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Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

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und grämlich lag's auf der Gegend. Die stark verregnete
Karte in der Linken, hier und dort einen Kameraden grüßend,
mir von Patrouillen Auskunft geben lassend, trabte ich
meinem Ziele zu.

Noch war's nicht voller Tag. Vom Feinde war nichts
zu erblicken. Bei den Doppelposten fielen einzelne Schüsse.
Als ich in ein Thälchen einlenkte, entschwanden auch unsere
Truppen. Das Thal engte sich, und bald bemerkte ich ein
Brückchen, das sich über ein träges, schmutzig gelbes Wasser
bog. Halt -- was ist das? Da lag ein Mensch und sperrte
mir den schmalen Übergang. Ich gab meinem Pferde die
Sporen und war im Nu an seiner Seite. Es war ein
toter Garde mobile, platt auf dem Antlitz liegend. Die
Beine und Arme lagen ausgespreitzt gleich Mühlenflügeln.
Nein! Nicht tot! Denn der linke Arm hob sich mit letzter
Kraftanstrengung empor, als zucke er in der Abwehr vor
meines Pferdes Hufen. Ein Rabe, der auf dem Geländer
saß und den Schwerverwundeten mit schiefem Kopfe sehn-
süchtiglich betrachtete, flog mürrisch in's Weite.

Die Meldung war von Wichtigkeit, ich mußte fort.
Hier lag einer nur, und Hunderte büßten vielleicht mein
Zögern mit dem Tode. Da fiel mir in den Zügel links ein
südfranzösisch Weib mit roten, jungen Lippen. Ihre dunklen
Augen gruben sich flehentlich in die meinen. Gerechter Gott!
Vor meinem Gaule kniete, den linken Arm ausstreckend
gegen mich, den andern um den einzigen Sohn klammernd,
ein altes Mütterchen und rief: Halt! Halt! Gieb meinem
Sohn zu trinken, nur einen Schluck. Noch lebt er! Hilf, hilf!

Schon lockerte ich im strohumwickelten Bügel den Fuß,
um abzuspringen, als mich zwei ruhige graue Augen trafen.
Rechts vom Geländer stand ein langes, schmales Weib, im
weißen, togaähnlichen Faltengewande! Nicht trüb und traurig,
doch auch nicht fröhlich sah sie mich an. Ihre Züge blieben
gleichmäßig ernst und streng. Die Dame Pflicht rief mich,
und ich gehorchte.


und grämlich lag’s auf der Gegend. Die ſtark verregnete
Karte in der Linken, hier und dort einen Kameraden grüßend,
mir von Patrouillen Auskunft geben laſſend, trabte ich
meinem Ziele zu.

Noch war’s nicht voller Tag. Vom Feinde war nichts
zu erblicken. Bei den Doppelpoſten fielen einzelne Schüſſe.
Als ich in ein Thälchen einlenkte, entſchwanden auch unſere
Truppen. Das Thal engte ſich, und bald bemerkte ich ein
Brückchen, das ſich über ein träges, ſchmutzig gelbes Waſſer
bog. Halt — was iſt das? Da lag ein Menſch und ſperrte
mir den ſchmalen Übergang. Ich gab meinem Pferde die
Sporen und war im Nu an ſeiner Seite. Es war ein
toter Garde mobile, platt auf dem Antlitz liegend. Die
Beine und Arme lagen ausgeſpreitzt gleich Mühlenflügeln.
Nein! Nicht tot! Denn der linke Arm hob ſich mit letzter
Kraftanſtrengung empor, als zucke er in der Abwehr vor
meines Pferdes Hufen. Ein Rabe, der auf dem Geländer
ſaß und den Schwerverwundeten mit ſchiefem Kopfe ſehn-
ſüchtiglich betrachtete, flog mürriſch in’s Weite.

Die Meldung war von Wichtigkeit, ich mußte fort.
Hier lag einer nur, und Hunderte büßten vielleicht mein
Zögern mit dem Tode. Da fiel mir in den Zügel links ein
ſüdfranzöſiſch Weib mit roten, jungen Lippen. Ihre dunklen
Augen gruben ſich flehentlich in die meinen. Gerechter Gott!
Vor meinem Gaule kniete, den linken Arm ausſtreckend
gegen mich, den andern um den einzigen Sohn klammernd,
ein altes Mütterchen und rief: Halt! Halt! Gieb meinem
Sohn zu trinken, nur einen Schluck. Noch lebt er! Hilf, hilf!

Schon lockerte ich im ſtrohumwickelten Bügel den Fuß,
um abzuſpringen, als mich zwei ruhige graue Augen trafen.
Rechts vom Geländer ſtand ein langes, ſchmales Weib, im
weißen, togaähnlichen Faltengewande! Nicht trüb und traurig,
doch auch nicht fröhlich ſah ſie mich an. Ihre Züge blieben
gleichmäßig ernſt und ſtreng. Die Dame Pflicht rief mich,
und ich gehorchte.


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[144/0152] und grämlich lag’s auf der Gegend. Die ſtark verregnete Karte in der Linken, hier und dort einen Kameraden grüßend, mir von Patrouillen Auskunft geben laſſend, trabte ich meinem Ziele zu. Noch war’s nicht voller Tag. Vom Feinde war nichts zu erblicken. Bei den Doppelpoſten fielen einzelne Schüſſe. Als ich in ein Thälchen einlenkte, entſchwanden auch unſere Truppen. Das Thal engte ſich, und bald bemerkte ich ein Brückchen, das ſich über ein träges, ſchmutzig gelbes Waſſer bog. Halt — was iſt das? Da lag ein Menſch und ſperrte mir den ſchmalen Übergang. Ich gab meinem Pferde die Sporen und war im Nu an ſeiner Seite. Es war ein toter Garde mobile, platt auf dem Antlitz liegend. Die Beine und Arme lagen ausgeſpreitzt gleich Mühlenflügeln. Nein! Nicht tot! Denn der linke Arm hob ſich mit letzter Kraftanſtrengung empor, als zucke er in der Abwehr vor meines Pferdes Hufen. Ein Rabe, der auf dem Geländer ſaß und den Schwerverwundeten mit ſchiefem Kopfe ſehn- ſüchtiglich betrachtete, flog mürriſch in’s Weite. Die Meldung war von Wichtigkeit, ich mußte fort. Hier lag einer nur, und Hunderte büßten vielleicht mein Zögern mit dem Tode. Da fiel mir in den Zügel links ein ſüdfranzöſiſch Weib mit roten, jungen Lippen. Ihre dunklen Augen gruben ſich flehentlich in die meinen. Gerechter Gott! Vor meinem Gaule kniete, den linken Arm ausſtreckend gegen mich, den andern um den einzigen Sohn klammernd, ein altes Mütterchen und rief: Halt! Halt! Gieb meinem Sohn zu trinken, nur einen Schluck. Noch lebt er! Hilf, hilf! Schon lockerte ich im ſtrohumwickelten Bügel den Fuß, um abzuſpringen, als mich zwei ruhige graue Augen trafen. Rechts vom Geländer ſtand ein langes, ſchmales Weib, im weißen, togaähnlichen Faltengewande! Nicht trüb und traurig, doch auch nicht fröhlich ſah ſie mich an. Ihre Züge blieben gleichmäßig ernſt und ſtreng. Die Dame Pflicht rief mich, und ich gehorchte.

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Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/152>, abgerufen am 24.11.2024.