o)
Nachdem ich alſo nunmehro auch den ungegruͤn-
deten Vorwurf einer erdichteten Unordnung von
den elenden Scribenten ſo gruͤndlich und vortreflich
abgelehnet habe, ſo gehe ich, mit einer, einem elen-
den Schreiber anſtaͤndigen, Zufriedenheit weiter,
und beleuchte dasjenige, was die guten Scribenten
wider unſere Schreib-Art einzuwenden haben.
Da die guten Leute in allen Stuͤcken ſo lecker,
und von ſo verwehntem Geſchmacke ſind, ſo iſt
es nicht zu verwundern, daß ihnen unſere Schreib-
Art nicht zierlich genug iſt. Sie ruͤmpfen die
Naſe, wann ſie unſere Schriften leſen, und
druͤcken ihren Eckel durch die bitterſten Worte
aus. Sie klagen, unſere ſcheußliche Schreib-
Art verurſache ihnen ein Bauch-Grimmen, und
gebaͤrden ſich ſo uͤbel, daß man faſt davor erſchre-
cken ſollte. Allein ich kenne dieſe Herren, und
muß ihres Eckels und ihrer Verdrehungen lachen.
Jch glaube auch, daß alle diejenigen, die mir
die Ehre thun, meine Schrift biß hieher zu
leſen, ſchon begreifen werden, daß dieſe Zaͤrtlich-
keit unſere Feinde mehr ſchaͤnde, als uns der Vor-
wurf, denn ſie uns machen, und wenn er gleich
noch ſo gegruͤndet waͤre.
Ein weiſer Mann befleißiget ſich in allen Din-
gen der Maͤßigkeit, und ſiehet alſo die gar zu groſſe
Bemuͤhung, zierlich zu ſchreiben, vor eine Schwach-
heit an, die ſich vor ihn nicht ſchicket. Unſere
Vorfahren, die alten Teutſchen, waren gewiß
gantz andere Leute, als wir, und ihre Tugenden
ſetzen ſelbſt diejenigen in Verwunderung, die am
weiteſten von der Vollkommenheit unſerer Vaͤter
abge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/648>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.