ren, und der Aufrichtigkeit, und Unschuld ihrer Absichten überzeuget sind, so muß es sie nothwen- dig schmertzen, wenn man sie mit vernünftigen Einwürfen ängstiget, und alles, was sie sagen, meistert; Die Vernünftler thun dieses. Wie übel würden also unsere Lehrer nicht dran seyn, wenn alle ihre Zuhörer ihrer Vernunft zu vielen Willen liessen? Sie würden mit Furcht und Zit- tern die Cantzel betreten, und ihr Amt mit Seufzen thun; welches uns doch nicht gut ist.
Nicht allein aber die Geistlichen würden bey ei- nem allgemeinen Gebrauch der Vernunft übel fah- ren; sondern es würden auch andere Profeßionen ihre Rechnung nicht dabey finden. Man bedencke nur z. E. ob, wenn die Menschen ihre Vernunft allemahl zu Rathe zögen, die Richter und Advoca- ten wohl das liebe Brod haben würden? Ein jeder würde lieber einen geringen Schaden leiden, und sich mit seinem Widersacher in der Güte vertragen, als sich in einen langwierigen Proceß einlassen, der, wie es die Erfahrung lehret, allemahl zum Verder- ben beyder Partheyen gereichet.
Wären die Leute klug, so würden die Aertzte schmal beissen müssen.
"Si tout le monde avoit l'esprit de se conduire "Remede & Medecin seroit peu de saison (20).
Ein Krancker würde seine Natur walten lassen, und mit Msr. de Fresny(21) sprechen: "Quand un"
ma-"
(20)Je ne sai quoi pag. 151.
(21)Amusement serieux & comique pag. 49.
J i 2
(o)
ren, und der Aufrichtigkeit, und Unſchuld ihrer Abſichten uͤberzeuget ſind, ſo muß es ſie nothwen- dig ſchmertzen, wenn man ſie mit vernuͤnftigen Einwuͤrfen aͤngſtiget, und alles, was ſie ſagen, meiſtert; Die Vernuͤnftler thun dieſes. Wie uͤbel wuͤrden alſo unſere Lehrer nicht dran ſeyn, wenn alle ihre Zuhoͤrer ihrer Vernunft zu vielen Willen lieſſen? Sie wuͤrden mit Furcht und Zit- tern die Cantzel betreten, und ihr Amt mit Seufzen thun; welches uns doch nicht gut iſt.
Nicht allein aber die Geiſtlichen wuͤrden bey ei- nem allgemeinen Gebrauch der Vernunft uͤbel fah- ren; ſondern es wuͤrden auch andere Profeßionen ihre Rechnung nicht dabey finden. Man bedencke nur z. E. ob, wenn die Menſchen ihre Vernunft allemahl zu Rathe zoͤgen, die Richter und Advoca- ten wohl das liebe Brod haben wuͤrden? Ein jeder wuͤrde lieber einen geringen Schaden leiden, und ſich mit ſeinem Widerſacher in der Guͤte vertragen, als ſich in einen langwierigen Proceß einlaſſen, der, wie es die Erfahrung lehret, allemahl zum Verder- ben beyder Partheyen gereichet.
Waͤren die Leute klug, ſo wuͤrden die Aertzte ſchmal beiſſen muͤſſen.
„Si tout le monde avoit l’eſprit de ſe conduire „Remede & Medecin ſeroit peu de ſaiſon (20).
Ein Krancker wuͤrde ſeine Natur walten laſſen, und mit Mſr. de Freſny(21) ſprechen: “Quand un„
ma-„
(20)Je ne ſai quoi pag. 151.
(21)Amuſement ſerieux & comique pag. 49.
