Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
ten, von unsern Absichten, und dem Werth unse-
rer Schriften zu urtheilen?

Jch habe mich begnüget bißhero zu erweisen,
daß der Vernunft dieses nicht zukomme, und wir
also nichts lächerliches begehen, wenn wir diesel-
be, bey Verfertigung unserer Schriften nicht zu
Rathe ziehen. Aber ich will weiter gehen, und ge-
traue mir, zu behaupten, daß eben die Verachtung
der Vernunft, woraus unsere Feinde ein so grosses
Verbrechen machen, der Grund unserer Vortref-
lichkeit, und derjenigen Vorzüge sey, die uns so weit
über unsere Feinde erheben.

Ein sehr altes scythisches Sprichwort sagt;
Daß es eine grössere Kunst sey, aus einem ledigen,
als aus einem vollen Glase zu trincken: Und mich
deucht, daß also, wenn die Vernunft zu Verfer-
tigung einer Schrift so unumgänglich nöthig ist,
als die guten Scribenten wollen, einer, der ohne
Vernunft ein Buch schreiben kan, weit vortrefli-
cher, und mehr zu bewundern ist, als einer, der,
wenn er etwas zu Papier bringen will, allemahl
seine Vernunft zu Hülfe nehmen muß. Man muß
nicht meinen, daß die Bücher, die ohne Vernunft
geschrieben werden, nicht so wohl gerathen, als
diejenigen, die mit Verstand gemacht sind. Denn
es giebt Bücher, die unstreitig ohne Zuthun der
Vernunft verfertiget, und doch so wohl gerathen
sind, daß selbst unsere Feinde darüber erstaunen.
Jst es möglich, schreyen sie gemeiniglich, daß ein
vernünftiger Mensch dergleichen Zeug schreiben kön-
ne? Ja ich habe mit meinen Ohren gehöret, daß
einer, dem die höchst unvernünftigen Gedancken

eines
K k

(o)
ten, von unſern Abſichten, und dem Werth unſe-
rer Schriften zu urtheilen?

Jch habe mich begnuͤget bißhero zu erweiſen,
daß der Vernunft dieſes nicht zukomme, und wir
alſo nichts laͤcherliches begehen, wenn wir dieſel-
be, bey Verfertigung unſerer Schriften nicht zu
Rathe ziehen. Aber ich will weiter gehen, und ge-
traue mir, zu behaupten, daß eben die Verachtung
der Vernunft, woraus unſere Feinde ein ſo groſſes
Verbrechen machen, der Grund unſerer Vortref-
lichkeit, und derjenigen Vorzuͤge ſey, die uns ſo weit
uͤber unſere Feinde erheben.

Ein ſehr altes ſcythiſches Sprichwort ſagt;
Daß es eine groͤſſere Kunſt ſey, aus einem ledigen,
als aus einem vollen Glaſe zu trincken: Und mich
deucht, daß alſo, wenn die Vernunft zu Verfer-
tigung einer Schrift ſo unumgaͤnglich noͤthig iſt,
als die guten Scribenten wollen, einer, der ohne
Vernunft ein Buch ſchreiben kan, weit vortrefli-
cher, und mehr zu bewundern iſt, als einer, der,
wenn er etwas zu Papier bringen will, allemahl
ſeine Vernunft zu Huͤlfe nehmen muß. Man muß
nicht meinen, daß die Buͤcher, die ohne Vernunft
geſchrieben werden, nicht ſo wohl gerathen, als
diejenigen, die mit Verſtand gemacht ſind. Denn
es giebt Buͤcher, die unſtreitig ohne Zuthun der
Vernunft verfertiget, und doch ſo wohl gerathen
ſind, daß ſelbſt unſere Feinde daruͤber erſtaunen.
Jſt es moͤglich, ſchreyen ſie gemeiniglich, daß ein
vernuͤnftiger Menſch dergleichen Zeug ſchreiben koͤn-
ne? Ja ich habe mit meinen Ohren gehoͤret, daß
einer, dem die hoͤchſt unvernuͤnftigen Gedancken

