se gegeben hast, zu Ende läuft, so verliehrest du nichts dabey. Denn qui potest majus, potest etiam mi- nus, und alle kluge Leute werden also erkennen, daß, da du auf 53. Jahr hinaussehen können, es dir ein leichtes gewesen seyn würde, das, was in einer kürtzern Zeit geschehen sollen, und nicht so weit entfernet war, vorher zu wissen, wenn die Schärfe deines geistli- chen Gesichts nicht so übergroß gewesen. Sie werden dich demnach vor einen so viel grössern Pro- pheten halten, je weiter sich deine Einsicht in das Künftige erstrecket. Gesetzt aber, deine 53. Jahr lie- fen zu Ende, und der jüngste Tag bliebe aus. Was fragst du darnach? Drey und funfzig Jahr ist eine lange Zeit, in welcher sich vieles zutragen kan. Vie- leicht erlebest du das Ende derselben nicht, und nach deinem Tode hörest du nicht, was man von deiner Weissagung sagt. Und was wäre es dann, wenn du gleich das 1785te Jahr überlebtest? Jch glaube wohl, die Einfältigen würden dich, als einen falschen Propheten auslachen, wenn der jüngste Tag nicht käme: Allein könntest du diese Tröpfe nicht leicht zu Schanden machen? Du hast ja nicht gesagt, daß der jüngste Tag eben im 1785ten Jahr kommen werde. Du sagst nur überhaupt, die Welt werde noch 53. Jahr stehen; Und hast du also nicht vollkommene Frey- heit, im Falle der Noth, zu sagen, du habest nicht von gemeinen, sondern von prophetischen Jahren ge- redet. Diese Ausflucht kan nicht nur bey deinem Leben deine Ehre retten; sondern muß auch nach dei- nem Tode in alle Ewigkeit gelten, und du wirst folglich den Ruhm eines Propheten mit dir ins Grab nehmen, und die Ehre haben, daß deine Weissagun-
gen
(o)
ſe gegeben haſt, zu Ende laͤuft, ſo verliehreſt du nichts dabey. Denn qui poteſt majus, poteſt etiam mi- nus, und alle kluge Leute werden alſo erkennen, daß, da du auf 53. Jahr hinausſehen koͤnnen, es dir ein leichtes geweſen ſeyn wuͤrde, das, was in einer kuͤrtzern Zeit geſchehen ſollen, und nicht ſo weit entfernet war, vorher zu wiſſen, wenn die Schaͤrfe deines geiſtli- chen Geſichts nicht ſo uͤbergroß geweſen. Sie werden dich demnach vor einen ſo viel groͤſſern Pro- pheten halten, je weiter ſich deine Einſicht in das Kuͤnftige erſtrecket. Geſetzt aber, deine 53. Jahr lie- fen zu Ende, und der juͤngſte Tag bliebe aus. Was fragſt du darnach? Drey und funfzig Jahr iſt eine lange Zeit, in welcher ſich vieles zutragen kan. Vie- leicht erlebeſt du das Ende derſelben nicht, und nach deinem Tode hoͤreſt du nicht, was man von deiner Weiſſagung ſagt. Und was waͤre es dann, wenn du gleich das 1785te Jahr uͤberlebteſt? Jch glaube wohl, die Einfaͤltigen wuͤrden dich, als einen falſchen Propheten auslachen, wenn der juͤngſte Tag nicht kaͤme: Allein koͤnnteſt du dieſe Troͤpfe nicht leicht zu Schanden machen? Du haſt ja nicht geſagt, daß der juͤngſte Tag eben im 1785ten Jahr kommen werde. Du ſagſt nur uͤberhaupt, die Welt werde noch 53. Jahr ſtehen; Und haſt du alſo nicht vollkom̃ene Frey- heit, im Falle der Noth, zu ſagen, du habeſt nicht von gemeinen, ſondern von prophetiſchen Jahren ge- redet. Dieſe Ausflucht kan nicht nur bey deinem Leben deine Ehre retten; ſondern muß auch nach dei- nem Tode in alle Ewigkeit gelten, und du wirſt folglich den Ruhm eines Propheten mit dir ins Grab nehmen, und die Ehre haben, daß deine Weiſſagun-
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ſe gegeben haſt, zu Ende laͤuft, ſo verliehreſt du nichts
dabey. Denn qui poteſt majus, poteſt etiam mi-
nus, und alle kluge Leute werden alſo erkennen, daß,
da du auf 53. Jahr hinausſehen koͤnnen, es dir ein
leichtes geweſen ſeyn wuͤrde, das, was in einer kuͤrtzern
Zeit geſchehen ſollen, und nicht ſo weit entfernet war,
vorher zu wiſſen, wenn die Schaͤrfe deines geiſtli-
chen Geſichts nicht ſo uͤbergroß geweſen. Sie
werden dich demnach vor einen ſo viel groͤſſern Pro-
pheten halten, je weiter ſich deine Einſicht in das
Kuͤnftige erſtrecket. Geſetzt aber, deine 53. Jahr lie-
fen zu Ende, und der juͤngſte Tag bliebe aus. Was
fragſt du darnach? Drey und funfzig Jahr iſt eine
lange Zeit, in welcher ſich vieles zutragen kan. Vie-
leicht erlebeſt du das Ende derſelben nicht, und nach
deinem Tode hoͤreſt du nicht, was man von deiner
Weiſſagung ſagt. Und was waͤre es dann, wenn du
gleich das 1785te Jahr uͤberlebteſt? Jch glaube
wohl, die Einfaͤltigen wuͤrden dich, als einen falſchen
Propheten auslachen, wenn der juͤngſte Tag nicht
kaͤme: Allein koͤnnteſt du dieſe Troͤpfe nicht leicht zu
Schanden machen? Du haſt ja nicht geſagt, daß der
juͤngſte Tag eben im 1785ten Jahr kommen werde.
Du ſagſt nur uͤberhaupt, die Welt werde noch 53.
Jahr ſtehen; Und haſt du alſo nicht vollkom̃ene Frey-
heit, im Falle der Noth, zu ſagen, du habeſt nicht von
gemeinen, ſondern von prophetiſchen Jahren ge-
redet. Dieſe Ausflucht kan nicht nur bey deinem
Leben deine Ehre retten; ſondern muß auch nach dei-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/486>, abgerufen am 22.11.2024.
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