zur Unzeit mit mir. Jch befinde mich in einem Zustan- de, da alle Complimente aufhören müssen, und es wäre eine Sünde, wenn Sie jetzo meiner spotten wolten. Sie sind viel zu christlich dazu, daß weiß ich: Aber sind Sie dann der eintzige der so glücklich gewe- sen ist, daß ihm keine von meinen elenden Schriften zu Gesichte gekommen? Jch kan mirs kaum einbilden. Wie können Sie dann aber mit gutem Gewissen meine Schriften, ich will nicht sagen, loben, sondern nur vor erträglich halten? Wenn Sie meine sechs deutsche Reden gelesen haben, so werden Sie wis- sen, was ich vor ein poßirlicher Redner gewesen, und wenn Sie sich nur meines Helden-Gedichts auf den König von Pohlen erinnern, so werden Sie mir gestehen, daß ich den Nahmen eines unerträglichen Reimers mit Recht verdiene. An meine thüringi- sche Historie mag ich nicht einmahl gedencken. Sie würde unstreitig die albernste unter allen meinen Schriften gewesen seyn, wenn sie nur die letzte geblie- ben wäre. Aber so habe ich nach der Zeit noch weit närrischer Zeug geschrieben; und kan noch nicht be- greifen, wie es möglich gewesen, daß ich meiner Schmiersucht keine Grentzen gesetzet, da meine ersten Schriften so übel aufgenommen worden. Denn so bald meine Reden, und mein Helden-Gedicht zum Vorschein kamen, erweckte GOtt christliche Her- tzen, die mir mein Elend vorstelleten, und mich auf den rechten Weg zu bringen suchten. Jch hätte diese Züchtigung mit Danck annehmen, und die Ruthe küssen sollen: Aber ich war gantz verstockt, und hielte alle die guten Erinnerungen, die man mir gab, vor ehrenrührige Beschimpfungen. Jch leckte wieder den
Stachel,
(o)
zur Unzeit mit mir. Jch befinde mich in einem Zuſtan- de, da alle Complimente aufhoͤren muͤſſen, und es waͤre eine Suͤnde, wenn Sie jetzo meiner ſpotten wolten. Sie ſind viel zu chriſtlich dazu, daß weiß ich: Aber ſind Sie dann der eintzige der ſo gluͤcklich gewe- ſen iſt, daß ihm keine von meinen elenden Schriften zu Geſichte gekommen? Jch kan mirs kaum einbilden. Wie koͤnnen Sie dann aber mit gutem Gewiſſen meine Schriften, ich will nicht ſagen, loben, ſondern nur vor ertraͤglich halten? Wenn Sie meine ſechs deutſche Reden geleſen haben, ſo werden Sie wiſ- ſen, was ich vor ein poßirlicher Redner geweſen, und wenn Sie ſich nur meines Helden-Gedichts auf den Koͤnig von Pohlen erinnern, ſo werden Sie mir geſtehen, daß ich den Nahmen eines unertraͤglichen Reimers mit Recht verdiene. An meine thuͤringi- ſche Hiſtorie mag ich nicht einmahl gedencken. Sie wuͤrde unſtreitig die albernſte unter allen meinen Schriften geweſen ſeyn, wenn ſie nur die letzte geblie- ben waͤre. Aber ſo habe ich nach der Zeit noch weit naͤrriſcher Zeug geſchrieben; und kan noch nicht be- greifen, wie es moͤglich geweſen, daß ich meiner Schmierſucht keine Grentzen geſetzet, da meine erſten Schriften ſo uͤbel aufgenommen worden. Denn ſo bald meine Reden, und mein Helden-Gedicht zum Vorſchein kamen, erweckte GOtt chriſtliche Her- tzen, die mir mein Elend vorſtelleten, und mich auf den rechten Weg zu bringen ſuchten. Jch haͤtte dieſe Zuͤchtigung mit Danck annehmen, und die Ruthe kuͤſſen ſollen: Aber ich war gantz verſtockt, und hielte alle die guten Erinnerungen, die man mir gab, vor ehrenruͤhrige Beſchimpfungen. Jch leckte wieder den
Stachel,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0538"n="446"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
zur Unzeit mit mir. Jch befinde mich in einem Zuſtan-<lb/>
de, da alle Complimente aufhoͤren muͤſſen, und es<lb/>
waͤre eine Suͤnde, wenn Sie jetzo meiner ſpotten<lb/>
