Ut puerorum aetas improvida ludifice- tur, Labrorum tenus, interea perpotet ama- rum Absinthi laticem, deceptaque non ca- piatur, Sed potius tali facto recreata valescat. Lucretius Lib. IV. v. 19 - 25.
So machen es diejenigen, die Satyren schreiben. Was kan man mehr von ihnen verlangen.
Weil ich besorge, es dürften meine LeserEin Ein- wurf wird aus dem Wege ge- räumet. Ei- ne Satyre ist eine Ar- tzeney. dencken, ich wiederspräche mir, indem ich hier eine Satyre vor eine Artzeney auszugeben schei- ne, da ich sie doch vorher als eine Strafe, und als ein tödliches Gift angesehen habe, so muß ich mit wenigen anmercken, daß dieses nur dem Scheine nach ein Widerspruch sey, und, wenn man es recht bedencket, gar wohl mit einander bestehen könne. Denn 1) ist es in der Politick ausgemacht, daß alle Strafen eine Artzeney sind: 2) muß man erwegen, daß es gar nichts unförmliches, eine Satyre eine Artzeney zu nen- nen, und zugleich als ein Gift anzusehen, das ei- ne gewisse Art des Todes würcket. Eine Sa- tyre ist eine Artzeney, weil sie die Besserung der Thoren zum Endzweck hat; und sie hört es nicht auf zu seyn, wenn sie gleich, als ein Gift, den Thoren tödlich ist. Denn in dem To- de, welchen sie verursachet, bestehet eben die Besserung der Thoren. Dieser Tod gereicht ihnen zum Leben. Sie sollen der Thorheit
abster-
(o)
Ut puerorum ætas improvida ludifice- tur, Labrorum tenus, interea perpotet ama- rum Abſinthi laticem, deceptaque non ca- piatur, Sed potius tali facto recreata valeſcat. Lucretius Lib. IV. v. 19 ‒ 25.
So machen es diejenigen, die Satyren ſchreiben. Was kan man mehr von ihnen verlangen.
Weil ich beſorge, es duͤrften meine LeſerEin Ein- wurf wird aus dem Wege ge- raͤumet. Ei- ne Satyre iſt eine Ar- tzeney. dencken, ich wiederſpraͤche mir, indem ich hier eine Satyre vor eine Artzeney auszugeben ſchei- ne, da ich ſie doch vorher als eine Strafe, und als ein toͤdliches Gift angeſehen habe, ſo muß ich mit wenigen anmercken, daß dieſes nur dem Scheine nach ein Widerſpruch ſey, und, wenn man es recht bedencket, gar wohl mit einander beſtehen koͤnne. Denn 1) iſt es in der Politick ausgemacht, daß alle Strafen eine Artzeney ſind: 2) muß man erwegen, daß es gar nichts unfoͤrmliches, eine Satyre eine Artzeney zu nen- nen, und zugleich als ein Gift anzuſehen, das ei- ne gewiſſe Art des Todes wuͤrcket. Eine Sa- tyre iſt eine Artzeney, weil ſie die Beſſerung der Thoren zum Endzweck hat; und ſie hoͤrt es nicht auf zu ſeyn, wenn ſie gleich, als ein Gift, den Thoren toͤdlich iſt. Denn in dem To- de, welchen ſie verurſachet, beſtehet eben die Beſſerung der Thoren. Dieſer Tod gereicht ihnen zum Leben. Sie ſollen der Thorheit
abſter-
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piatur,
Sed potius tali facto recreata valeſcat.
Lucretius Lib. IV. v. 19 ‒ 25.
So machen es diejenigen, die Satyren
ſchreiben. Was kan man mehr von ihnen
verlangen.
Weil ich beſorge, es duͤrften meine Leſer
dencken, ich wiederſpraͤche mir, indem ich hier
eine Satyre vor eine Artzeney auszugeben ſchei-
ne, da ich ſie doch vorher als eine Strafe, und
als ein toͤdliches Gift angeſehen habe, ſo muß ich
mit wenigen anmercken, daß dieſes nur dem
Scheine nach ein Widerſpruch ſey, und, wenn
man es recht bedencket, gar wohl mit einander
beſtehen koͤnne. Denn 1) iſt es in der Politick
ausgemacht, daß alle Strafen eine Artzeney
ſind: 2) muß man erwegen, daß es gar nichts
unfoͤrmliches, eine Satyre eine Artzeney zu nen-
nen, und zugleich als ein Gift anzuſehen, das ei-
ne gewiſſe Art des Todes wuͤrcket. Eine Sa-
tyre iſt eine Artzeney, weil ſie die Beſſerung der
Thoren zum Endzweck hat; und ſie hoͤrt es
nicht auf zu ſeyn, wenn ſie gleich, als ein Gift,
den Thoren toͤdlich iſt. Denn in dem To-
de, welchen ſie verurſachet, beſtehet eben die
Beſſerung der Thoren. Dieſer Tod gereicht
ihnen zum Leben. Sie ſollen der Thorheit
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aus dem
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raͤumet. Ei-
ne Satyre
iſt eine Ar-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/375>, abgerufen am 22.11.2024.
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