ten, von unsern Absichten, und dem Werth unse- rer Schriften zu urtheilen?
Jch habe mich begnüget bißhero zu erweisen, daß der Vernunft dieses nicht zukomme, und wir also nichts lächerliches begehen, wenn wir diesel- be, bey Verfertigung unserer Schriften nicht zu Rathe ziehen. Aber ich will weiter gehen, und ge- traue mir, zu behaupten, daß eben die Verachtung der Vernunft, woraus unsere Feinde ein so grosses Verbrechen machen, der Grund unserer Vortref- lichkeit, und derjenigen Vorzüge sey, die uns so weit über unsere Feinde erheben.
Ein sehr altes scythisches Sprichwort sagt; Daß es eine grössere Kunst sey, aus einem ledigen, als aus einem vollen Glase zu trincken: Und mich deucht, daß also, wenn die Vernunft zu Verfer- tigung einer Schrift so unumgänglich nöthig ist, als die guten Scribenten wollen, einer, der ohne Vernunft ein Buch schreiben kan, weit vortrefli- cher, und mehr zu bewundern ist, als einer, der, wenn er etwas zu Papier bringen will, allemahl seine Vernunft zu Hülfe nehmen muß. Man muß nicht meinen, daß die Bücher, die ohne Vernunft geschrieben werden, nicht so wohl gerathen, als diejenigen, die mit Verstand gemacht sind. Denn es giebt Bücher, die unstreitig ohne Zuthun der Vernunft verfertiget, und doch so wohl gerathen sind, daß selbst unsere Feinde darüber erstaunen. Jst es möglich, schreyen sie gemeiniglich, daß ein vernünftiger Mensch dergleichen Zeug schreiben kön- ne? Ja ich habe mit meinen Ohren gehöret, daß einer, dem die höchst unvernünftigen Gedancken
eines
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(o)
ten, von unſern Abſichten, und dem Werth unſe- rer Schriften zu urtheilen?
Jch habe mich begnuͤget bißhero zu erweiſen, daß der Vernunft dieſes nicht zukomme, und wir alſo nichts laͤcherliches begehen, wenn wir dieſel- be, bey Verfertigung unſerer Schriften nicht zu Rathe ziehen. Aber ich will weiter gehen, und ge- traue mir, zu behaupten, daß eben die Verachtung der Vernunft, woraus unſere Feinde ein ſo groſſes Verbrechen machen, der Grund unſerer Vortref- lichkeit, und derjenigen Vorzuͤge ſey, die uns ſo weit uͤber unſere Feinde erheben.
Ein ſehr altes ſcythiſches Sprichwort ſagt; Daß es eine groͤſſere Kunſt ſey, aus einem ledigen, als aus einem vollen Glaſe zu trincken: Und mich deucht, daß alſo, wenn die Vernunft zu Verfer- tigung einer Schrift ſo unumgaͤnglich noͤthig iſt, als die guten Scribenten wollen, einer, der ohne Vernunft ein Buch ſchreiben kan, weit vortrefli- cher, und mehr zu bewundern iſt, als einer, der, wenn er etwas zu Papier bringen will, allemahl ſeine Vernunft zu Huͤlfe nehmen muß. Man muß nicht meinen, daß die Buͤcher, die ohne Vernunft geſchrieben werden, nicht ſo wohl gerathen, als diejenigen, die mit Verſtand gemacht ſind. Denn es giebt Buͤcher, die unſtreitig ohne Zuthun der Vernunft verfertiget, und doch ſo wohl gerathen ſind, daß ſelbſt unſere Feinde daruͤber erſtaunen. Jſt es moͤglich, ſchreyen ſie gemeiniglich, daß ein vernuͤnftiger Menſch dergleichen Zeug ſchreiben koͤn- ne? Ja ich habe mit meinen Ohren gehoͤret, daß einer, dem die hoͤchſt unvernuͤnftigen Gedancken
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ten, von unſern Abſichten, und dem Werth unſe-
rer Schriften zu urtheilen?
Jch habe mich begnuͤget bißhero zu erweiſen,
daß der Vernunft dieſes nicht zukomme, und wir
alſo nichts laͤcherliches begehen, wenn wir dieſel-
be, bey Verfertigung unſerer Schriften nicht zu
Rathe ziehen. Aber ich will weiter gehen, und ge-
traue mir, zu behaupten, daß eben die Verachtung
der Vernunft, woraus unſere Feinde ein ſo groſſes
Verbrechen machen, der Grund unſerer Vortref-
lichkeit, und derjenigen Vorzuͤge ſey, die uns ſo weit
uͤber unſere Feinde erheben.
Ein ſehr altes ſcythiſches Sprichwort ſagt;
Daß es eine groͤſſere Kunſt ſey, aus einem ledigen,
als aus einem vollen Glaſe zu trincken: Und mich
deucht, daß alſo, wenn die Vernunft zu Verfer-
tigung einer Schrift ſo unumgaͤnglich noͤthig iſt,
als die guten Scribenten wollen, einer, der ohne
Vernunft ein Buch ſchreiben kan, weit vortrefli-
cher, und mehr zu bewundern iſt, als einer, der,
wenn er etwas zu Papier bringen will, allemahl
ſeine Vernunft zu Huͤlfe nehmen muß. Man muß
nicht meinen, daß die Buͤcher, die ohne Vernunft
geſchrieben werden, nicht ſo wohl gerathen, als
diejenigen, die mit Verſtand gemacht ſind. Denn
es giebt Buͤcher, die unſtreitig ohne Zuthun der
Vernunft verfertiget, und doch ſo wohl gerathen
ſind, daß ſelbſt unſere Feinde daruͤber erſtaunen.
Jſt es moͤglich, ſchreyen ſie gemeiniglich, daß ein
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/605>, abgerufen am 22.11.2024.
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