J i 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0591"n="499"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
ren, und der Aufrichtigkeit, und Unſchuld ihrer<lb/>
Abſichten uͤberzeuget ſind, ſo muß es ſie nothwen-<lb/>
dig ſchmertzen, wenn man ſie mit vernuͤnftigen<lb/>
Einwuͤrfen aͤngſtiget, und alles, was ſie ſagen,<lb/>
meiſtert; Die Vernuͤnftler thun dieſes. Wie<lb/>
uͤbel wuͤrden alſo unſere Lehrer nicht dran ſeyn,<lb/>
wenn alle ihre Zuhoͤrer ihrer Vernunft zu vielen<lb/>
Willen lieſſen? Sie wuͤrden mit Furcht und Zit-<lb/>
tern die Cantzel betreten, und ihr Amt mit Seufzen<lb/>
thun; welches uns doch nicht gut iſt.</p><lb/><p>Nicht allein aber die Geiſtlichen wuͤrden bey ei-<lb/>
nem allgemeinen Gebrauch der Vernunft uͤbel fah-<lb/>
ren; ſondern es wuͤrden auch andere Profeßionen<lb/>
ihre Rechnung nicht dabey finden. Man bedencke<lb/>
nur z. E. ob, wenn die Menſchen ihre Vernunft<lb/>
allemahl zu Rathe zoͤgen, die Richter und Advoca-<lb/>
ten wohl das liebe Brod haben wuͤrden? Ein jeder<lb/>
wuͤrde lieber einen geringen Schaden leiden, und<lb/>ſich mit ſeinem Widerſacher in der Guͤte vertragen,<lb/>
als ſich in einen langwierigen Proceß einlaſſen, der,<lb/>
wie es die Erfahrung lehret, allemahl zum Verder-<lb/>
ben beyder Partheyen gereichet.</p><lb/><p>Waͤren die Leute klug, ſo wuͤrden die Aertzte<lb/>ſchmal beiſſen muͤſſen.</p><lb/><cit><quote><hirendition="#aq">„Si tout le monde avoit l’eſprit de ſe<lb/><hirendition="#et">conduire</hi><lb/>„Remede & Medecin ſeroit peu de ſaiſon</hi><lb/><hirendition="#et"><noteplace="foot"n="(20)"><hirendition="#aq">Je ne ſai quoi pag.</hi> 151.</note>.</hi></quote></cit><lb/><p>Ein Krancker wuͤrde ſeine Natur walten laſſen, und<lb/>
mit <hirendition="#aq">Mſr. de Freſny</hi><noteplace="foot"n="(21)"><hirendition="#aq">Amuſement ſerieux & comique pag.</hi> 49.</note>ſprechen: <hirendition="#aq">“Quand un„</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">J i 2</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">ma-„</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[499/0591]
(o)
ren, und der Aufrichtigkeit, und Unſchuld ihrer
Abſichten uͤberzeuget ſind, ſo muß es ſie nothwen-
dig ſchmertzen, wenn man ſie mit vernuͤnftigen
Einwuͤrfen aͤngſtiget, und alles, was ſie ſagen,
meiſtert; Die Vernuͤnftler thun dieſes. Wie
uͤbel wuͤrden alſo unſere Lehrer nicht dran ſeyn,
wenn alle ihre Zuhoͤrer ihrer Vernunft zu vielen
Willen lieſſen? Sie wuͤrden mit Furcht und Zit-
tern die Cantzel betreten, und ihr Amt mit Seufzen
thun; welches uns doch nicht gut iſt.
Nicht allein aber die Geiſtlichen wuͤrden bey ei-
nem allgemeinen Gebrauch der Vernunft uͤbel fah-
ren; ſondern es wuͤrden auch andere Profeßionen
ihre Rechnung nicht dabey finden. Man bedencke
nur z. E. ob, wenn die Menſchen ihre Vernunft
allemahl zu Rathe zoͤgen, die Richter und Advoca-
ten wohl das liebe Brod haben wuͤrden? Ein jeder
wuͤrde lieber einen geringen Schaden leiden, und
ſich mit ſeinem Widerſacher in der Guͤte vertragen,
als ſich in einen langwierigen Proceß einlaſſen, der,
wie es die Erfahrung lehret, allemahl zum Verder-
ben beyder Partheyen gereichet.
Waͤren die Leute klug, ſo wuͤrden die Aertzte
ſchmal beiſſen muͤſſen.
„Si tout le monde avoit l’eſprit de ſe
conduire
„Remede & Medecin ſeroit peu de ſaiſon
(20).
Ein Krancker wuͤrde ſeine Natur walten laſſen, und
mit Mſr. de Freſny (21) ſprechen: “Quand un„
ma-„
(20) Je ne ſai quoi pag. 151.
(21) Amuſement ſerieux & comique pag. 49.
J i 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/591>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.