Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
sey eine Uebereinstimmung des Mannigfaltigen.
Dieses Mannigfaltige kan auf vielerley Art, und
unzählige Mahl versetzet werden, und es bleibt doch
allemahl eine gewisse Ubereinstimmung in demsel-
ben übrig. Da nun das Mannigfaltige auf un-
terschiedliche Art übereinstimmen kan; so stehet es
bey einem jeden, was er vor eine Uebereinstimmung
der andern vorziehen will, und keiner ist befugt,
mich einer Unordnung zu beschuldigen, wenn ich et-
wa das Mannigfaltige von einer andern Seite an-
gesehen habe, als er. Soll dieses nicht wahr seyn;
So müste in der Musick nur eine eintzige Melodey
statt haben. Denn die Melodey ist nichts anders,
als eine harmonirende Menge unterschiedener Töne.
Hätte nun in dem Mannigfaltigen nur eine einzige
Ubereinstimmung statt; So müste auch in der Mu-
sick nur eine einzige Harmonie unterschiedener Töne
die rechte seyn, und alle andere Mischungen dieser
Töne übel klingen. Dieses ist lächerlich. Folglich
kan ein jeder das Mannigfaltige, mit dem er zu thun
hat, mengen, wie er will, und diejenige Uberein-
stimmung desselben wehlen, die ihm die beste scheinet.

Es wäre viel, wenn bloß den elenden Scriben-
ten dieses nicht frey stehen, und ein jeder Spötter
berechtiget seyn solte, ihre Schriften vor unordent-
lich zu schelten, wenn sie das Mannigfaltige, wor-
aus sie bestehen, nicht nach seiner Phantasie ge-
mischet haben. Die elenden Scribenten schreiben
Bücher: Ein Buch ist eigentlich nichts, als eine
Menge mit Buchstaben befchriebener Blätter.
Wenn unter diesen Buchstaben eine Uebereinstim-
mung ist, so ist das Buch, welches sie ausmachen,

ein

(o)
ſey eine Uebereinſtimmung des Mannigfaltigen.
Dieſes Mannigfaltige kan auf vielerley Art, und
unzaͤhlige Mahl verſetzet werden, und es bleibt doch
allemahl eine gewiſſe Ubereinſtimmung in demſel-
ben uͤbrig. Da nun das Mannigfaltige auf un-
terſchiedliche Art uͤbereinſtimmen kan; ſo ſtehet es
bey einem jeden, was er vor eine Uebereinſtimmung
der andern vorziehen will, und keiner iſt befugt,
mich einer Unordnung zu beſchuldigen, wenn ich et-
wa das Mannigfaltige von einer andern Seite an-
geſehen habe, als er. Soll dieſes nicht wahr ſeyn;
So muͤſte in der Muſick nur eine eintzige Melodey
ſtatt haben. Denn die Melodey iſt nichts anders,
als eine harmonirende Menge unterſchiedener Toͤne.
Haͤtte nun in dem Mannigfaltigen nur eine einzige
Ubereinſtimmung ſtatt; So muͤſte auch in der Mu-
ſick nur eine einzige Harmonie unterſchiedener Toͤne
die rechte ſeyn, und alle andere Miſchungen dieſer
Toͤne uͤbel klingen. Dieſes iſt laͤcherlich. Folglich
kan ein jeder das Mannigfaltige, mit dem er zu thun
hat, mengen, wie er will, und diejenige Uberein-
ſtimmung deſſelben wehlen, die ihm die beſte ſcheinet.

Es waͤre viel, wenn bloß den elenden Scriben-
ten dieſes nicht frey ſtehen, und ein jeder Spoͤtter
berechtiget ſeyn ſolte, ihre Schriften vor unordent-
lich zu ſchelten, wenn ſie das Mannigfaltige, wor-
aus ſie beſtehen, nicht nach ſeiner Phantaſie ge-
miſchet haben. Die elenden Scribenten ſchreiben
Buͤcher: Ein Buch iſt eigentlich nichts, als eine
Menge mit Buchſtaben befchriebener Blaͤtter.
Wenn unter dieſen Buchſtaben eine Uebereinſtim-
mung iſt, ſo iſt das Buch, welches ſie ausmachen,

ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0638" n="546"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
&#x017F;ey eine Ueberein&#x017F;timmung des Mannigfaltigen.<lb/>
Die&#x017F;es Mannigfaltige kan auf vielerley Art, und<lb/>
unza&#x0364;hlige Mahl ver&#x017F;etzet werden, und es bleibt doch<lb/>
allemahl eine gewi&#x017F;&#x017F;e Uberein&#x017F;timmung in dem&#x017F;el-<lb/>
ben u&#x0364;brig. Da nun das Mannigfaltige auf un-<lb/>
ter&#x017F;chiedliche Art u&#x0364;berein&#x017F;timmen kan; &#x017F;o &#x017F;tehet es<lb/>
bey einem jeden, was er vor eine Ueberein&#x017F;timmung<lb/>
der andern vorziehen will, und keiner i&#x017F;t befugt,<lb/>
mich einer Unordnung zu be&#x017F;chuldigen, wenn ich et-<lb/>
wa das Mannigfaltige von einer andern Seite an-<lb/>
ge&#x017F;ehen habe, als er. Soll die&#x017F;es nicht wahr &#x017F;eyn;<lb/>
So mu&#x0364;&#x017F;te in der Mu&#x017F;ick nur eine eintzige Melodey<lb/>
&#x017F;tatt haben. Denn die Melodey i&#x017F;t nichts anders,<lb/>
als eine harmonirende Menge unter&#x017F;chiedener To&#x0364;ne.<lb/>
Ha&#x0364;tte nun in dem Mannigfaltigen nur eine einzige<lb/>
Uberein&#x017F;timmung &#x017F;tatt; So mu&#x0364;&#x017F;te auch in der Mu-<lb/>
&#x017F;ick nur eine einzige Harmonie unter&#x017F;chiedener To&#x0364;ne<lb/>
die rechte &#x017F;eyn, und alle andere Mi&#x017F;chungen die&#x017F;er<lb/>
To&#x0364;ne u&#x0364;bel klingen. Die&#x017F;es i&#x017F;t la&#x0364;cherlich. Folglich<lb/>
kan ein jeder das Mannigfaltige, mit dem er zu thun<lb/>
hat, mengen, wie er will, und diejenige Uberein-<lb/>
&#x017F;timmung de&#x017F;&#x017F;elben wehlen, die ihm die be&#x017F;te &#x017F;cheinet.</p><lb/>
          <p>Es wa&#x0364;re viel, wenn bloß den elenden Scriben-<lb/>
ten die&#x017F;es nicht frey &#x017F;tehen, und ein jeder Spo&#x0364;tter<lb/>
berechtiget &#x017F;eyn &#x017F;olte, ihre Schriften vor unordent-<lb/>
lich zu &#x017F;chelten, wenn &#x017F;ie das Mannigfaltige, wor-<lb/>
aus &#x017F;ie be&#x017F;tehen, nicht nach &#x017F;einer Phanta&#x017F;ie ge-<lb/>
mi&#x017F;chet haben. Die elenden Scribenten &#x017F;chreiben<lb/>
Bu&#x0364;cher: Ein Buch i&#x017F;t eigentlich nichts, als eine<lb/>
Menge mit Buch&#x017F;taben befchriebener Bla&#x0364;tter.<lb/>
Wenn unter die&#x017F;en Buch&#x017F;taben eine Ueberein&#x017F;tim-<lb/>
mung i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t das Buch, welches &#x017F;ie ausmachen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[546/0638] (o) ſey eine Uebereinſtimmung des Mannigfaltigen. Dieſes Mannigfaltige kan auf vielerley Art, und unzaͤhlige Mahl verſetzet werden, und es bleibt doch allemahl eine gewiſſe Ubereinſtimmung in demſel- ben uͤbrig. Da nun das Mannigfaltige auf un- terſchiedliche Art uͤbereinſtimmen kan; ſo ſtehet es bey einem jeden, was er vor eine Uebereinſtimmung der andern vorziehen will, und keiner iſt befugt, mich einer Unordnung zu beſchuldigen, wenn ich et- wa das Mannigfaltige von einer andern Seite an- geſehen habe, als er. Soll dieſes nicht wahr ſeyn; So muͤſte in der Muſick nur eine eintzige Melodey ſtatt haben. Denn die Melodey iſt nichts anders, als eine harmonirende Menge unterſchiedener Toͤne. Haͤtte nun in dem Mannigfaltigen nur eine einzige Ubereinſtimmung ſtatt; So muͤſte auch in der Mu- ſick nur eine einzige Harmonie unterſchiedener Toͤne die rechte ſeyn, und alle andere Miſchungen dieſer Toͤne uͤbel klingen. Dieſes iſt laͤcherlich. Folglich kan ein jeder das Mannigfaltige, mit dem er zu thun hat, mengen, wie er will, und diejenige Uberein- ſtimmung deſſelben wehlen, die ihm die beſte ſcheinet. Es waͤre viel, wenn bloß den elenden Scriben- ten dieſes nicht frey ſtehen, und ein jeder Spoͤtter berechtiget ſeyn ſolte, ihre Schriften vor unordent- lich zu ſchelten, wenn ſie das Mannigfaltige, wor- aus ſie beſtehen, nicht nach ſeiner Phantaſie ge- miſchet haben. Die elenden Scribenten ſchreiben Buͤcher: Ein Buch iſt eigentlich nichts, als eine Menge mit Buchſtaben befchriebener Blaͤtter. Wenn unter dieſen Buchſtaben eine Uebereinſtim- mung iſt, ſo iſt das Buch, welches ſie ausmachen, ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/638
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/638>, abgerufen am 25.11.2024.