eines
K k
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0605" n="513"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
ten, von un&#x017F;ern Ab&#x017F;ichten, und dem Werth un&#x017F;e-<lb/>
rer Schriften zu urtheilen?</p><lb/>
          <p>Jch habe mich begnu&#x0364;get bißhero zu erwei&#x017F;en,<lb/>
daß der Vernunft die&#x017F;es nicht zukomme, und wir<lb/>
al&#x017F;o nichts la&#x0364;cherliches begehen, wenn wir die&#x017F;el-<lb/>
be, bey Verfertigung un&#x017F;erer Schriften nicht zu<lb/>
Rathe ziehen. Aber ich will weiter gehen, und ge-<lb/>
traue mir, zu behaupten, daß eben die Verachtung<lb/>
der Vernunft, woraus un&#x017F;ere Feinde ein &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Verbrechen machen, der Grund un&#x017F;erer Vortref-<lb/>
lichkeit, und derjenigen Vorzu&#x0364;ge &#x017F;ey, die uns &#x017F;o weit<lb/>
u&#x0364;ber un&#x017F;ere Feinde erheben.</p><lb/>
          <p>Ein &#x017F;ehr altes &#x017F;cythi&#x017F;ches Sprichwort &#x017F;agt;<lb/>
Daß es eine gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Kun&#x017F;t &#x017F;ey, aus einem ledigen,<lb/>
als aus einem vollen Gla&#x017F;e zu trincken: Und mich<lb/>
deucht, daß al&#x017F;o, wenn die Vernunft zu Verfer-<lb/>
tigung einer Schrift &#x017F;o unumga&#x0364;nglich no&#x0364;thig i&#x017F;t,<lb/>
als die guten Scribenten wollen, einer, der ohne<lb/>
Vernunft ein Buch &#x017F;chreiben kan, weit vortrefli-<lb/>
cher, und mehr zu bewundern i&#x017F;t, als einer, der,<lb/>
wenn er etwas zu Papier bringen will, allemahl<lb/>
&#x017F;eine Vernunft zu Hu&#x0364;lfe nehmen muß. Man muß<lb/>
nicht meinen, daß die Bu&#x0364;cher, die ohne Vernunft<lb/>
ge&#x017F;chrieben werden, nicht &#x017F;o wohl gerathen, als<lb/>
diejenigen, die mit Ver&#x017F;tand gemacht &#x017F;ind. Denn<lb/>
es giebt Bu&#x0364;cher, die un&#x017F;treitig ohne Zuthun der<lb/>
Vernunft verfertiget, und doch &#x017F;o wohl gerathen<lb/>
&#x017F;ind, daß &#x017F;elb&#x017F;t un&#x017F;ere Feinde daru&#x0364;ber er&#x017F;taunen.<lb/>
J&#x017F;t es mo&#x0364;glich, &#x017F;chreyen &#x017F;ie gemeiniglich, daß ein<lb/>
vernu&#x0364;nftiger Men&#x017F;ch dergleichen Zeug &#x017F;chreiben ko&#x0364;n-<lb/>
ne? Ja ich habe mit meinen Ohren geho&#x0364;ret, daß<lb/>
einer, dem die ho&#x0364;ch&#x017F;t unvernu&#x0364;nftigen Gedancken<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k</fw><fw place="bottom" type="catch">eines</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[513/0605] (o) ten, von unſern Abſichten, und dem Werth unſe- rer Schriften zu urtheilen? Jch habe mich begnuͤget bißhero zu erweiſen, daß der Vernunft dieſes nicht zukomme, und wir alſo nichts laͤcherliches begehen, wenn wir dieſel- be, bey Verfertigung unſerer Schriften nicht zu Rathe ziehen. Aber ich will weiter gehen, und ge- traue mir, zu behaupten, daß eben die Verachtung der Vernunft, woraus unſere Feinde ein ſo groſſes Verbrechen machen, der Grund unſerer Vortref- lichkeit, und derjenigen Vorzuͤge ſey, die uns ſo weit uͤber unſere Feinde erheben. Ein ſehr altes ſcythiſches Sprichwort ſagt; Daß es eine groͤſſere Kunſt ſey, aus einem ledigen, als aus einem vollen Glaſe zu trincken: Und mich deucht, daß alſo, wenn die Vernunft zu Verfer- tigung einer Schrift ſo unumgaͤnglich noͤthig iſt, als die guten Scribenten wollen, einer, der ohne Vernunft ein Buch ſchreiben kan, weit vortrefli- cher, und mehr zu bewundern iſt, als einer, der, wenn er etwas zu Papier bringen will, allemahl ſeine Vernunft zu Huͤlfe nehmen muß. Man muß nicht meinen, daß die Buͤcher, die ohne Vernunft geſchrieben werden, nicht ſo wohl gerathen, als diejenigen, die mit Verſtand gemacht ſind. Denn es giebt Buͤcher, die unſtreitig ohne Zuthun der Vernunft verfertiget, und doch ſo wohl gerathen ſind, daß ſelbſt unſere Feinde daruͤber erſtaunen. Jſt es moͤglich, ſchreyen ſie gemeiniglich, daß ein vernuͤnftiger Menſch dergleichen Zeug ſchreiben koͤn- ne? Ja ich habe mit meinen Ohren gehoͤret, daß einer, dem die hoͤchſt unvernuͤnftigen Gedancken eines K k

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/605
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/605>, abgerufen am 22.11.2024.