sitzen bleiben. Jst nun die Kälte draussen mäßig, so erblicken wir sie in der Gestalt eines Wassers, und es heisst, die Fenster schwitzen. Jst es aber sehr kalt, so verliehret das Wasser, durch die gewaltsame Zusam- mendrückung, seine Flüßigkeit, und aus dem Schweis- se der Fenster wird ein förmliches Eis.
Da nun also dieses Eis aus den Ausdünstun- gen der in einem Zimmer befindlichen Cörper entste- het; so ist es klar, daß man alles, was an diesem Eise merckwürdiges ist, aus den Ausdünstungen, woraus es entstanden, erklären müsse.
Die Ausdünstungen sind nicht alle einer Art; son- dern, nach Beschaffenheit der Cörper, unterschieden. Es muß also das aus selbigen an den Fenstern ent- stehende Eis, nach dem Unterscheid der Ausdünstun- gen, auch unterschiedene Gestalten bekommen: und folglich ist der Grund aller Figuren, die man auf ei- ner Fenster-Scheibe sehen kan, in dem Unterscheid der Ausdünstungen zu suchen.
Meine Fenster-Scheibe ist auch eine Fenster- Scheibe, und mit gewissen Figuren bemahlet. Wenn ich, also wissen will, warum diese Figuren so, und nicht anders geworden sind, so muß ich nothwendig auf ih- ren Ursprung zurück gehen, und untersuchen, wie die Ausdünstungen beschaffen gewesen, aus welchen sie entstanden sind.
So dachte ich, mein Herr, und diese Gedancken ge- reuen mich noch nicht. Denn wie einfältig sie auch, beym ersten Anblick, scheinen; so sind doch die Folgen, die ich gantz ungezwungen daraus gezogen habe, so herrlich, so vortrefflich, so nützlich, daß ich es nicht aus- sprechen kan. Nachdem ich diesen Grund geleget hatte,
war
(o)
ſitzen bleiben. Jſt nun die Kaͤlte drauſſen maͤßig, ſo erblicken wir ſie in der Geſtalt eines Waſſers, und es heiſſt, die Fenſter ſchwitzen. Jſt es aber ſehr kalt, ſo verliehret das Waſſer, durch die gewaltſame Zuſam- mendruͤckung, ſeine Fluͤßigkeit, und aus dem Schweiſ- ſe der Fenſter wird ein foͤrmliches Eis.
Da nun alſo dieſes Eis aus den Ausduͤnſtun- gen der in einem Zimmer befindlichen Coͤrper entſte- het; ſo iſt es klar, daß man alles, was an dieſem Eiſe merckwuͤrdiges iſt, aus den Ausduͤnſtungen, woraus es entſtanden, erklaͤren muͤſſe.
Die Ausduͤnſtungen ſind nicht alle einer Art; ſon- dern, nach Beſchaffenheit der Coͤrper, unterſchieden. Es muß alſo das aus ſelbigen an den Fenſtern ent- ſtehende Eis, nach dem Unterſcheid der Ausduͤnſtun- gen, auch unterſchiedene Geſtalten bekommen: und folglich iſt der Grund aller Figuren, die man auf ei- ner Fenſter-Scheibe ſehen kan, in dem Unterſcheid der Ausduͤnſtungen zu ſuchen.
Meine Fenſter-Scheibe iſt auch eine Fenſter- Scheibe, und mit gewiſſen Figuren bemahlet. Wenn ich, alſo wiſſen will, warum dieſe Figuren ſo, und nicht anders geworden ſind, ſo muß ich nothwendig auf ih- ren Urſprung zuruͤck gehen, und unterſuchen, wie die Ausduͤnſtungen beſchaffen geweſen, aus welchen ſie entſtanden ſind.
