gelobet: Weil niemand leicht an Sachen, die er nicht verstehet, Geschmack findet. Tantum quis- que laudat quantum se posse sperat imitari(32). Die guten Scribenten sind naseweise und wollen alle Welt meistern. Sie tadeln die gemeinen Thorheiten, und haben das Hertz, die Wahrheit zu sagen, die doch so bitter ist. Dieses setzt kein gut Geblüt zwischen ihnen, und den meisten ihrer Leser, und bringt ihnen keinen andern Vortheil, als daß man sie vor eigensinnige Grillenfänger hält, und auslachet.
"Hos populus ridet multumque torosajuven- tus "Ingeminat tremulos naso crispante cachin- nos(33).
Ja man siehet sie vor gefährliche, unruhige Köpfe an, und hasset sie. Die guten Scribenten sind viel zu klug, als daß sie dieses nicht mercken solten. Sie wissen es, und sind sich, wenn sie sich recht besinnen, selbst desfals gram. Sie erkennen auch, daß aller Haß, den der gröste Haufe gegen sie, und die Verachtung, welche er gegen ihre Schriften blicken lässet, bloß daher rühret, weil sie ihre Ver- nunft, wider die Gewohnheit des menschlichen Ge- schlechts, gar zu sehr gebrauchen, und es ist kein Zweifel, daß sie, ins geheim, die Vernunft, als eine Quelle ihres Unglücks oft verfluchen. Cicero wenigstens hat gegen einen seiner besten Freunde, in Vertrauen, aufrichtig gestanden, daß er was
darum
(32)Cicero in Oratore.
(33)Persias Sat. 3.
(o)
gelobet: Weil niemand leicht an Sachen, die er nicht verſtehet, Geſchmack findet. Tantum quis- que laudat quantum ſe poſſe ſperat imitari(32). Die guten Scribenten ſind naſeweiſe und wollen alle Welt meiſtern. Sie tadeln die gemeinen Thorheiten, und haben das Hertz, die Wahrheit zu ſagen, die doch ſo bitter iſt. Dieſes ſetzt kein gut Gebluͤt zwiſchen ihnen, und den meiſten ihrer Leſer, und bringt ihnen keinen andern Vortheil, als daß man ſie vor eigenſinnige Grillenfaͤnger haͤlt, und auslachet.
“Hos populus ridet multumque toroſajuven- tus “Ingeminat tremulos naſo crispante cachin- nos(33).
Ja man ſiehet ſie vor gefaͤhrliche, unruhige Koͤpfe an, und haſſet ſie. Die guten Scribenten ſind viel zu klug, als daß ſie dieſes nicht mercken ſolten. Sie wiſſen es, und ſind ſich, wenn ſie ſich recht beſinnen, ſelbſt desfals gram. Sie erkennen auch, daß aller Haß, den der groͤſte Haufe gegen ſie, und die Verachtung, welche er gegen ihre Schriften blicken laͤſſet, bloß daher ruͤhret, weil ſie ihre Ver- nunft, wider die Gewohnheit des menſchlichen Ge- ſchlechts, gar zu ſehr gebrauchen, und es iſt kein Zweifel, daß ſie, ins geheim, die Vernunft, als eine Quelle ihres Ungluͤcks oft verfluchen. Cicero wenigſtens hat gegen einen ſeiner beſten Freunde, in Vertrauen, aufrichtig geſtanden, daß er was
darum
(32)Cicero in Oratore.
(33)Perſias Sat. 3.
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(o)
gelobet: Weil niemand leicht an Sachen, die er
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Die guten Scribenten ſind naſeweiſe und wollen
alle Welt meiſtern. Sie tadeln die gemeinen
Thorheiten, und haben das Hertz, die Wahrheit
zu ſagen, die doch ſo bitter iſt. Dieſes ſetzt kein
gut Gebluͤt zwiſchen ihnen, und den meiſten ihrer
Leſer, und bringt ihnen keinen andern Vortheil,
als daß man ſie vor eigenſinnige Grillenfaͤnger haͤlt,
und auslachet.
“Hos populus ridet multumque toroſajuven-
tus
“Ingeminat tremulos naſo crispante cachin-
nos (33).
Ja man ſiehet ſie vor gefaͤhrliche, unruhige Koͤpfe
an, und haſſet ſie. Die guten Scribenten ſind
viel zu klug, als daß ſie dieſes nicht mercken ſolten.
Sie wiſſen es, und ſind ſich, wenn ſie ſich recht
beſinnen, ſelbſt desfals gram. Sie erkennen auch,
daß aller Haß, den der groͤſte Haufe gegen ſie, und
die Verachtung, welche er gegen ihre Schriften
blicken laͤſſet, bloß daher ruͤhret, weil ſie ihre Ver-
nunft, wider die Gewohnheit des menſchlichen Ge-
ſchlechts, gar zu ſehr gebrauchen, und es iſt kein
Zweifel, daß ſie, ins geheim, die Vernunft, als
eine Quelle ihres Ungluͤcks oft verfluchen. Cicero
wenigſtens hat gegen einen ſeiner beſten Freunde,
in Vertrauen, aufrichtig geſtanden, daß er was
darum
(32) Cicero in Oratore.
(33) Perſias Sat. 3.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/615>, abgerufen am 25.11.2024.
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