Leute hergegen, aus gutem Hertzen, unsern Leser qveer Feld ein führen, und ihm eine Ehre anthun wollen, so bekömmt es uns eben so übel, als wenn der Esel, nach dem Exempel des Hündgens, sei- nem Herren liebkosen will. Man nennet unsere Höflichkeit eine Ausschweifung, und uns elende Schwärmer, die nicht wissen, wo sie zu Hause sind. Ob dieses billig gehandelt sey, weiß ich nicht; das weiß ich, daß meine Leser über das ungerechte Verfahren unserer Feinde erstaunen werden; Aber sie werden sich noch mehr wundern, wenn sie fol- gendes zu bedencken belieben wollen.
Die Poesie, welcher unstreitig der Rang über die ungebundene Beredsamkeit gebühret, hat nichts vortreflichers, als die Ode und das Helden-Ge- dicht. Jn beyden muß aber eine gewisse Unord- nung herrschen, wofern sie gut seyn sollen. Eine Ode, in der man keine Fußstapfen eines entzück- ten Geistes findet, taugt nicht viel. Sie muß voller Ausschweifungen seyn, und mit einer ange- nehmen Verwirrung prangen. So bald hen- gen ihre Strophen nicht, auf eine gemeine Weise, ordentlich zusammen, so wird sie platt und abge- schmackt. Ein Helden-Gedicht, in dem eine ge- meine Historische Ordnung beobachtet worden, wird seinem Urheber wenig Ehre bringen. Will er, daß man ihn unter die Dichter zehle, so muß er schwärmen, und alles untereinander mengen. Er kan anfangen wo er will, nur bey Leibe nicht von vorne:
Sed per ambages, deorumque mi- nisteria, & fabulosum sententiarum tormentum praecipitandus est liber spiritus; ut potius fu-
rentis
M m 3
(o)
Leute hergegen, aus gutem Hertzen, unſern Leſer qveer Feld ein fuͤhren, und ihm eine Ehre anthun wollen, ſo bekoͤmmt es uns eben ſo uͤbel, als wenn der Eſel, nach dem Exempel des Huͤndgens, ſei- nem Herren liebkoſen will. Man nennet unſere Hoͤflichkeit eine Ausſchweifung, und uns elende Schwaͤrmer, die nicht wiſſen, wo ſie zu Hauſe ſind. Ob dieſes billig gehandelt ſey, weiß ich nicht; das weiß ich, daß meine Leſer uͤber das ungerechte Verfahren unſerer Feinde erſtaunen werden; Aber ſie werden ſich noch mehr wundern, wenn ſie fol- gendes zu bedencken belieben wollen.
Die Poeſie, welcher unſtreitig der Rang uͤber die ungebundene Beredſamkeit gebuͤhret, hat nichts vortreflichers, als die Ode und das Helden-Ge- dicht. Jn beyden muß aber eine gewiſſe Unord- nung herrſchen, wofern ſie gut ſeyn ſollen. Eine Ode, in der man keine Fußſtapfen eines entzuͤck- ten Geiſtes findet, taugt nicht viel. Sie muß voller Ausſchweifungen ſeyn, und mit einer ange- nehmen Verwirrung prangen. So bald hen- gen ihre Strophen nicht, auf eine gemeine Weiſe, ordentlich zuſammen, ſo wird ſie platt und abge- ſchmackt. Ein Helden-Gedicht, in dem eine ge- meine Hiſtoriſche Ordnung beobachtet worden, wird ſeinem Urheber wenig Ehre bringen. Will er, daß man ihn unter die Dichter zehle, ſo muß er ſchwaͤrmen, und alles untereinander mengen. Er kan anfangen wo er will, nur bey Leibe nicht von vorne:
Sed per ambages, deorumque mi- niſteria, & fabuloſum ſententiarum tormentum præcipitandus eſt liber ſpiritus; ut potius fu-
rentis
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Leute hergegen, aus gutem Hertzen, unſern Leſer
qveer Feld ein fuͤhren, und ihm eine Ehre anthun
wollen, ſo bekoͤmmt es uns eben ſo uͤbel, als wenn
der Eſel, nach dem Exempel des Huͤndgens, ſei-
nem Herren liebkoſen will. Man nennet unſere
Hoͤflichkeit eine Ausſchweifung, und uns elende
Schwaͤrmer, die nicht wiſſen, wo ſie zu Hauſe
ſind. Ob dieſes billig gehandelt ſey, weiß ich nicht;
das weiß ich, daß meine Leſer uͤber das ungerechte
Verfahren unſerer Feinde erſtaunen werden; Aber
ſie werden ſich noch mehr wundern, wenn ſie fol-
gendes zu bedencken belieben wollen.
Die Poeſie, welcher unſtreitig der Rang uͤber die
ungebundene Beredſamkeit gebuͤhret, hat nichts
vortreflichers, als die Ode und das Helden-Ge-
dicht. Jn beyden muß aber eine gewiſſe Unord-
nung herrſchen, wofern ſie gut ſeyn ſollen. Eine
Ode, in der man keine Fußſtapfen eines entzuͤck-
ten Geiſtes findet, taugt nicht viel. Sie muß
voller Ausſchweifungen ſeyn, und mit einer ange-
nehmen Verwirrung prangen. So bald hen-
gen ihre Strophen nicht, auf eine gemeine Weiſe,
ordentlich zuſammen, ſo wird ſie platt und abge-
ſchmackt. Ein Helden-Gedicht, in dem eine ge-
meine Hiſtoriſche Ordnung beobachtet worden,
wird ſeinem Urheber wenig Ehre bringen. Will
er, daß man ihn unter die Dichter zehle, ſo muß
er ſchwaͤrmen, und alles untereinander mengen.
Er kan anfangen wo er will, nur bey Leibe nicht
von vorne:
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/641>, abgerufen am 25.11.2024.
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