Hund, sprechen sie, der gar zu kurtz angebunden" ist, giebt sich so leicht nicht zu frieden, als einer," dem die Länge der Kette, an welcher er liegt, die" Freyheit lässet, herumzugehen, und seine Gefan-" genschaft erträglich macht. Er stellet sich unge-" bärdig, heult, schreyt, springt, bemühet sich die" Kette zu zerreissen, und hält übel Hauß, wenn er" loß kömmt. Mit der Vernunft ist es eben so," und hat man Exempel, daß sie, wann man sie" gar zu kurtz gebunden gehabt, ihre Fessel zerbrochen," alles, was ihr vorgekommen, niedergerissen hat," und so unbändig geworden ist, daß man sie hernach" nimmer wieder hat zähmen können."
Andere hergegen behaupten; "Man müsse die" Vernunft so kurtz, als möglich, binden. Denn" sonst sey man nimmer vor derselben sicher, eben so" wenig als vor einem Ketten-Hunde, der gar zu" weit herumgehen kan. Es sey wahr, die Ver-" nunft liebe die Freyheit, und thue sehr übel, wenn" sie gar zu hart gefesselt sey. Es sey auch gefähr-" lich umgehen mit ihr, wenn sie in der Wut loß" käme. Aber es sey zu allem Rath. Man könne ihr" ja, im Falle der Noth, einen Knebel ins Maul stecken," so müste sie ihr Schreyen wohl lassen; und sie an" allen Vieren so fest binden, daß sie sich nicht rüh-" ren könnte, so wäre es nicht möglich, daß sie sich" loß risse. Ja die Vernunft sey so gar ungedultig" nicht, als man vorgäbe. Sie könnten wenig-" stens versichern, daß sie von der ihrigen, wie kurtz" sie auch angebunden sey, so wenig beunruhiget wür-" den, daß sie kaum merckten, daß sie noch lebe." Sie berufen sich desfalls auf ihre Reden und"
Schrif-
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(o)
Hund, ſprechen ſie, der gar zu kurtz angebunden„ iſt, giebt ſich ſo leicht nicht zu frieden, als einer,„ dem die Laͤnge der Kette, an welcher er liegt, die„ Freyheit laͤſſet, herumzugehen, und ſeine Gefan-„ genſchaft ertraͤglich macht. Er ſtellet ſich unge-„ baͤrdig, heult, ſchreyt, ſpringt, bemuͤhet ſich die„ Kette zu zerreiſſen, und haͤlt uͤbel Hauß, wenn er„ loß koͤmmt. Mit der Vernunft iſt es eben ſo,„ und hat man Exempel, daß ſie, wann man ſie„ gar zu kurtz gebunden gehabt, ihre Feſſel zerbrochen,„ alles, was ihr vorgekommen, niedergeriſſen hat,„ und ſo unbaͤndig geworden iſt, daß man ſie hernach„ nimmer wieder hat zaͤhmen koͤnnen.”
Andere hergegen behaupten; “Man muͤſſe die„ Vernunft ſo kurtz, als moͤglich, binden. Denn„ ſonſt ſey man nimmer vor derſelben ſicher, eben ſo„ wenig als vor einem Ketten-Hunde, der gar zu„ weit herumgehen kan. Es ſey wahr, die Ver-„ nunft liebe die Freyheit, und thue ſehr uͤbel, wenn„ ſie gar zu hart gefeſſelt ſey. Es ſey auch gefaͤhr-„ lich umgehen mit ihr, wenn ſie in der Wut loß„ kaͤme. Aber es ſey zu allem Rath. Man koͤnne ihr„ ja, im Falle der Noth, einen Knebel ins Maul ſtecken,„ ſo muͤſte ſie ihr Schreyen wohl laſſen; und ſie an„ allen Vieren ſo feſt binden, daß ſie ſich nicht ruͤh-„ ren koͤnnte, ſo waͤre es nicht moͤglich, daß ſie ſich„ loß riſſe. Ja die Vernunft ſey ſo gar ungedultig„ nicht, als man vorgaͤbe. Sie koͤnnten wenig-„ ſtens verſichern, daß ſie von der ihrigen, wie kurtz„ ſie auch angebunden ſey, ſo wenig beunruhiget wuͤr-„ den, daß ſie kaum merckten, daß ſie noch lebe.„ Sie berufen ſich desfalls auf ihre Reden und„
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Hund, ſprechen ſie, der gar zu kurtz angebunden„
iſt, giebt ſich ſo leicht nicht zu frieden, als einer,„
dem die Laͤnge der Kette, an welcher er liegt, die„
Freyheit laͤſſet, herumzugehen, und ſeine Gefan-„
genſchaft ertraͤglich macht. Er ſtellet ſich unge-„
baͤrdig, heult, ſchreyt, ſpringt, bemuͤhet ſich die„
Kette zu zerreiſſen, und haͤlt uͤbel Hauß, wenn er„
loß koͤmmt. Mit der Vernunft iſt es eben ſo,„
und hat man Exempel, daß ſie, wann man ſie„
gar zu kurtz gebunden gehabt, ihre Feſſel zerbrochen,„
alles, was ihr vorgekommen, niedergeriſſen hat,„
und ſo unbaͤndig geworden iſt, daß man ſie hernach„
nimmer wieder hat zaͤhmen koͤnnen.”
Andere hergegen behaupten; “Man muͤſſe die„
Vernunft ſo kurtz, als moͤglich, binden. Denn„
ſonſt ſey man nimmer vor derſelben ſicher, eben ſo„
wenig als vor einem Ketten-Hunde, der gar zu„
weit herumgehen kan. Es ſey wahr, die Ver-„
nunft liebe die Freyheit, und thue ſehr uͤbel, wenn„
ſie gar zu hart gefeſſelt ſey. Es ſey auch gefaͤhr-„
lich umgehen mit ihr, wenn ſie in der Wut loß„
kaͤme. Aber es ſey zu allem Rath. Man koͤnne ihr„
ja, im Falle der Noth, einen Knebel ins Maul ſtecken,„
ſo muͤſte ſie ihr Schreyen wohl laſſen; und ſie an„
allen Vieren ſo feſt binden, daß ſie ſich nicht ruͤh-„
ren koͤnnte, ſo waͤre es nicht moͤglich, daß ſie ſich„
loß riſſe. Ja die Vernunft ſey ſo gar ungedultig„
nicht, als man vorgaͤbe. Sie koͤnnten wenig-„
ſtens verſichern, daß ſie von der ihrigen, wie kurtz„
ſie auch angebunden ſey, ſo wenig beunruhiget wuͤr-„
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/595>, abgerufen am 25.11.2024.
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