Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.Nun waren alle diese Vereine im Jahre 1894 zu einem natio- Nun waren alle diese Vereine im Jahre 1894 zu einem natio- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0007" n="7"/> <p>Nun waren alle diese Vereine im Jahre 1894 zu einem natio-<lb/> nalen Verband zusammengeschlossen worden, der den Namen<lb/> „Bund deutscher Frauenvereine‟ erhielt. Dieser Zusammenschluß<lb/> war ein gewaltiger Fortschritt, denn einmal bekamen die kleinen,<lb/> schüchternen Frauenkonventikel, die nie den Mut zu öffentlichem<lb/> Handeln gehabt hatten, Kraft und Mut, da sie sich in Masse zu-<lb/> sammengeschlossen fanden und außerdem kamen sie auf den großen<lb/> Tagungen des Bundes mit Frauen zusammen, die, energisch und<lb/> kraftvoll vorwärtsstrebend, vor nichts zurückschreckten und den<lb/> Dingen, die sie so scheu und oft oberflächlich betrieben hatten, an<lb/> die Wurzel gingen. Ohne die Bundestagungen wäre diese Wirkung<lb/> von Mensch zu Mensch gar nicht denkbar gewesen. Die Radikalen<lb/> nutzten diese Situation aber auch kräftig aus. Sie waren in der<lb/> Debatte und in allen geschäftsordnungsmäßigen Künsten wohl be-<lb/> wandert, und die Bundestagungen gestalteten sich oft zu einem<lb/> energischen Gefecht zwischen: „Radikal‟ und „Gemäßigt‟. Das<lb/> wurde natürlich von den Anhängern der alten Zeit sehr un-<lb/> angenehm empfunden. Sie waren eben in ihrer Ruhe gestört, aber<lb/> viele, denen dieser Kampf erst Leben bedeutete, schätzten die Kämpfe<lb/> doch richtig ein, nämlich als Anfang einer <hi rendition="#g">größeren</hi> Epoche der<lb/> deutschen Frauenbewegung. Jn das erste Jahrzehnt des Bundes<lb/> fielen nun aber auch sehr bedeutungsvolle Tatsachen auf dem Ge-<lb/> biete der <hi rendition="#g">Organisation</hi>. Zunächst beginnt die Organisation<lb/> der <hi rendition="#g">berufstätigen Frauen</hi> in großem Stile, d. h. in der<lb/> Zusammenfassung der verschiedenen Gruppen über ganz Deutsch-<lb/> land bezw. über die einzelnen Bundesstaaten. Jn diesen Frauen<lb/> wird der Wille zu gesetzlicher Mitarbeit lebendig, wenn auch noch<lb/> nirgends die Organisation als solche die Forderung politischer<lb/> Rechte zum Programm erhebt. Die einzelnen aber bekennen sich<lb/> zur Stimmrechtsforderung, und zwar sehr energisch. Zu dieser<lb/> immer wachsenden, immer feiner sich ausgestaltenden Organisation<lb/> der berufstätigen Frauen, die ein Ehrentitel der deutschen Frauen-<lb/> bewegung ist, kommt die <hi rendition="#g">Spezialisierung</hi> der sozialen Arbeit<lb/> hinzu. Das, was heute die Welt an der militärischen Organisation<lb/> des deutschen Volkes bewundert, die Fachgliederung, das Fachwissen<lb/> und -können, wird in den ersten kampfreichen Jahren auch in der<lb/> nationalen Organisation der deutschen Frauen geboren. Für die<lb/> Bildungsfrage, den Rechtsschutz, die Sittlichkeitsfrage, die Armen-<lb/> und Waisenpflege, Kinder- und Mutterschutz, Obst- und Gartenbau,<lb/> soziale Hilfsarbeit junger Mädchen, Förderung der gewerblichen<lb/> Ausbildung, Gefängnisfürsorge, Kampf gegen den Alkoholismus,<lb/>   </p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0007]
Nun waren alle diese Vereine im Jahre 1894 zu einem natio-
nalen Verband zusammengeschlossen worden, der den Namen
„Bund deutscher Frauenvereine‟ erhielt. Dieser Zusammenschluß
war ein gewaltiger Fortschritt, denn einmal bekamen die kleinen,
schüchternen Frauenkonventikel, die nie den Mut zu öffentlichem
Handeln gehabt hatten, Kraft und Mut, da sie sich in Masse zu-
sammengeschlossen fanden und außerdem kamen sie auf den großen
Tagungen des Bundes mit Frauen zusammen, die, energisch und
kraftvoll vorwärtsstrebend, vor nichts zurückschreckten und den
Dingen, die sie so scheu und oft oberflächlich betrieben hatten, an
die Wurzel gingen. Ohne die Bundestagungen wäre diese Wirkung
von Mensch zu Mensch gar nicht denkbar gewesen. Die Radikalen
nutzten diese Situation aber auch kräftig aus. Sie waren in der
Debatte und in allen geschäftsordnungsmäßigen Künsten wohl be-
wandert, und die Bundestagungen gestalteten sich oft zu einem
energischen Gefecht zwischen: „Radikal‟ und „Gemäßigt‟. Das
wurde natürlich von den Anhängern der alten Zeit sehr un-
angenehm empfunden. Sie waren eben in ihrer Ruhe gestört, aber
viele, denen dieser Kampf erst Leben bedeutete, schätzten die Kämpfe
doch richtig ein, nämlich als Anfang einer größeren Epoche der
deutschen Frauenbewegung. Jn das erste Jahrzehnt des Bundes
fielen nun aber auch sehr bedeutungsvolle Tatsachen auf dem Ge-
biete der Organisation. Zunächst beginnt die Organisation
der berufstätigen Frauen in großem Stile, d. h. in der
Zusammenfassung der verschiedenen Gruppen über ganz Deutsch-
land bezw. über die einzelnen Bundesstaaten. Jn diesen Frauen
wird der Wille zu gesetzlicher Mitarbeit lebendig, wenn auch noch
nirgends die Organisation als solche die Forderung politischer
Rechte zum Programm erhebt. Die einzelnen aber bekennen sich
zur Stimmrechtsforderung, und zwar sehr energisch. Zu dieser
immer wachsenden, immer feiner sich ausgestaltenden Organisation
der berufstätigen Frauen, die ein Ehrentitel der deutschen Frauen-
bewegung ist, kommt die Spezialisierung der sozialen Arbeit
hinzu. Das, was heute die Welt an der militärischen Organisation
des deutschen Volkes bewundert, die Fachgliederung, das Fachwissen
und -können, wird in den ersten kampfreichen Jahren auch in der
nationalen Organisation der deutschen Frauen geboren. Für die
Bildungsfrage, den Rechtsschutz, die Sittlichkeitsfrage, die Armen-
und Waisenpflege, Kinder- und Mutterschutz, Obst- und Gartenbau,
soziale Hilfsarbeit junger Mädchen, Förderung der gewerblichen
Ausbildung, Gefängnisfürsorge, Kampf gegen den Alkoholismus,
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(2015-05-11T12:53:44Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
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