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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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ihrer Weltanschauung fließende Forderung der Herrschaft der
Kirche auf weltlichem Gebiete
ins Auge, so liegt hier
der Fall vor, daß die Partei direkt zur politischen Betätigung der
Frau gedrängt wird. Die Frauen füllen die Gotteshäuser, die
Frauen sind zu jedem Opfer für die heilige Kirche bereit. Aus dieser
Erkenntnis heraus hat das Zentrum, das viel weniger von theo-
retischen Bedenken als von praktischen Gesichtspunkten geleitet wird,
schon längst die Frau als politischen Agitator eingestellt. Marien-
Andachten, Predigten, Beichtstuhl, Hausbesuche, politische Flug-
blätter sorgen in Zeiten der Wahl für Aufklärung der Frau, und
nach Tausenden zählen die Männer, die auf diesem Wege dem
Zentrum sicher gewonnen wurden. Aus Gründen praktischer
Politik kann also das Zentrum nicht gegen das Stimmrecht der
Frau sein. Ja, wenn in dem großen Kampfe der Geister die Wogen
wieder einmal hoch gehen, wird es sicher zu diesem letzten Mittel
greifen und die Zahl seiner Wähler verdoppeln. Wir hören daher
auch, daß das Zentrum bereits in der Stille seine Frauen politisch
schult, und, wenn der Moment gekommen sein wird, sie als öffent-
lichen politischen Faktor einzustellen, werden wir mit Erstaunen an
ihnen die alte klerikale Schule beobachten, die schon heute in der
sozialen Frauenbewegung jeden Tieferblickenden überrascht. An
Tiefe und Geschlossenheit der Weltanschauung sind die katholischen
Frauen vielen andersdenkenden Frauen voraus. Es ist also ganz
unwiderleglich: auch das Zentrum kann die Frau befreien.

Wie steht's mit den Konservativen? Jmmer und über-
all schleudern sie uns ihr "Niemals!" entgegen. Sie sind die ge-
schworenen Feinde der politischen Frau. Also: gar keine Aussicht.
Sehen wir uns ihr Parteiprogramm an. Jch will hier nicht im ge-
bräuchlichen Tone von Wählerversammlungen von "Reaktionären"
sprechen, sondern gern anerkennen, daß es in der konservativen
Partei eine große Anzahl Männer von freier weltmännischer
Bildung gibt, und daß die Partei als Ganzes im preußischen Ab-
geordnetenhause die glänzende Entwicklung eines höheren Bildungs-
wesens in Preußen im Bunde mit der Regierung veranlaßt hat.
Sie hatte die Majorität, sie allein konnte es. Sie drückte auch der
Volksschule in immer steigendem Maße den Charakter der Staats-
schule auf. Das ist sicher kein rückschrittliches Tun. Jhr Haupt-
gedanke aber ist: die Entwicklung einer starken Staatsgewalt.
Diesem Grundsatz würde sie alles opfern. Daher ihre Unterstützung
der Militärforderungen, der Versicherungsgesetze Bismarcks und
die Zustimmung zu den staatssozialistischen Gesetzen in Preußen

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ihrer Weltanschauung fließende Forderung der Herrschaft der
Kirche auf weltlichem Gebiete
ins Auge, so liegt hier
der Fall vor, daß die Partei direkt zur politischen Betätigung der
Frau gedrängt wird. Die Frauen füllen die Gotteshäuser, die
Frauen sind zu jedem Opfer für die heilige Kirche bereit. Aus dieser
Erkenntnis heraus hat das Zentrum, das viel weniger von theo-
retischen Bedenken als von praktischen Gesichtspunkten geleitet wird,
schon längst die Frau als politischen Agitator eingestellt. Marien-
Andachten, Predigten, Beichtstuhl, Hausbesuche, politische Flug-
blätter sorgen in Zeiten der Wahl für Aufklärung der Frau, und
nach Tausenden zählen die Männer, die auf diesem Wege dem
Zentrum sicher gewonnen wurden. Aus Gründen praktischer
Politik kann also das Zentrum nicht gegen das Stimmrecht der
Frau sein. Ja, wenn in dem großen Kampfe der Geister die Wogen
wieder einmal hoch gehen, wird es sicher zu diesem letzten Mittel
greifen und die Zahl seiner Wähler verdoppeln. Wir hören daher
auch, daß das Zentrum bereits in der Stille seine Frauen politisch
schult, und, wenn der Moment gekommen sein wird, sie als öffent-
lichen politischen Faktor einzustellen, werden wir mit Erstaunen an
ihnen die alte klerikale Schule beobachten, die schon heute in der
sozialen Frauenbewegung jeden Tieferblickenden überrascht. An
Tiefe und Geschlossenheit der Weltanschauung sind die katholischen
Frauen vielen andersdenkenden Frauen voraus. Es ist also ganz
unwiderleglich: auch das Zentrum kann die Frau befreien.

