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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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tiefsten Punkt erreicht hatte, als neue Jdeen, größere
Formen der Organisation
und vor allem neue
Formen des öffentlichen Handelns
bereits in der Luft
lagen, erkühnt sich der Vorstand des Vereins "Frauenwohl,
Berlin"
, die "Bürgerpflicht der Frau" in öffentlicher Versamm-
lung zur Debatte zu stellen. Frau Cauer hatte die Versammlung
berufen. Frau Lily Braun, damals noch bürgerliche Frauen-
rechtlerin, hielt den Vortrag. Das war am 2. Dezember 1894.
Einige Zeitungen nahmen spöttisch Notiz von einer so lächerlichen
Tatsache, andere schwiegen sie völlig tot. Die Frauen aber, die die
große Tat getan hatten, waren nicht gesonnen, den Gedanken in
den kleinen, schüchternen Frauenkonventikeln jener Zeit wieder ein-
schlafen und begraben zu lassen. Sie verbreiteten den gedruckten
Vortrag nach Kräften, und durch ihn fiel mancher denkenden Frau
die Binde von den Augen. Es geschah aber noch mehr: Jn der neu
geschaffenen Zeitung "Die Frauenbewegung" wurde die Jdee von
nun an energisch vertreten, und in den befreundeten Vereinen
"Frauenwohl" ist wohl selten in jenen Tagen eine Versammlung
berufen worden, die der grundlegenden Forderung des Frauen-
stimmrechts nicht kräftigen Ausdruck gab. So war der sichere
Boden einer organisierten Gemeinschaft da und damit war die
deutsche Stimmrechtsbewegung geboren.

Bald fanden sich zu den ersten Bahnbrechern andre herzu.
Dr. Raschke, Dr. Augspurg, Lyda Gustava Heymann,Dr. Schir-
macher
übernahmen die Vertretung der Jdee in der Presse, in
öffentlichen Versammlungen. Mit Schrecken hören die Vertrete-
rinnen der sozialen Frauenbewegung von diesem "geschichtslosen
Radikalismus". Sie fürchten die kümmerlichen Zugeständnisse zu
verlieren, die man ihnen da und dort in Aussicht gestellt hatte. Mit
strengem Tadel werden die Jungen angefahren, die in der Dis-
kussion unerwartet mit dieser Forderung herauskommen. "Was
haben Sie gemacht? Sie haben ja vom Frauenstimmrecht
gesprochen!!" Aber die nötige Energie der "Radikalen" sitzt da-
hinter. Es hilft alles nichts. Dieser Ruf verhallt nicht ungehört,
das große Erwachen kommt in ganz Deutschland, und die Frauen
mehren sich, die den Gedanken zu Ende denken und wissen, was er
für die Kultur der Nation bedeuten könnte. Von der anderen Seite
aber heißt es, belehrend und einigermaßen mitleidig: "Meine
Damen, bedenken Sie doch! Dafür sind die deutschen Frauen
noch nicht reif! Eine Sache der fernsten Zukunft!" Nun, über das
Reif sein war sicher bei den Führerinnen der Bewegung keine

tiefsten Punkt erreicht hatte, als neue Jdeen, größere
Formen der Organisation
und vor allem neue
Formen des öffentlichen Handelns
bereits in der Luft
lagen, erkühnt sich der Vorstand des Vereins „Frauenwohl,
Berlin‟
, die „Bürgerpflicht der Frau‟ in öffentlicher Versamm-
lung zur Debatte zu stellen. Frau Cauer hatte die Versammlung
berufen. Frau Lily Braun, damals noch bürgerliche Frauen-
rechtlerin, hielt den Vortrag. Das war am 2. Dezember 1894.
Einige Zeitungen nahmen spöttisch Notiz von einer so lächerlichen
Tatsache, andere schwiegen sie völlig tot. Die Frauen aber, die die
große Tat getan hatten, waren nicht gesonnen, den Gedanken in
den kleinen, schüchternen Frauenkonventikeln jener Zeit wieder ein-
schlafen und begraben zu lassen. Sie verbreiteten den gedruckten
Vortrag nach Kräften, und durch ihn fiel mancher denkenden Frau
die Binde von den Augen. Es geschah aber noch mehr: Jn der neu
geschaffenen Zeitung „Die Frauenbewegung‟ wurde die Jdee von
nun an energisch vertreten, und in den befreundeten Vereinen
„Frauenwohl‟ ist wohl selten in jenen Tagen eine Versammlung
berufen worden, die der grundlegenden Forderung des Frauen-
stimmrechts nicht kräftigen Ausdruck gab. So war der sichere
Boden einer organisierten Gemeinschaft da und damit war die
deutsche Stimmrechtsbewegung geboren.

