Ungewöhnliche Worte,) Das ist kein Wun- der. Denn damahls war die deutsche Spra- che noch nicht sonderlich bekannt zu Jerusalem. Daher war es freylich was ungewöhnliches, daß dieser Jesus Anani: Au wey mir! rief. Man kan indessen so viel hieraus lernen, daß er der erste gewesen, der sich dieses Seuffzers be- dienet, welches vor mir niemand angemercket; so wenig als daß hier der Text verdorben. Denn in den gedruckten editionen der Historie von der Zerstöhrung Jerusalem stehet, er habe: Weh auch mir! geschrien: Da doch ein jeder leicht sehen kan, daß es: Au wey mir! heissen soll: Denn so sagen die Juden. Vermuthlich ist diese Verderbung des Textes auf folgende Art entstanden. Es hat nemlich derjenige, so Schuld daran, sich verschrieben, und an statt Au wey mir! Wey au mir gesetzet. Dieses hat ein anderer verbessern wollen, und Wehe auch mir daraus gemacht, zum deutlichen Be- weis, daß es wahr sey was der Heil. Hierony- mus epist. 28. ad Lucinium von den ungeschickten und dabey naseweisen Abschreibern sagt. Scri- bunt non quod inveniunt, sed quod intelli- gunt, &, dum alienos errores emendare nitun- tur, ostendunt suos. Diese Muthmassung ist sehr wahrscheinlich, und wird noch dazu durch ei- nen alten niedersächsischen Codicem bestärcket, der mir neulich durch einen sonderbaren Zufall in die Hände gerahten ist.
Ohngefehr,) Da sage ich nein zu: Denn es
ge-
B 3
Die Stadt,) Jeruſalem.
Ungewoͤhnliche Worte,) Das iſt kein Wun- der. Denn damahls war die deutſche Spra- che noch nicht ſonderlich bekannt zu Jeruſalem. Daher war es freylich was ungewoͤhnliches, daß dieſer Jeſus Anani: Au wey mir! rief. Man kan indeſſen ſo viel hieraus lernen, daß er der erſte geweſen, der ſich dieſes Seuffzers be- dienet, welches vor mir niemand angemercket; ſo wenig als daß hier der Text verdorben. Denn in den gedruckten editionen der Hiſtorie von der Zerſtoͤhrung Jeruſalem ſtehet, er habe: Weh auch mir! geſchrien: Da doch ein jeder leicht ſehen kan, daß es: Au wey mir! heiſſen ſoll: Denn ſo ſagen die Juden. Vermuthlich iſt dieſe Verderbung des Textes auf folgende Art entſtanden. Es hat nemlich derjenige, ſo Schuld daran, ſich verſchrieben, und an ſtatt Au wey mir! Wey au mir geſetzet. Dieſes hat ein anderer verbeſſern wollen, und Wehe auch mir daraus gemacht, zum deutlichen Be- weis, daß es wahr ſey was der Heil. Hierony- mus epiſt. 28. ad Lucinium von den ungeſchickten und dabey naſeweiſen Abſchreibern ſagt. Scri- bunt non quod inveniunt, ſed quod intelli- gunt, &, dum alienos errores emendare nitun- tur, oſtendunt ſuos. Dieſe Muthmaſſung iſt ſehr wahrſcheinlich, und wird noch dazu durch ei- nen alten niederſaͤchſiſchen Codicem beſtaͤrcket, der mir neulich durch einen ſonderbaren Zufall in die Haͤnde gerahten iſt.
