nunft mehr Theil an unsern Schriften hat, als un- sere Feinde glauben? Wären wir so gar albern, als unsere Feinde uns ausschreyen, so würde die gelehr- te Welt keine Zeile von unsern Händen sehen. Aber so verachten wir die Vernunft so lange sie sich in ihren Schrancken hält, und als eine Dienerin un- serer Begierden aufführet, gar nicht. Wir fol- gen ihr willig, wenn sie uns einen Rath giebt, der zu Beförderung unserer Absichten dienet. So bald sie sich aber ein mehrers herausnimmt, un- sern Begierden widerspricht, und über unsere Ab- sichten urtheilen will, so legen wir ihr ein ewiges Stillschweigen auf, und thun ihr allen ersinnli- chen Verdruß an.
Wenn die Vernunft zu Philippi sagt: Schicke deine Schriften nach Hamburg, damit sie daselbst den Verleger finden, den du an denen Orten, da man dich kennet, vergebens suchest, so spricht er: Wahrlich das ist ein guter Rath, und thut was die Vernunft haben will. Sagt sie aber zu ihm: Schreibe nicht; du taugst nicht dazu: die Leute la- chen dich nur aus: so wird er unwillig, hält beyde Ohren zu, und dencket, seine Vernunft sey von sei- nen Feinden bestochen. Sie soll sich, wie man sagt, neulich die Freyheit genommen haben, ihm dieses plumpe Compliment zu machen: Aber er hat sie so zugerichtet, daß sie ins künftige ihr Maul wohl halten wird. Du hast wohl daran gethan, allerliebster Bruder, denn wie übel würden wir nicht daran seyn, wenn wir unserer Vernunft, die nur gemacht ist zu gehorchen, eine Herrschaft über unsere Begierden einräumen, und ihr gestatten wol-
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nunft mehr Theil an unſern Schriften hat, als un- ſere Feinde glauben? Waͤren wir ſo gar albern, als unſere Feinde uns ausſchreyen, ſo wuͤrde die gelehr- te Welt keine Zeile von unſern Haͤnden ſehen. Aber ſo verachten wir die Vernunft ſo lange ſie ſich in ihren Schrancken haͤlt, und als eine Dienerin un- ſerer Begierden auffuͤhret, gar nicht. Wir fol- gen ihr willig, wenn ſie uns einen Rath giebt, der zu Befoͤrderung unſerer Abſichten dienet. So bald ſie ſich aber ein mehrers herausnimmt, un- ſern Begierden widerſpricht, und uͤber unſere Ab- ſichten urtheilen will, ſo legen wir ihr ein ewiges Stillſchweigen auf, und thun ihr allen erſinnli- chen Verdruß an.
Wenn die Vernunft zu Philippi ſagt: Schicke deine Schriften nach Hamburg, damit ſie daſelbſt den Verleger finden, den du an denen Orten, da man dich kennet, vergebens ſucheſt, ſo ſpricht er: Wahrlich das iſt ein guter Rath, und thut was die Vernunft haben will. Sagt ſie aber zu ihm: Schreibe nicht; du taugſt nicht dazu: die Leute la- chen dich nur aus: ſo wird er unwillig, haͤlt beyde Ohren zu, und dencket, ſeine Vernunft ſey von ſei- nen Feinden beſtochen. Sie ſoll ſich, wie man ſagt, neulich die Freyheit genommen haben, ihm dieſes plumpe Compliment zu machen: Aber er hat ſie ſo zugerichtet, daß ſie ins kuͤnftige ihr Maul wohl halten wird. Du haſt wohl daran gethan, allerliebſter Bruder, denn wie uͤbel wuͤrden wir nicht daran ſeyn, wenn wir unſerer Vernunft, die nur gemacht iſt zu gehorchen, eine Herrſchaft uͤber unſere Begierden einraͤumen, und ihr geſtatten wol-
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nunft mehr Theil an unſern Schriften hat, als un-
ſere Feinde glauben? Waͤren wir ſo gar albern, als
unſere Feinde uns ausſchreyen, ſo wuͤrde die gelehr-
te Welt keine Zeile von unſern Haͤnden ſehen. Aber
ſo verachten wir die Vernunft ſo lange ſie ſich in
ihren Schrancken haͤlt, und als eine Dienerin un-
ſerer Begierden auffuͤhret, gar nicht. Wir fol-
gen ihr willig, wenn ſie uns einen Rath giebt,
der zu Befoͤrderung unſerer Abſichten dienet. So
bald ſie ſich aber ein mehrers herausnimmt, un-
ſern Begierden widerſpricht, und uͤber unſere Ab-
ſichten urtheilen will, ſo legen wir ihr ein ewiges
Stillſchweigen auf, und thun ihr allen erſinnli-
chen Verdruß an.
Wenn die Vernunft zu Philippi ſagt: Schicke
deine Schriften nach Hamburg, damit ſie daſelbſt
den Verleger finden, den du an denen Orten, da
man dich kennet, vergebens ſucheſt, ſo ſpricht er:
Wahrlich das iſt ein guter Rath, und thut was
die Vernunft haben will. Sagt ſie aber zu ihm:
Schreibe nicht; du taugſt nicht dazu: die Leute la-
chen dich nur aus: ſo wird er unwillig, haͤlt beyde
Ohren zu, und dencket, ſeine Vernunft ſey von ſei-
nen Feinden beſtochen. Sie ſoll ſich, wie man
ſagt, neulich die Freyheit genommen haben, ihm
dieſes plumpe Compliment zu machen: Aber er hat
ſie ſo zugerichtet, daß ſie ins kuͤnftige ihr Maul
wohl halten wird. Du haſt wohl daran gethan,
allerliebſter Bruder, denn wie uͤbel wuͤrden wir
nicht daran ſeyn, wenn wir unſerer Vernunft, die
nur gemacht iſt zu gehorchen, eine Herrſchaft uͤber
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/604>, abgerufen am 22.11.2024.
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