wolten. Sie ſind viel zu chriſtlich dazu, daß weiß ich:<lb/>
Aber ſind Sie dann der eintzige der ſo gluͤcklich gewe-<lb/>ſen iſt, daß ihm keine von meinen elenden Schriften zu<lb/>
Geſichte gekommen? Jch kan mirs kaum einbilden.<lb/>
Wie koͤnnen Sie dann aber mit gutem Gewiſſen<lb/>
meine Schriften, ich will nicht ſagen, loben, ſondern<lb/>
nur vor ertraͤglich halten? Wenn Sie meine <hirendition="#fr">ſechs<lb/>
deutſche Reden</hi> geleſen haben, ſo werden Sie wiſ-<lb/>ſen, was ich vor ein poßirlicher Redner geweſen, und<lb/>
wenn Sie ſich nur meines <hirendition="#fr">Helden-Gedichts</hi> auf<lb/>
den Koͤnig von Pohlen erinnern, ſo werden Sie mir<lb/>
geſtehen, daß ich den Nahmen eines unertraͤglichen<lb/>
Reimers mit Recht verdiene. An meine <hirendition="#fr">thuͤringi-<lb/>ſche Hiſtorie</hi> mag ich nicht einmahl gedencken. Sie<lb/>
wuͤrde unſtreitig die albernſte unter allen meinen<lb/>
Schriften geweſen ſeyn, wenn ſie nur die letzte geblie-<lb/>
ben waͤre. Aber ſo habe ich nach der Zeit noch weit<lb/>
naͤrriſcher Zeug geſchrieben; und kan noch nicht be-<lb/>
greifen, wie es moͤglich geweſen, daß ich meiner<lb/>
Schmierſucht keine Grentzen geſetzet, da meine erſten<lb/>
Schriften ſo uͤbel aufgenommen worden. Denn ſo<lb/>
bald meine Reden, und mein Helden-Gedicht zum<lb/>
Vorſchein kamen, erweckte GOtt chriſtliche Her-<lb/>
tzen, die mir mein Elend vorſtelleten, und mich auf<lb/>
den rechten Weg zu bringen ſuchten. Jch haͤtte dieſe<lb/>
Zuͤchtigung mit Danck annehmen, und die Ruthe<lb/>
kuͤſſen ſollen: Aber ich war gantz verſtockt, und hielte<lb/>
alle die guten Erinnerungen, die man mir gab, vor<lb/>
ehrenruͤhrige Beſchimpfungen. Jch leckte wieder den<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Stachel,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[446/0538]
(o)
zur Unzeit mit mir. Jch befinde mich in einem Zuſtan-
de, da alle Complimente aufhoͤren muͤſſen, und es
waͤre eine Suͤnde, wenn Sie jetzo meiner ſpotten
wolten. Sie ſind viel zu chriſtlich dazu, daß weiß ich:
Aber ſind Sie dann der eintzige der ſo gluͤcklich gewe-
ſen iſt, daß ihm keine von meinen elenden Schriften zu
Geſichte gekommen? Jch kan mirs kaum einbilden.
Wie koͤnnen Sie dann aber mit gutem Gewiſſen
meine Schriften, ich will nicht ſagen, loben, ſondern
nur vor ertraͤglich halten? Wenn Sie meine ſechs
deutſche Reden geleſen haben, ſo werden Sie wiſ-
ſen, was ich vor ein poßirlicher Redner geweſen, und
wenn Sie ſich nur meines Helden-Gedichts auf
den Koͤnig von Pohlen erinnern, ſo werden Sie mir
geſtehen, daß ich den Nahmen eines unertraͤglichen
Reimers mit Recht verdiene. An meine thuͤringi-
ſche Hiſtorie mag ich nicht einmahl gedencken. Sie
wuͤrde unſtreitig die albernſte unter allen meinen
Schriften geweſen ſeyn, wenn ſie nur die letzte geblie-
ben waͤre. Aber ſo habe ich nach der Zeit noch weit
naͤrriſcher Zeug geſchrieben; und kan noch nicht be-
greifen, wie es moͤglich geweſen, daß ich meiner
Schmierſucht keine Grentzen geſetzet, da meine erſten
Schriften ſo uͤbel aufgenommen worden. Denn ſo
bald meine Reden, und mein Helden-Gedicht zum
Vorſchein kamen, erweckte GOtt chriſtliche Her-
tzen, die mir mein Elend vorſtelleten, und mich auf
den rechten Weg zu bringen ſuchten. Jch haͤtte dieſe
Zuͤchtigung mit Danck annehmen, und die Ruthe
kuͤſſen ſollen: Aber ich war gantz verſtockt, und hielte
alle die guten Erinnerungen, die man mir gab, vor
ehrenruͤhrige Beſchimpfungen. Jch leckte wieder den
Stachel,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/538>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.