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Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

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mal kommt die Windgeschwindigkeit von der relativen Bewe-
gung zwischen Vogel und Luft in Abzug, das andere Mal
addieren sich beide zur absoluten Ortsveränderung, bei welcher
der Wind stets überholt wird.

Man kann eine sekundliche Geschwindigkeit von 10 m
als eine nur mittlere Vogelfluggeschwindigkeit bei Windstille
und 6 m als eine sehr häufige Windgeschwindigkeit bezeichnen.
Die Differenz beider, also 4 m, wäre die absolute Vogel-
geschwindigkeit gegen den Wind, während der Vogel mit dem
Winde die Geschwindigkeit 10 + 6 = 16 m erhält, also viermal
so schnell fliegt als gegen den Wind.

Dieses Beispiel zeigt, wie stark sich die Flugschnelligkeit
gegen den Wind und mit dem Winde unterscheidet. Bei stär-
keren Winden ist dieser Unterschied natürlich noch viel grösser.

Es ist anzunehmen, dass die Vögel bestrebt sind, diesen
Unterschied in ihren absoluten Geschwindigkeiten auszuglei-
chen, weil sie auch gegen den Wind möglichst schnell fliegen
wollen, und dass dieser Unterschied nicht ganz so auffällig
sich zeigt, als er eigentlich sein müsste. Trotzdem bleibt
der Unterschied aber immer noch so gross, dass alles Fliegen
der Vögel gegen den Wind durchschnittlich fast zweimal so
lange dauert, als mit dem Winde. Man erhält demzufolge
bei Beobachtung der Vögel den Eindruck, als flögen dieselben
viel häufiger gegen den Wind als in der Windrichtung; und
dies mag die Veranlassung gewesen sein, dass das Fliegen
gegen den Wind als Erleichterung des Fliegens angesehen
wurde, während es in Bezug auf das Vorwärtskommen eine
entschiedene Erschwerung mit sich bringt. Man kann daher
wohl auch nicht annehmen, dass die Vögel mit besonderer
Vorliebe dem Wind entgegenfliegen; und wenn man dieses
Entgegenfliegen viel häufiger beobachtet als das Fliegen mit
dem Wind, so findet dieses seine natürliche Erklärung in dem
ungleichen Zeitaufwand für beide Arten des Fliegens.

Wenn die Vögel nach Richtungen fliegen, die mit der
Windrichtung einen Winkel bilden, so fühlen dieselben einen
Wind, der sich aus ihrer eigenen Bewegung mit der Wind-

mal kommt die Windgeschwindigkeit von der relativen Bewe-
gung zwischen Vogel und Luft in Abzug, das andere Mal
addieren sich beide zur absoluten Ortsveränderung, bei welcher
der Wind stets überholt wird.

Man kann eine sekundliche Geschwindigkeit von 10 m
als eine nur mittlere Vogelfluggeschwindigkeit bei Windstille
und 6 m als eine sehr häufige Windgeschwindigkeit bezeichnen.
Die Differenz beider, also 4 m, wäre die absolute Vogel-
geschwindigkeit gegen den Wind, während der Vogel mit dem
Winde die Geschwindigkeit 10 + 6 = 16 m erhält, also viermal
so schnell fliegt als gegen den Wind.

Dieses Beispiel zeigt, wie stark sich die Flugschnelligkeit
gegen den Wind und mit dem Winde unterscheidet. Bei stär-
keren Winden ist dieser Unterschied natürlich noch viel gröſser.

Es ist anzunehmen, daſs die Vögel bestrebt sind, diesen
Unterschied in ihren absoluten Geschwindigkeiten auszuglei-
chen, weil sie auch gegen den Wind möglichst schnell fliegen
wollen, und daſs dieser Unterschied nicht ganz so auffällig
sich zeigt, als er eigentlich sein müſste. Trotzdem bleibt
der Unterschied aber immer noch so groſs, daſs alles Fliegen
der Vögel gegen den Wind durchschnittlich fast zweimal so
lange dauert, als mit dem Winde. Man erhält demzufolge
bei Beobachtung der Vögel den Eindruck, als flögen dieselben
viel häufiger gegen den Wind als in der Windrichtung; und
dies mag die Veranlassung gewesen sein, daſs das Fliegen
gegen den Wind als Erleichterung des Fliegens angesehen
wurde, während es in Bezug auf das Vorwärtskommen eine
entschiedene Erschwerung mit sich bringt. Man kann daher
wohl auch nicht annehmen, daſs die Vögel mit besonderer
Vorliebe dem Wind entgegenfliegen; und wenn man dieses
Entgegenfliegen viel häufiger beobachtet als das Fliegen mit
dem Wind, so findet dieses seine natürliche Erklärung in dem
ungleichen Zeitaufwand für beide Arten des Fliegens.

Wenn die Vögel nach Richtungen fliegen, die mit der
Windrichtung einen Winkel bilden, so fühlen dieselben einen
Wind, der sich aus ihrer eigenen Bewegung mit der Wind-

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[104/0120] mal kommt die Windgeschwindigkeit von der relativen Bewe- gung zwischen Vogel und Luft in Abzug, das andere Mal addieren sich beide zur absoluten Ortsveränderung, bei welcher der Wind stets überholt wird. Man kann eine sekundliche Geschwindigkeit von 10 m als eine nur mittlere Vogelfluggeschwindigkeit bei Windstille und 6 m als eine sehr häufige Windgeschwindigkeit bezeichnen. Die Differenz beider, also 4 m, wäre die absolute Vogel- geschwindigkeit gegen den Wind, während der Vogel mit dem Winde die Geschwindigkeit 10 + 6 = 16 m erhält, also viermal so schnell fliegt als gegen den Wind. Dieses Beispiel zeigt, wie stark sich die Flugschnelligkeit gegen den Wind und mit dem Winde unterscheidet. Bei stär- keren Winden ist dieser Unterschied natürlich noch viel gröſser. Es ist anzunehmen, daſs die Vögel bestrebt sind, diesen Unterschied in ihren absoluten Geschwindigkeiten auszuglei- chen, weil sie auch gegen den Wind möglichst schnell fliegen wollen, und daſs dieser Unterschied nicht ganz so auffällig sich zeigt, als er eigentlich sein müſste. Trotzdem bleibt der Unterschied aber immer noch so groſs, daſs alles Fliegen der Vögel gegen den Wind durchschnittlich fast zweimal so lange dauert, als mit dem Winde. Man erhält demzufolge bei Beobachtung der Vögel den Eindruck, als flögen dieselben viel häufiger gegen den Wind als in der Windrichtung; und dies mag die Veranlassung gewesen sein, daſs das Fliegen gegen den Wind als Erleichterung des Fliegens angesehen wurde, während es in Bezug auf das Vorwärtskommen eine entschiedene Erschwerung mit sich bringt. Man kann daher wohl auch nicht annehmen, daſs die Vögel mit besonderer Vorliebe dem Wind entgegenfliegen; und wenn man dieses Entgegenfliegen viel häufiger beobachtet als das Fliegen mit dem Wind, so findet dieses seine natürliche Erklärung in dem ungleichen Zeitaufwand für beide Arten des Fliegens. Wenn die Vögel nach Richtungen fliegen, die mit der Windrichtung einen Winkel bilden, so fühlen dieselben einen Wind, der sich aus ihrer eigenen Bewegung mit der Wind-

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Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/120>, abgerufen am 24.11.2024.