Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.Zum Neste kehren wir wieder. Auf heimischem Dache dann schlummern wir ein, Und träumen von Wind und von Sonnenschein, Und ruh'n die befiederten Glieder. Doch treibt Dich die Sehnsucht, im Fluge uns gleich Dahinzuschweben, im Lüftebereich Die Wonnen des Flug's zu geniessen, So sieh' unsern Flügelbau, miss unsre Kraft, Und such' aus dem Luftdruck, der Hebung uns schafft, Auf Wirkung der Flügel zu schliessen. Dann forsche, was uns zu tragen vermag Bei unserer Fittige mässigem Schlag, Bei Ausdauer unseres Zuges! Was uns eine gütige Schöpfung verlieh'n, Draus mögest Du richtige Schlüsse dann zieh'n, Und lösen die Rätsel des Fluges. Die Macht des Verstandes, o, wend' sie nur an, Es darf Dich nicht hindern ein ewiger Bann, Sie wird auch im Fluge Dich tragen! Es kann Deines Schöpfers Wille nicht sein, Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih'n, Dir ewig den Flug zu versagen!" Was treibt denn den Storch sonst, die Nähe des Menschen Zum Neste kehren wir wieder. Auf heimischem Dache dann schlummern wir ein, Und träumen von Wind und von Sonnenschein, Und ruh’n die befiederten Glieder. Doch treibt Dich die Sehnsucht, im Fluge uns gleich Dahinzuschweben, im Lüftebereich Die Wonnen des Flug’s zu genieſsen, So sieh’ unsern Flügelbau, miſs unsre Kraft, Und such’ aus dem Luftdruck, der Hebung uns schafft, Auf Wirkung der Flügel zu schlieſsen. Dann forsche, was uns zu tragen vermag Bei unserer Fittige mäſsigem Schlag, Bei Ausdauer unseres Zuges! Was uns eine gütige Schöpfung verlieh’n, Draus mögest Du richtige Schlüsse dann zieh’n, Und lösen die Rätsel des Fluges. Die Macht des Verstandes, o, wend’ sie nur an, Es darf Dich nicht hindern ein ewiger Bann, Sie wird auch im Fluge Dich tragen! Es kann Deines Schöpfers Wille nicht sein, Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih’n, Dir ewig den Flug zu versagen!“ Was treibt denn den Storch sonst, die Nähe des Menschen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0165" n="149"/> <lg n="5"> <l>Zum Neste kehren wir wieder.</l><lb/> <l>Auf heimischem Dache dann schlummern wir ein,</l><lb/> <l>Und träumen von Wind und von Sonnenschein,</l><lb/> <l>Und ruh’n die befiederten Glieder.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Doch treibt Dich die Sehnsucht, im Fluge uns gleich</l><lb/> <l>Dahinzuschweben, im Lüftebereich</l><lb/> <l>Die Wonnen des Flug’s zu genieſsen,</l><lb/> <l>So sieh’ unsern Flügelbau, miſs unsre Kraft,</l><lb/> <l>Und such’ aus dem Luftdruck, der Hebung uns schafft,</l><lb/> <l>Auf Wirkung der Flügel zu schlieſsen.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Dann forsche, was uns zu tragen vermag</l><lb/> <l>Bei unserer Fittige mäſsigem Schlag,</l><lb/> <l>Bei Ausdauer unseres Zuges!</l><lb/> <l>Was uns eine gütige Schöpfung verlieh’n,</l><lb/> <l>Draus mögest Du richtige Schlüsse dann zieh’n,</l><lb/> <l>Und lösen die Rätsel des Fluges.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Die Macht des Verstandes, o, wend’ sie nur an,</l><lb/> <l>Es darf Dich nicht hindern ein ewiger Bann,</l><lb/> <l>Sie wird auch im Fluge Dich tragen!</l><lb/> <l>Es kann Deines Schöpfers Wille nicht sein,</l><lb/> <l>Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih’n,</l><lb/> <l>Dir ewig den Flug zu versagen!“</l> </lg> </lg><lb/> <p>Was treibt denn den Storch sonst, die Nähe des Menschen<lb/> zu suchen? Den Schutz des Menschen braucht er nicht; er<lb/> hat keinen Feind aus dem Tierreiche zu fürchten, und Marder,<lb/> sowie Katzen, die seiner Brut schaden könnten, finden sich<lb/> auf den Dächern mehr als in der Wildnis. Aber auch diese<lb/> werden sich hüten, ihn zu stören; denn seine Schnabelhiebe<lb/> würden sie töten oder wenigstens ihres Augenlichtes berauben.<lb/> Sein schwarzer Stammesbruder, der seinen menschenfreund-<lb/> lichen Zug mit ihm nicht teilt, trotzdem er in der Gefangen-<lb/> schaft ebenso zahm wird, läſst ihm auch genug Bäume des<lb/> Waldes übrig, auf denen er seinen Horst fest und sicher auf-<lb/> schlagen könnte. Es ist also keine Wohnungsnot, die ihn<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [149/0165]
Zum Neste kehren wir wieder.
Auf heimischem Dache dann schlummern wir ein,
Und träumen von Wind und von Sonnenschein,
Und ruh’n die befiederten Glieder.
Doch treibt Dich die Sehnsucht, im Fluge uns gleich
Dahinzuschweben, im Lüftebereich
Die Wonnen des Flug’s zu genieſsen,
So sieh’ unsern Flügelbau, miſs unsre Kraft,
Und such’ aus dem Luftdruck, der Hebung uns schafft,
Auf Wirkung der Flügel zu schlieſsen.
Dann forsche, was uns zu tragen vermag
Bei unserer Fittige mäſsigem Schlag,
Bei Ausdauer unseres Zuges!
Was uns eine gütige Schöpfung verlieh’n,
Draus mögest Du richtige Schlüsse dann zieh’n,
Und lösen die Rätsel des Fluges.
Die Macht des Verstandes, o, wend’ sie nur an,
Es darf Dich nicht hindern ein ewiger Bann,
Sie wird auch im Fluge Dich tragen!
Es kann Deines Schöpfers Wille nicht sein,
Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih’n,
Dir ewig den Flug zu versagen!“
Was treibt denn den Storch sonst, die Nähe des Menschen
zu suchen? Den Schutz des Menschen braucht er nicht; er
hat keinen Feind aus dem Tierreiche zu fürchten, und Marder,
sowie Katzen, die seiner Brut schaden könnten, finden sich
auf den Dächern mehr als in der Wildnis. Aber auch diese
werden sich hüten, ihn zu stören; denn seine Schnabelhiebe
würden sie töten oder wenigstens ihres Augenlichtes berauben.
Sein schwarzer Stammesbruder, der seinen menschenfreund-
lichen Zug mit ihm nicht teilt, trotzdem er in der Gefangen-
schaft ebenso zahm wird, läſst ihm auch genug Bäume des
Waldes übrig, auf denen er seinen Horst fest und sicher auf-
schlagen könnte. Es ist also keine Wohnungsnot, die ihn
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