wendung gebracht hätte, kann man dennoch erwägen, wie es um die aerodynamische Flugfrage heutigen Tages stände, wenn die Aerostatik bei der Luftschiffahrt gar nicht zur Geltung gekommen wäre.
Ehedem hatte man nur den Vogel als Vorbild, da aber stellte plötzlich der erste Ballon die ganze Flugfrage auf einen anderen Boden. Wahrhaft berauschend muss es gewirkt haben, als vor einem Jahrhundert der erste Mensch sich wirklich von der Erde in die Lüfte erhob. Es kann nicht überraschen, wenn alle Welt glaubte, dass die Hauptschwierigkeit nun überwunden sei, und es nur geringer Hinzufügungen bedürfe, um den Aerostaten, der so sicher die Hebung in die Luft bewirkte, auch nach beliebigen Richtungen zu dirigieren und so zur willkürlichen Ortsveränderung ausnützen zu können.
Kein Wunder also, dass alles Streben auf dem Gebiet der Aeronautik dahin ging, nun den Ballon auch lenkbar zu machen, und dass namentlich auch die technisch gebildeten Kreise lebhaft diesen Gedanken verfolgten. Man klammerte sich an das vorhandene, greifbare, sogar bestechende Resultat und dachte natürlich nicht daran, die als ausserordentliche Errungenschaft erkannte Hebekraft des Luftballons so leicht wiederaufzugeben. Wie verlockend war es nicht, nach diesem jahrtausendelangen Suchen endlich die Gewissheit zu erhalten, dass auch der Luftocean seine Räume uns erschliessen musste. Dieses neue Element nun auch für die freie Fortbewegung zu gewinnen, konnte ja nicht mehr schwer sein. Es schien, als ob es nur noch an einer Kleinigkeit läge, um das grosse Problem der Luftschiffahrt vollends zu lösen.
Diese Kleinigkeit hat sich inzwischen aber als die eigent- liche, und zwar als eine unüberwindliche Schwierigkeit er- wiesen; denn wir überzeugen uns immer mehr und mehr, dass der Ballon das bleiben wird, was er ist, -- "ein Mittel, sich hoch in die Luft zu erheben, aber kein Mittel zur praktischen und freien Luftschiffahrt".
Jetzt, wo diese Einsicht immer mehr Boden gewinnt, wo also der Ballontaumel seinem Ende sich naht, kehren wir
wendung gebracht hätte, kann man dennoch erwägen, wie es um die aerodynamische Flugfrage heutigen Tages stände, wenn die Aerostatik bei der Luftschiffahrt gar nicht zur Geltung gekommen wäre.
Ehedem hatte man nur den Vogel als Vorbild, da aber stellte plötzlich der erste Ballon die ganze Flugfrage auf einen anderen Boden. Wahrhaft berauschend muſs es gewirkt haben, als vor einem Jahrhundert der erste Mensch sich wirklich von der Erde in die Lüfte erhob. Es kann nicht überraschen, wenn alle Welt glaubte, daſs die Hauptschwierigkeit nun überwunden sei, und es nur geringer Hinzufügungen bedürfe, um den Aerostaten, der so sicher die Hebung in die Luft bewirkte, auch nach beliebigen Richtungen zu dirigieren und so zur willkürlichen Ortsveränderung ausnützen zu können.
Kein Wunder also, daſs alles Streben auf dem Gebiet der Aeronautik dahin ging, nun den Ballon auch lenkbar zu machen, und daſs namentlich auch die technisch gebildeten Kreise lebhaft diesen Gedanken verfolgten. Man klammerte sich an das vorhandene, greifbare, sogar bestechende Resultat und dachte natürlich nicht daran, die als auſserordentliche Errungenschaft erkannte Hebekraft des Luftballons so leicht wiederaufzugeben. Wie verlockend war es nicht, nach diesem jahrtausendelangen Suchen endlich die Gewiſsheit zu erhalten, daſs auch der Luftocean seine Räume uns erschlieſsen muſste. Dieses neue Element nun auch für die freie Fortbewegung zu gewinnen, konnte ja nicht mehr schwer sein. Es schien, als ob es nur noch an einer Kleinigkeit läge, um das groſse Problem der Luftschiffahrt vollends zu lösen.
Diese Kleinigkeit hat sich inzwischen aber als die eigent- liche, und zwar als eine unüberwindliche Schwierigkeit er- wiesen; denn wir überzeugen uns immer mehr und mehr, daſs der Ballon das bleiben wird, was er ist, — „ein Mittel, sich hoch in die Luft zu erheben, aber kein Mittel zur praktischen und freien Luftschiffahrt“.
Jetzt, wo diese Einsicht immer mehr Boden gewinnt, wo also der Ballontaumel seinem Ende sich naht, kehren wir
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wendung gebracht hätte, kann man dennoch erwägen, wie es
um die aerodynamische Flugfrage heutigen Tages stände, wenn
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gekommen wäre.
Ehedem hatte man nur den Vogel als Vorbild, da aber
stellte plötzlich der erste Ballon die ganze Flugfrage auf einen
anderen Boden. Wahrhaft berauschend muſs es gewirkt haben,
als vor einem Jahrhundert der erste Mensch sich wirklich
von der Erde in die Lüfte erhob. Es kann nicht überraschen,
wenn alle Welt glaubte, daſs die Hauptschwierigkeit nun
überwunden sei, und es nur geringer Hinzufügungen bedürfe,
um den Aerostaten, der so sicher die Hebung in die Luft
bewirkte, auch nach beliebigen Richtungen zu dirigieren und
so zur willkürlichen Ortsveränderung ausnützen zu können.
Kein Wunder also, daſs alles Streben auf dem Gebiet der
Aeronautik dahin ging, nun den Ballon auch lenkbar zu
machen, und daſs namentlich auch die technisch gebildeten
Kreise lebhaft diesen Gedanken verfolgten. Man klammerte
sich an das vorhandene, greifbare, sogar bestechende Resultat
und dachte natürlich nicht daran, die als auſserordentliche
Errungenschaft erkannte Hebekraft des Luftballons so leicht
wiederaufzugeben. Wie verlockend war es nicht, nach diesem
jahrtausendelangen Suchen endlich die Gewiſsheit zu erhalten,
daſs auch der Luftocean seine Räume uns erschlieſsen muſste.
Dieses neue Element nun auch für die freie Fortbewegung zu
gewinnen, konnte ja nicht mehr schwer sein. Es schien, als
ob es nur noch an einer Kleinigkeit läge, um das groſse
Problem der Luftschiffahrt vollends zu lösen.
Diese Kleinigkeit hat sich inzwischen aber als die eigent-
liche, und zwar als eine unüberwindliche Schwierigkeit er-
wiesen; denn wir überzeugen uns immer mehr und mehr, daſs
der Ballon das bleiben wird, was er ist, — „ein Mittel, sich
hoch in die Luft zu erheben, aber kein Mittel zur praktischen
und freien Luftschiffahrt“.
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Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/172>, abgerufen am 22.07.2024.
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