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Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

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und die günstigste Stellung für die Batterie auf dem Hügel
vor deren Eintreffen auszusuchen.

Um Gott! rief der keineswegs zartbesaitete Hauptmann,
als wir einbogen: Bei Gott! da durch zu kommen, ist ja
unmöglich. Das liegt ja Alles voll von Verwundeten.

Ein grausenhafter Aublick bot sich uns: Auf einander
geschichtet lagen in der Schlucht Tote und Verwundete, wenn
auch in geringer Zahl. Die Letzteren hatten unsere Batterie
heranrasseln hören und waren mit größester Anstrengung an
die Seiten gekrochen, um dem Rädertode zu entgehen. Es
mußte hier vor wenigen Stunden ein verzweifelter Kampf
stattgefunden haben.

Unmöglich! Hier war nicht durchzukommen. Aber die
Bataillone, die Bataillone! Der Hauptmann und ich hielten
einige Sekunden ratlos; die Batterie arbeitete mit keuchenden,
dampfenden Pferden näher und näher heran.

Unmöglich! -- Da raste auf nassem Pferde ein junger
Generalstabsoffizier des Oberbefehlshabers auf uns zu. Um
seine Stirn war ein weißes Tuch geknotet; auf den Haaren
saß die Feldmütze irgend eines Musketiers. Er lenkte sein
Pferd mit der Rechten; mit der linken Hand wischte er fort
und fort das unter dem Tuche hervorquellende Blut aus den
Augen. Er konnte kaum mehr sehen. Von Weitem schon
schrie er mit ganz heiserer Stimme: "Die Batterie, die
Batterie soll vor! Wo bleibt die Batterie? Excellenz ist .."
Ich schoß auf ihn zu, um ihn aufzufangen; er lag, fast ohn-
mächtig, auf der Mähne des nun nicht mehr von ihm ge-
führten Pferdes; die Arme hingen schlaff um den Hals des
Tiers. Ich hatte keine Zeit, Verwundeten zu helfen, und
wär's mein Bruder gewesen. So rief ich einen im Graben
sitzenden Leichtverwundeten, der da mit beschäftigt war, seine
Hand zu verbinden, indem er das eine Ende des Tuches mit
den Zähnen festhielt. Er legte mit mir den Hauptmann
vom Generalstabe sanft nieder. Noch einmal sah ich in das
blasse, blutüberströmte Gesicht; in halber Ohnmacht schon,

und die günſtigſte Stellung für die Batterie auf dem Hügel
vor deren Eintreffen auszuſuchen.

Um Gott! rief der keineswegs zartbeſaitete Hauptmann,
als wir einbogen: Bei Gott! da durch zu kommen, iſt ja
unmöglich. Das liegt ja Alles voll von Verwundeten.

Ein grauſenhafter Aublick bot ſich uns: Auf einander
geſchichtet lagen in der Schlucht Tote und Verwundete, wenn
auch in geringer Zahl. Die Letzteren hatten unſere Batterie
heranraſſeln hören und waren mit größeſter Anſtrengung an
die Seiten gekrochen, um dem Rädertode zu entgehen. Es
mußte hier vor wenigen Stunden ein verzweifelter Kampf
ſtattgefunden haben.

Unmöglich! Hier war nicht durchzukommen. Aber die
Bataillone, die Bataillone! Der Hauptmann und ich hielten
einige Sekunden ratlos; die Batterie arbeitete mit keuchenden,
dampfenden Pferden näher und näher heran.

Unmöglich! — Da raſte auf naſſem Pferde ein junger
Generalſtabsoffizier des Oberbefehlshabers auf uns zu. Um
ſeine Stirn war ein weißes Tuch geknotet; auf den Haaren
ſaß die Feldmütze irgend eines Musketiers. Er lenkte ſein
Pferd mit der Rechten; mit der linken Hand wiſchte er fort
und fort das unter dem Tuche hervorquellende Blut aus den
Augen. Er konnte kaum mehr ſehen. Von Weitem ſchon
ſchrie er mit ganz heiſerer Stimme: „Die Batterie, die
Batterie ſoll vor! Wo bleibt die Batterie? Excellenz iſt ..“
Ich ſchoß auf ihn zu, um ihn aufzufangen; er lag, faſt ohn-
mächtig, auf der Mähne des nun nicht mehr von ihm ge-
führten Pferdes; die Arme hingen ſchlaff um den Hals des
Tiers. Ich hatte keine Zeit, Verwundeten zu helfen, und
wär’s mein Bruder geweſen. So rief ich einen im Graben
ſitzenden Leichtverwundeten, der da mit beſchäftigt war, ſeine
Hand zu verbinden, indem er das eine Ende des Tuches mit
den Zähnen feſthielt. Er legte mit mir den Hauptmann
vom Generalſtabe ſanft nieder. Noch einmal ſah ich in das
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[151/0159] und die günſtigſte Stellung für die Batterie auf dem Hügel vor deren Eintreffen auszuſuchen. Um Gott! rief der keineswegs zartbeſaitete Hauptmann, als wir einbogen: Bei Gott! da durch zu kommen, iſt ja unmöglich. Das liegt ja Alles voll von Verwundeten. Ein grauſenhafter Aublick bot ſich uns: Auf einander geſchichtet lagen in der Schlucht Tote und Verwundete, wenn auch in geringer Zahl. Die Letzteren hatten unſere Batterie heranraſſeln hören und waren mit größeſter Anſtrengung an die Seiten gekrochen, um dem Rädertode zu entgehen. Es mußte hier vor wenigen Stunden ein verzweifelter Kampf ſtattgefunden haben. Unmöglich! Hier war nicht durchzukommen. Aber die Bataillone, die Bataillone! Der Hauptmann und ich hielten einige Sekunden ratlos; die Batterie arbeitete mit keuchenden, dampfenden Pferden näher und näher heran. Unmöglich! — Da raſte auf naſſem Pferde ein junger Generalſtabsoffizier des Oberbefehlshabers auf uns zu. Um ſeine Stirn war ein weißes Tuch geknotet; auf den Haaren ſaß die Feldmütze irgend eines Musketiers. Er lenkte ſein Pferd mit der Rechten; mit der linken Hand wiſchte er fort und fort das unter dem Tuche hervorquellende Blut aus den Augen. Er konnte kaum mehr ſehen. Von Weitem ſchon ſchrie er mit ganz heiſerer Stimme: „Die Batterie, die Batterie ſoll vor! Wo bleibt die Batterie? Excellenz iſt ..“ Ich ſchoß auf ihn zu, um ihn aufzufangen; er lag, faſt ohn- mächtig, auf der Mähne des nun nicht mehr von ihm ge- führten Pferdes; die Arme hingen ſchlaff um den Hals des Tiers. Ich hatte keine Zeit, Verwundeten zu helfen, und wär’s mein Bruder geweſen. So rief ich einen im Graben ſitzenden Leichtverwundeten, der da mit beſchäftigt war, ſeine Hand zu verbinden, indem er das eine Ende des Tuches mit den Zähnen feſthielt. Er legte mit mir den Hauptmann vom Generalſtabe ſanft nieder. Noch einmal ſah ich in das blaſſe, blutüberſtrömte Geſicht; in halber Ohnmacht ſchon,

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Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/159>, abgerufen am 24.11.2024.