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Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

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dem höchsten Punkte wandert, der Hebel sich also immer
wieder senkrecht stellt. Die Fläche kann also nicht bloss in
der höchsten Lage bleiben, sie muss sogar diese Lage behalten
und befindet sich daher nicht im labilen, sondern im stabilen
Gleichgewicht. Um diesen Eindruck noch zu verstärken, kann
man irgend einen schweren Körper, z. B. einen Stein a (bei
unseren Versuchen 2 kg) unter der Fläche am Hebel befestigen,
so dass das obere Hebelende thatsächlich schwerer wird wie
das untere, aber auch dann noch bleibt die Fläche oben in
stabiler Lage, wenn mit dem hinzugefügten Gewicht bei ge-
wisser Windstärke eine gewisse Grenze nicht überschritten
wird.

Wenn, wie hier, die Diagramme Tafel V vorliegen, ist
die Erklärung dieser Erscheinung nicht schwer. Man sieht
aus diesen Kraftaufzeichnungen, dass bei einer Flächenneigung
von Null Grad gegen den Horizont der Winddruck normal
zur Fläche, also senkrecht steht, dass aber bei negativen Win-
keln, wenn also die Fläche gegen den Wind abwärts gerichtet
ist, der Winddruck schiebend auf die Fläche wirkt. Die Stel-
lung Fig. 53 wird daher einen Winddruck x ergeben, der die
Fläche zur Mittelstellung zurücktreibt. Ruft man aber künst-
lich die Stellung Fig. 54 hervor, so entsteht bei Winkeln bis
zu 30° ein Luftwiderstand y der von der Normalen zur Fläche
nach der Windseite zu liegt, den Hebel also um seinen Dreh-
punkt m nach links dreht, und die Fläche dem Wind entgegen
zieht. Es kann also weder die Stellung Fig. 53 noch die
Stellung Fig. 54 verbleiben, sondern beide Stellungen werden
sich von selbst wieder ändern, bis die senkrechte Mittelstellung
Fig. 52 entsteht, wo der Winddruck bei wagerechter Flächen-
lage senkrecht hebend gerichtet ist.

Diese Erscheinung, von der man vorher keine Ahnung
haben konnte, charakterisiert nun am deutlichsten die Be-
fähigung der schwachgewölbten Flugflächen zum Segeln, das
heisst zu einem Fluge, der ohne Flügelbewegung und ohne
wesentliche dynamische Leistung seitens des fliegenden Kör-
pers vor sich geht.

dem höchsten Punkte wandert, der Hebel sich also immer
wieder senkrecht stellt. Die Fläche kann also nicht bloſs in
der höchsten Lage bleiben, sie muſs sogar diese Lage behalten
und befindet sich daher nicht im labilen, sondern im stabilen
Gleichgewicht. Um diesen Eindruck noch zu verstärken, kann
man irgend einen schweren Körper, z. B. einen Stein a (bei
unseren Versuchen 2 kg) unter der Fläche am Hebel befestigen,
so daſs das obere Hebelende thatsächlich schwerer wird wie
das untere, aber auch dann noch bleibt die Fläche oben in
stabiler Lage, wenn mit dem hinzugefügten Gewicht bei ge-
wisser Windstärke eine gewisse Grenze nicht überschritten
wird.

Wenn, wie hier, die Diagramme Tafel V vorliegen, ist
die Erklärung dieser Erscheinung nicht schwer. Man sieht
aus diesen Kraftaufzeichnungen, daſs bei einer Flächenneigung
von Null Grad gegen den Horizont der Winddruck normal
zur Fläche, also senkrecht steht, daſs aber bei negativen Win-
keln, wenn also die Fläche gegen den Wind abwärts gerichtet
ist, der Winddruck schiebend auf die Fläche wirkt. Die Stel-
lung Fig. 53 wird daher einen Winddruck x ergeben, der die
Fläche zur Mittelstellung zurücktreibt. Ruft man aber künst-
lich die Stellung Fig. 54 hervor, so entsteht bei Winkeln bis
zu 30° ein Luftwiderstand y der von der Normalen zur Fläche
nach der Windseite zu liegt, den Hebel also um seinen Dreh-
punkt m nach links dreht, und die Fläche dem Wind entgegen
zieht. Es kann also weder die Stellung Fig. 53 noch die
Stellung Fig. 54 verbleiben, sondern beide Stellungen werden
sich von selbst wieder ändern, bis die senkrechte Mittelstellung
Fig. 52 entsteht, wo der Winddruck bei wagerechter Flächen-
lage senkrecht hebend gerichtet ist.

Diese Erscheinung, von der man vorher keine Ahnung
haben konnte, charakterisiert nun am deutlichsten die Be-
fähigung der schwachgewölbten Flugflächen zum Segeln, das
heiſst zu einem Fluge, der ohne Flügelbewegung und ohne
wesentliche dynamische Leistung seitens des fliegenden Kör-
pers vor sich geht.

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[125/0141] dem höchsten Punkte wandert, der Hebel sich also immer wieder senkrecht stellt. Die Fläche kann also nicht bloſs in der höchsten Lage bleiben, sie muſs sogar diese Lage behalten und befindet sich daher nicht im labilen, sondern im stabilen Gleichgewicht. Um diesen Eindruck noch zu verstärken, kann man irgend einen schweren Körper, z. B. einen Stein a (bei unseren Versuchen 2 kg) unter der Fläche am Hebel befestigen, so daſs das obere Hebelende thatsächlich schwerer wird wie das untere, aber auch dann noch bleibt die Fläche oben in stabiler Lage, wenn mit dem hinzugefügten Gewicht bei ge- wisser Windstärke eine gewisse Grenze nicht überschritten wird. Wenn, wie hier, die Diagramme Tafel V vorliegen, ist die Erklärung dieser Erscheinung nicht schwer. Man sieht aus diesen Kraftaufzeichnungen, daſs bei einer Flächenneigung von Null Grad gegen den Horizont der Winddruck normal zur Fläche, also senkrecht steht, daſs aber bei negativen Win- keln, wenn also die Fläche gegen den Wind abwärts gerichtet ist, der Winddruck schiebend auf die Fläche wirkt. Die Stel- lung Fig. 53 wird daher einen Winddruck x ergeben, der die Fläche zur Mittelstellung zurücktreibt. Ruft man aber künst- lich die Stellung Fig. 54 hervor, so entsteht bei Winkeln bis zu 30° ein Luftwiderstand y der von der Normalen zur Fläche nach der Windseite zu liegt, den Hebel also um seinen Dreh- punkt m nach links dreht, und die Fläche dem Wind entgegen zieht. Es kann also weder die Stellung Fig. 53 noch die Stellung Fig. 54 verbleiben, sondern beide Stellungen werden sich von selbst wieder ändern, bis die senkrechte Mittelstellung Fig. 52 entsteht, wo der Winddruck bei wagerechter Flächen- lage senkrecht hebend gerichtet ist. Diese Erscheinung, von der man vorher keine Ahnung haben konnte, charakterisiert nun am deutlichsten die Be- fähigung der schwachgewölbten Flugflächen zum Segeln, das heiſst zu einem Fluge, der ohne Flügelbewegung und ohne wesentliche dynamische Leistung seitens des fliegenden Kör- pers vor sich geht.

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Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/141>, abgerufen am 24.11.2024.