Ohngefehr,) Da ſage ich nein zu: Denn es
ge-
B 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0111"n="21"/><p><hirendition="#fr">Die Stadt,)</hi> Jeruſalem.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Ungewoͤhnliche Worte,)</hi> Das iſt kein Wun-<lb/>
der. Denn damahls war die deutſche Spra-<lb/>
che noch nicht ſonderlich bekannt zu Jeruſalem.<lb/>
Daher war es freylich was ungewoͤhnliches,<lb/>
daß dieſer Jeſus Anani: <hirendition="#fr">Au wey mir!</hi> rief.<lb/>
Man kan indeſſen ſo viel hieraus lernen, daß er<lb/>
der erſte geweſen, der ſich dieſes Seuffzers be-<lb/>
dienet, welches vor mir niemand angemercket;<lb/>ſo wenig als daß hier der Text verdorben. Denn<lb/>
in den gedruckten <hirendition="#aq">editionen</hi> der Hiſtorie von der<lb/>
Zerſtoͤhrung Jeruſalem ſtehet, er habe: <hirendition="#fr">Weh<lb/>
auch mir!</hi> geſchrien: Da doch ein jeder leicht<lb/>ſehen kan, daß es: <hirendition="#fr">Au wey mir!</hi> heiſſen ſoll:<lb/>
Denn ſo ſagen die Juden. Vermuthlich iſt<lb/>
dieſe Verderbung des Textes auf folgende Art<lb/>
entſtanden. Es hat nemlich derjenige, ſo Schuld<lb/>
daran, ſich verſchrieben, und an ſtatt <hirendition="#fr">Au<lb/>
wey mir! Wey au mir</hi> geſetzet. Dieſes<lb/>
hat ein anderer verbeſſern wollen, und <hirendition="#fr">Wehe<lb/>
auch mir</hi> daraus gemacht, zum deutlichen Be-<lb/>
weis, daß es wahr ſey was der Heil. <hirendition="#aq"><hirendition="#i">Hierony-<lb/>
mus epiſt. 28. ad Lucinium</hi></hi> von den ungeſchickten<lb/>
und dabey naſeweiſen Abſchreibern ſagt. <hirendition="#aq">Scri-<lb/>
bunt non quod inveniunt, ſed quod intelli-<lb/>
gunt, &, dum alienos errores emendare nitun-<lb/>
tur, oſtendunt ſuos.</hi> Dieſe Muthmaſſung iſt<lb/>ſehr wahrſcheinlich, und wird noch dazu durch ei-<lb/>
nen alten niederſaͤchſiſchen <hirendition="#aq">Codicem</hi> beſtaͤrcket,<lb/>
der mir neulich durch einen ſonderbaren Zufall in<lb/>
die Haͤnde gerahten iſt.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Ohngefehr,)</hi> Da ſage ich nein zu: Denn es<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">ge-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[21/0111]
Die Stadt,) Jeruſalem.
Ungewoͤhnliche Worte,) Das iſt kein Wun-
der. Denn damahls war die deutſche Spra-
che noch nicht ſonderlich bekannt zu Jeruſalem.
Daher war es freylich was ungewoͤhnliches,
daß dieſer Jeſus Anani: Au wey mir! rief.
Man kan indeſſen ſo viel hieraus lernen, daß er
der erſte geweſen, der ſich dieſes Seuffzers be-
dienet, welches vor mir niemand angemercket;
ſo wenig als daß hier der Text verdorben. Denn
in den gedruckten editionen der Hiſtorie von der
Zerſtoͤhrung Jeruſalem ſtehet, er habe: Weh
auch mir! geſchrien: Da doch ein jeder leicht
ſehen kan, daß es: Au wey mir! heiſſen ſoll:
Denn ſo ſagen die Juden. Vermuthlich iſt
dieſe Verderbung des Textes auf folgende Art
entſtanden. Es hat nemlich derjenige, ſo Schuld
daran, ſich verſchrieben, und an ſtatt Au
wey mir! Wey au mir geſetzet. Dieſes
hat ein anderer verbeſſern wollen, und Wehe
auch mir daraus gemacht, zum deutlichen Be-
weis, daß es wahr ſey was der Heil. Hierony-
mus epiſt. 28. ad Lucinium von den ungeſchickten
und dabey naſeweiſen Abſchreibern ſagt. Scri-
bunt non quod inveniunt, ſed quod intelli-
gunt, &, dum alienos errores emendare nitun-
tur, oſtendunt ſuos. Dieſe Muthmaſſung iſt
ſehr wahrſcheinlich, und wird noch dazu durch ei-
nen alten niederſaͤchſiſchen Codicem beſtaͤrcket,
der mir neulich durch einen ſonderbaren Zufall in
die Haͤnde gerahten iſt.
Ohngefehr,) Da ſage ich nein zu: Denn es
ge-
B 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/111>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.