So dachte ich, mein Herr, und dieſe Gedancken ge- reuen mich noch nicht. Denn wie einfaͤltig ſie auch, beym erſten Anblick, ſcheinen; ſo ſind doch die Folgen, die ich gantz ungezwungen daraus gezogen habe, ſo herrlich, ſo vortrefflich, ſo nuͤtzlich, daß ich es nicht aus- ſprechen kan. Nachdem ich dieſen Gꝛund geleget hatte,
war
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0158"n="66"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>ſitzen bleiben. Jſt nun die Kaͤlte drauſſen maͤßig, ſo<lb/>
erblicken wir ſie in der Geſtalt eines Waſſers, und es<lb/>
heiſſt, die Fenſter ſchwitzen. Jſt es aber ſehr kalt, ſo<lb/>
verliehret das Waſſer, durch die gewaltſame Zuſam-<lb/>
mendruͤckung, ſeine Fluͤßigkeit, und aus dem Schweiſ-<lb/>ſe der Fenſter wird ein foͤrmliches Eis.</p><lb/><p>Da nun alſo dieſes Eis aus den Ausduͤnſtun-<lb/>
gen der in einem Zimmer befindlichen Coͤrper entſte-<lb/>
het; ſo iſt es klar, daß man alles, was an dieſem Eiſe<lb/>
merckwuͤrdiges iſt, aus den Ausduͤnſtungen, woraus<lb/>
es entſtanden, erklaͤren muͤſſe.</p><lb/><p>Die Ausduͤnſtungen ſind nicht alle einer Art; ſon-<lb/>
dern, nach Beſchaffenheit der Coͤrper, unterſchieden.<lb/>
Es muß alſo das aus ſelbigen an den Fenſtern ent-<lb/>ſtehende Eis, nach dem Unterſcheid der Ausduͤnſtun-<lb/>
gen, auch unterſchiedene Geſtalten bekommen: und<lb/>
folglich iſt der Grund aller Figuren, die man auf ei-<lb/>
ner Fenſter-Scheibe ſehen kan, in dem Unterſcheid der<lb/>
Ausduͤnſtungen zu ſuchen.</p><lb/><p>Meine Fenſter-Scheibe iſt auch eine Fenſter-<lb/>
Scheibe, und mit gewiſſen Figuren bemahlet. Wenn<lb/>
ich, alſo wiſſen will, warum dieſe Figuren ſo, und nicht<lb/>
anders geworden ſind, ſo muß ich nothwendig auf ih-<lb/>
ren Urſprung zuruͤck gehen, und unterſuchen, wie die<lb/>
Ausduͤnſtungen beſchaffen geweſen, aus welchen ſie<lb/>
entſtanden ſind.</p><lb/><p>So dachte ich, mein Herr, und dieſe Gedancken ge-<lb/>
reuen mich noch nicht. Denn wie einfaͤltig ſie auch,<lb/>
beym erſten Anblick, ſcheinen; ſo ſind doch die Folgen,<lb/>
die ich gantz ungezwungen daraus gezogen habe, ſo<lb/>
herrlich, ſo vortrefflich, ſo nuͤtzlich, daß ich es nicht aus-<lb/>ſprechen kan. Nachdem ich dieſen Gꝛund geleget hatte,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">war</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[66/0158]
(o)
ſitzen bleiben. Jſt nun die Kaͤlte drauſſen maͤßig, ſo
erblicken wir ſie in der Geſtalt eines Waſſers, und es
heiſſt, die Fenſter ſchwitzen. Jſt es aber ſehr kalt, ſo
verliehret das Waſſer, durch die gewaltſame Zuſam-
mendruͤckung, ſeine Fluͤßigkeit, und aus dem Schweiſ-
ſe der Fenſter wird ein foͤrmliches Eis.
Da nun alſo dieſes Eis aus den Ausduͤnſtun-
gen der in einem Zimmer befindlichen Coͤrper entſte-
het; ſo iſt es klar, daß man alles, was an dieſem Eiſe
merckwuͤrdiges iſt, aus den Ausduͤnſtungen, woraus
es entſtanden, erklaͤren muͤſſe.
Die Ausduͤnſtungen ſind nicht alle einer Art; ſon-
dern, nach Beſchaffenheit der Coͤrper, unterſchieden.
Es muß alſo das aus ſelbigen an den Fenſtern ent-
ſtehende Eis, nach dem Unterſcheid der Ausduͤnſtun-
gen, auch unterſchiedene Geſtalten bekommen: und
folglich iſt der Grund aller Figuren, die man auf ei-
ner Fenſter-Scheibe ſehen kan, in dem Unterſcheid der
Ausduͤnſtungen zu ſuchen.
Meine Fenſter-Scheibe iſt auch eine Fenſter-
Scheibe, und mit gewiſſen Figuren bemahlet. Wenn
ich, alſo wiſſen will, warum dieſe Figuren ſo, und nicht
anders geworden ſind, ſo muß ich nothwendig auf ih-
ren Urſprung zuruͤck gehen, und unterſuchen, wie die
Ausduͤnſtungen beſchaffen geweſen, aus welchen ſie
entſtanden ſind.
So dachte ich, mein Herr, und dieſe Gedancken ge-
reuen mich noch nicht. Denn wie einfaͤltig ſie auch,
beym erſten Anblick, ſcheinen; ſo ſind doch die Folgen,
die ich gantz ungezwungen daraus gezogen habe, ſo
herrlich, ſo vortrefflich, ſo nuͤtzlich, daß ich es nicht aus-
ſprechen kan. Nachdem ich dieſen Gꝛund geleget hatte,
war
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/158>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.