Bald fanden sich zu den ersten Bahnbrechern andre herzu.
Dr. Raschke, Dr. Augspurg, Lyda Gustava Heymann,Dr. Schir-
macher
übernahmen die Vertretung der Jdee in der Presse, in
öffentlichen Versammlungen. Mit Schrecken hören die Vertrete-
rinnen der sozialen Frauenbewegung von diesem „geschichtslosen
Radikalismus‟. Sie fürchten die kümmerlichen Zugeständnisse zu
verlieren, die man ihnen da und dort in Aussicht gestellt hatte. Mit
strengem Tadel werden die Jungen angefahren, die in der Dis-
kussion unerwartet mit dieser Forderung herauskommen. „Was
haben Sie gemacht? Sie haben ja vom Frauenstimmrecht
gesprochen!!‟ Aber die nötige Energie der „Radikalen‟ sitzt da-
hinter. Es hilft alles nichts. Dieser Ruf verhallt nicht ungehört,
das große Erwachen kommt in ganz Deutschland, und die Frauen
mehren sich, die den Gedanken zu Ende denken und wissen, was er
für die Kultur der Nation bedeuten könnte. Von der anderen Seite
aber heißt es, belehrend und einigermaßen mitleidig: „Meine
Damen, bedenken Sie doch! Dafür sind die deutschen Frauen
noch nicht reif! Eine Sache der fernsten Zukunft!‟ Nun, über das
Reif sein war sicher bei den Führerinnen der Bewegung keine

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[4/0004] tiefsten Punkt erreicht hatte, als neue Jdeen, größere Formen der Organisation und vor allem neue Formen des öffentlichen Handelns bereits in der Luft lagen, erkühnt sich der Vorstand des Vereins „Frauenwohl, Berlin‟, die „Bürgerpflicht der Frau‟ in öffentlicher Versamm- lung zur Debatte zu stellen. Frau Cauer hatte die Versammlung berufen. Frau Lily Braun, damals noch bürgerliche Frauen- rechtlerin, hielt den Vortrag. Das war am 2. Dezember 1894. Einige Zeitungen nahmen spöttisch Notiz von einer so lächerlichen Tatsache, andere schwiegen sie völlig tot. Die Frauen aber, die die große Tat getan hatten, waren nicht gesonnen, den Gedanken in den kleinen, schüchternen Frauenkonventikeln jener Zeit wieder ein- schlafen und begraben zu lassen. Sie verbreiteten den gedruckten Vortrag nach Kräften, und durch ihn fiel mancher denkenden Frau die Binde von den Augen. Es geschah aber noch mehr: Jn der neu geschaffenen Zeitung „Die Frauenbewegung‟ wurde die Jdee von nun an energisch vertreten, und in den befreundeten Vereinen „Frauenwohl‟ ist wohl selten in jenen Tagen eine Versammlung berufen worden, die der grundlegenden Forderung des Frauen- stimmrechts nicht kräftigen Ausdruck gab. So war der sichere Boden einer organisierten Gemeinschaft da und damit war die deutsche Stimmrechtsbewegung geboren. Bald fanden sich zu den ersten Bahnbrechern andre herzu. Dr. Raschke, Dr. Augspurg, Lyda Gustava Heymann,Dr. Schir- macher übernahmen die Vertretung der Jdee in der Presse, in öffentlichen Versammlungen. Mit Schrecken hören die Vertrete- rinnen der sozialen Frauenbewegung von diesem „geschichtslosen Radikalismus‟. Sie fürchten die kümmerlichen Zugeständnisse zu verlieren, die man ihnen da und dort in Aussicht gestellt hatte. Mit strengem Tadel werden die Jungen angefahren, die in der Dis- kussion unerwartet mit dieser Forderung herauskommen. „Was haben Sie gemacht? Sie haben ja vom Frauenstimmrecht gesprochen!!‟ Aber die nötige Energie der „Radikalen‟ sitzt da- hinter. Es hilft alles nichts. Dieser Ruf verhallt nicht ungehört, das große Erwachen kommt in ganz Deutschland, und die Frauen mehren sich, die den Gedanken zu Ende denken und wissen, was er für die Kultur der Nation bedeuten könnte. Von der anderen Seite aber heißt es, belehrend und einigermaßen mitleidig: „Meine Damen, bedenken Sie doch! Dafür sind die deutschen Frauen noch nicht reif! Eine Sache der fernsten Zukunft!‟ Nun, über das Reif sein war sicher bei den Führerinnen der Bewegung keine  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/4>, abgerufen am 21.11.2024.