Klagen, welche die guten Scribenten über unsere Hartnäckigkeit führen, zeigen deutlich, daß sie die Eitelkeit ihres Beginnens selbst erkennen. Sie müssen also auch wider ihren Willen gestehen, daß Leute, die so sehr von sich eingenommen sind, daß man ihnen auf keinerley Weise die süsse Einbildung von ihrer Vortreflichkeit, und die daher fliessende Zufriedenheit mit ihrem Zustande rauben kan, die allerglückseeligsten Creaturen sind. Jst es nun nicht, wie der Pater Garasse sagt, barbarisch ge- handelt, wenn man seinem Neben-Christen sein Glück nicht gönnet? Diesesheisset die Boßheit aufs höchste treiben; und unsere Feinde solten sich also schämen, von uns zu verlangen, daß wir die Ver- nunft gebrauchen sollen. Es ist dieses ein Ansinnen, so nicht höflicher und christlicher heraus kömmt, als wenn ich einen ersuchen wolte, er möchte doch so gut seyn, und sich von einem Felsen herabstürtzen; Und könn- ten unsere Feinde uns zu der Thorheit verleiten, so wäre es um uns geschehen, und würden wir hin- fort keine fröhliche Stunde haben.
Denn mit dem Gebrauch der Vernunft kan die Zufriedenheit, die uns so glücklich macht, und uns vor unsern Feinden einen so grossen Vorzug giebt, unmöglich bestehen. So bald wir der Vernunft zu viel Willen lassen, nimmt sie sich Freyheiten heraus, die unerträglich sind. Sie hat die böse Gewohnheit, daß sie allen, die ihr zu viel Gehör geben, den vermaledeyten Rath giebt, sie solten suchen, sich selbst kennen zu lernen. Das wäre uns elenden Scribenten eben Recht. Der Mangel der Selbst-Erkänntniß ist der einzige Grund unserer
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Klagen, welche die guten Scribenten uͤber unſere Hartnaͤckigkeit fuͤhren, zeigen deutlich, daß ſie die Eitelkeit ihres Beginnens ſelbſt erkennen. Sie muͤſſen alſo auch wider ihren Willen geſtehen, daß Leute, die ſo ſehr von ſich eingenommen ſind, daß man ihnen auf keinerley Weiſe die ſuͤſſe Einbildung von ihrer Vortreflichkeit, und die daher flieſſende Zufriedenheit mit ihrem Zuſtande rauben kan, die allergluͤckſeeligſten Creaturen ſind. Jſt es nun nicht, wie der Pater Garaſſe ſagt, barbariſch ge- handelt, wenn man ſeinem Neben-Chriſten ſein Gluͤck nicht goͤnnet? Dieſesheiſſet die Boßheit aufs hoͤchſte treiben; und unſere Feinde ſolten ſich alſo ſchaͤmen, von uns zu verlangen, daß wir die Ver- nunft gebrauchen ſollen. Es iſt dieſes ein Anſinnen, ſo nicht hoͤflicher und chriſtlicher heraus koͤm̃t, als wenn ich einen erſuchen wolte, er moͤchte doch ſo gut ſeyn, und ſich von einem Felſen herabſtuͤrtzen; Und koͤnn- ten unſere Feinde uns zu der Thorheit verleiten, ſo waͤre es um uns geſchehen, und wuͤrden wir hin- fort keine froͤhliche Stunde haben.
Denn mit dem Gebrauch der Vernunft kan die Zufriedenheit, die uns ſo gluͤcklich macht, und uns vor unſern Feinden einen ſo groſſen Vorzug giebt, unmoͤglich beſtehen. So bald wir der Vernunft zu viel Willen laſſen, nimmt ſie ſich Freyheiten heraus, die unertraͤglich ſind. Sie hat die boͤſe Gewohnheit, daß ſie allen, die ihr zu viel Gehoͤr geben, den vermaledeyten Rath giebt, ſie ſolten ſuchen, ſich ſelbſt kennen zu lernen. Das waͤre uns elenden Scribenten eben Recht. Der Mangel der Selbſt-Erkaͤnntniß iſt der einzige Grund unſerer
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Klagen, welche die guten Scribenten uͤber unſere
Hartnaͤckigkeit fuͤhren, zeigen deutlich, daß ſie die
Eitelkeit ihres Beginnens ſelbſt erkennen. Sie
muͤſſen alſo auch wider ihren Willen geſtehen, daß
Leute, die ſo ſehr von ſich eingenommen ſind, daß
man ihnen auf keinerley Weiſe die ſuͤſſe Einbildung
von ihrer Vortreflichkeit, und die daher flieſſende
Zufriedenheit mit ihrem Zuſtande rauben kan, die
allergluͤckſeeligſten Creaturen ſind. Jſt es nun
nicht, wie der Pater Garaſſe ſagt, barbariſch ge-
handelt, wenn man ſeinem Neben-Chriſten ſein
Gluͤck nicht goͤnnet? Dieſesheiſſet die Boßheit aufs
hoͤchſte treiben; und unſere Feinde ſolten ſich alſo
ſchaͤmen, von uns zu verlangen, daß wir die Ver-
nunft gebrauchen ſollen. Es iſt dieſes ein Anſinnen, ſo
nicht hoͤflicher und chriſtlicher heraus koͤm̃t, als wenn
ich einen erſuchen wolte, er moͤchte doch ſo gut ſeyn,
und ſich von einem Felſen herabſtuͤrtzen; Und koͤnn-
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waͤre es um uns geſchehen, und wuͤrden wir hin-
fort keine froͤhliche Stunde haben.
Denn mit dem Gebrauch der Vernunft kan die
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vor unſern Feinden einen ſo groſſen Vorzug giebt,
unmoͤglich beſtehen. So bald wir der Vernunft
zu viel Willen laſſen, nimmt ſie ſich Freyheiten
heraus, die unertraͤglich ſind. Sie hat die boͤſe
Gewohnheit, daß ſie allen, die ihr zu viel Gehoͤr
geben, den vermaledeyten Rath giebt, ſie ſolten
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/629>, abgerufen am 22.11.2024.
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