Wie steht's mit den Konservativen? Jmmer und über-
all schleudern sie uns ihr „Niemals!‟ entgegen. Sie sind die ge-
schworenen Feinde der politischen Frau. Also: gar keine Aussicht.
Sehen wir uns ihr Parteiprogramm an. Jch will hier nicht im ge-
bräuchlichen Tone von Wählerversammlungen von „Reaktionären‟
sprechen, sondern gern anerkennen, daß es in der konservativen
Partei eine große Anzahl Männer von freier weltmännischer
Bildung gibt, und daß die Partei als Ganzes im preußischen Ab-
geordnetenhause die glänzende Entwicklung eines höheren Bildungs-
wesens in Preußen im Bunde mit der Regierung veranlaßt hat.
Sie hatte die Majorität, sie allein konnte es. Sie drückte auch der
Volksschule in immer steigendem Maße den Charakter der Staats-
schule auf. Das ist sicher kein rückschrittliches Tun. Jhr Haupt-
gedanke aber ist: die Entwicklung einer starken Staatsgewalt.
Diesem Grundsatz würde sie alles opfern. Daher ihre Unterstützung
der Militärforderungen, der Versicherungsgesetze Bismarcks und
die Zustimmung zu den staatssozialistischen Gesetzen in Preußen

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[19/0019] ihrer Weltanschauung fließende Forderung der Herrschaft der Kirche auf weltlichem Gebiete ins Auge, so liegt hier der Fall vor, daß die Partei direkt zur politischen Betätigung der Frau gedrängt wird. Die Frauen füllen die Gotteshäuser, die Frauen sind zu jedem Opfer für die heilige Kirche bereit. Aus dieser Erkenntnis heraus hat das Zentrum, das viel weniger von theo- retischen Bedenken als von praktischen Gesichtspunkten geleitet wird, schon längst die Frau als politischen Agitator eingestellt. Marien- Andachten, Predigten, Beichtstuhl, Hausbesuche, politische Flug- blätter sorgen in Zeiten der Wahl für Aufklärung der Frau, und nach Tausenden zählen die Männer, die auf diesem Wege dem Zentrum sicher gewonnen wurden. Aus Gründen praktischer Politik kann also das Zentrum nicht gegen das Stimmrecht der Frau sein. Ja, wenn in dem großen Kampfe der Geister die Wogen wieder einmal hoch gehen, wird es sicher zu diesem letzten Mittel greifen und die Zahl seiner Wähler verdoppeln. Wir hören daher auch, daß das Zentrum bereits in der Stille seine Frauen politisch schult, und, wenn der Moment gekommen sein wird, sie als öffent- lichen politischen Faktor einzustellen, werden wir mit Erstaunen an ihnen die alte klerikale Schule beobachten, die schon heute in der sozialen Frauenbewegung jeden Tieferblickenden überrascht. An Tiefe und Geschlossenheit der Weltanschauung sind die katholischen Frauen vielen andersdenkenden Frauen voraus. Es ist also ganz unwiderleglich: auch das Zentrum kann die Frau befreien. Wie steht's mit den Konservativen? Jmmer und über- all schleudern sie uns ihr „Niemals!‟ entgegen. Sie sind die ge- schworenen Feinde der politischen Frau. Also: gar keine Aussicht. Sehen wir uns ihr Parteiprogramm an. Jch will hier nicht im ge- bräuchlichen Tone von Wählerversammlungen von „Reaktionären‟ sprechen, sondern gern anerkennen, daß es in der konservativen Partei eine große Anzahl Männer von freier weltmännischer Bildung gibt, und daß die Partei als Ganzes im preußischen Ab- geordnetenhause die glänzende Entwicklung eines höheren Bildungs- wesens in Preußen im Bunde mit der Regierung veranlaßt hat. Sie hatte die Majorität, sie allein konnte es. Sie drückte auch der Volksschule in immer steigendem Maße den Charakter der Staats- schule auf. Das ist sicher kein rückschrittliches Tun. Jhr Haupt- gedanke aber ist: die Entwicklung einer starken Staatsgewalt. Diesem Grundsatz würde sie alles opfern. Daher ihre Unterstützung der Militärforderungen, der Versicherungsgesetze Bismarcks und die Zustimmung zu den staatssozialistischen Gesetzen in Preußen   2*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/19>, abgerufen am 24.11.2024.