nen gelehrten Brief an einen gewissen Lord über das bekannte: Stultorum plena sunt omnia, und fieng, nach dem er sich die Gnade dieses Herrn in einem wohl ausgesonnenen Eingange ausgebeten hatte, die Ab- handlung seiner Materie auf folgende Art an: Dantur autem stulti varii generis. Mein GOtt! wie hat man nicht über dis dantur autem gespottet. Aus keiner andern Ursache, als weil man den Zusammen- hang dieser Worte mit dem vorhergehenden Com- pliment nicht einsehen konnte.
Mein Brief ist eben der Art, als derjenige, von welchem ich rede. Jch schreibe ihn nicht an Sie allein; sondern zugleich an die gantze Welt. Er wird ge- druckt, und von jederman gelesen. Nur ist dieses zwi- schen Jhnen und andern Lesern der Unterscheid, daß ich Jhnen ein Exemplar auf Schreib-Papier zu- schicke, das sauber eingebunden, und auf den Schnitt vergüldet ist; andere aber, wenn sie eines haben wollen, ihren Beutel aufthun müssen. Wie würde es mir also nicht ergehen, wenn ich, nachdem ich Sie mei- ner Hochachtung gegen Sie versichert, plötzlich zufah- ren und sagen wolte: "Die Figuren aber, die ich auf der "gefrornen Fenster-Scheibe wahrgenommen habe, sind "seltsam und wunderbar!" Ja würden Sie selbst, mein Herr, nicht gedencken: Was will der Kerl?
Damit ich nun weder Jhnen noch andern Anlaß geben möge, über meinen Vortrag zu lachen, so will ich versuchen, ob es nicht möglich sey, von der Versiche- rung meiner Hochachtung auf meine gefrorne Fen- ster-Scheibe zu kommen, ohne einen so gefährlichen Sprung zu thun, als der erwehnte Scribent in seinem Schreiben an einen Lord gethan hat, und habe dem-
nach
(o)
nen gelehrten Brief an einen gewiſſen Lord uͤber das bekannte: Stultorum plena ſunt omnia, und fieng, nach dem er ſich die Gnade dieſes Herrn in einem wohl ausgeſonnenen Eingange ausgebeten hatte, die Ab- handlung ſeiner Materie auf folgende Art an: Dantur autem ſtulti varii generis. Mein GOtt! wie hat man nicht uͤber dis dantur autem geſpottet. Aus keiner andern Urſache, als weil man den Zuſammen- hang dieſer Worte mit dem vorhergehenden Com- pliment nicht einſehen konnte.
Mein Brief iſt eben der Art, als derjenige, von welchem ich rede. Jch ſchreibe ihn nicht an Sie allein; ſondern zugleich an die gantze Welt. Er wird ge- druckt, und von jederman geleſen. Nur iſt dieſes zwi- ſchen Jhnen und andern Leſern der Unterſcheid, daß ich Jhnen ein Exemplar auf Schreib-Papier zu- ſchicke, das ſauber eingebunden, und auf den Schnitt verguͤldet iſt; andere aber, wenn ſie eines haben wollen, ihren Beutel aufthun muͤſſen. Wie wuͤrde es mir alſo nicht ergehen, wenn ich, nachdem ich Sie mei- ner Hochachtung gegen Sie verſichert, ploͤtzlich zufah- ren und ſagen wolte: „Die Figuren aber, die ich auf der „gefrornen Fenſter-Scheibe wahrgenom̃en habe, ſind „ſeltſam und wunderbar!‟ Ja wuͤrden Sie ſelbſt, mein Herr, nicht gedencken: Was will der Kerl?
Damit ich nun weder Jhnen noch andern Anlaß geben moͤge, uͤber meinen Vortrag zu lachen, ſo will ich verſuchen, ob es nicht moͤglich ſey, von der Verſiche- rung meiner Hochachtung auf meine gefrorne Fen- ſter-Scheibe zu kommen, ohne einen ſo gefaͤhrlichen Sprung zu thun, als der erwehnte Scribent in ſeinem Schreiben an einen Lord gethan hat, und habe dem-
nach
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nen gelehrten Brief an einen gewiſſen Lord uͤber das
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nach dem er ſich die Gnade dieſes Herrn in einem wohl
ausgeſonnenen Eingange ausgebeten hatte, die Ab-
handlung ſeiner Materie auf folgende Art an: Dantur
autem ſtulti varii generis. Mein GOtt! wie hat
man nicht uͤber dis dantur autem geſpottet. Aus
keiner andern Urſache, als weil man den Zuſammen-
hang dieſer Worte mit dem vorhergehenden Com-
pliment nicht einſehen konnte.
Mein Brief iſt eben der Art, als derjenige, von
welchem ich rede. Jch ſchreibe ihn nicht an Sie allein;
ſondern zugleich an die gantze Welt. Er wird ge-
druckt, und von jederman geleſen. Nur iſt dieſes zwi-
ſchen Jhnen und andern Leſern der Unterſcheid, daß
ich Jhnen ein Exemplar auf Schreib-Papier zu-
ſchicke, das ſauber eingebunden, und auf den Schnitt
verguͤldet iſt; andere aber, wenn ſie eines haben
wollen, ihren Beutel aufthun muͤſſen. Wie wuͤrde es
mir alſo nicht ergehen, wenn ich, nachdem ich Sie mei-
ner Hochachtung gegen Sie verſichert, ploͤtzlich zufah-
ren und ſagen wolte: „Die Figuren aber, die ich auf der
„gefrornen Fenſter-Scheibe wahrgenom̃en habe, ſind
„ſeltſam und wunderbar!‟ Ja wuͤrden Sie ſelbſt,
mein Herr, nicht gedencken: Was will der Kerl?
Damit ich nun weder Jhnen noch andern Anlaß
geben moͤge, uͤber meinen Vortrag zu lachen, ſo will
ich verſuchen, ob es nicht moͤglich ſey, von der Verſiche-
rung meiner Hochachtung auf meine gefrorne Fen-
ſter-Scheibe zu kommen, ohne einen ſo gefaͤhrlichen
Sprung zu thun, als der erwehnte Scribent in ſeinem
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/144>, abgerufen am 25.11.2024.
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