Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

Bild:
<< vorherige Seite
An einen Freund.


Noch seh' ich deine schwermutsvollen Augen,
Dein blaß Gesichtchen und den herben Zug,
Den deine Lippen auch als Mann behielten.
Wir hatten, Knaben, in die Waldesschatten
Uns scheu zurückgezogen von den Spielen,
Und sprachen wichtig über Welt und Menschen.
Ich fühle noch das Grau'n, als erste Zweifel
Uns kamen über Gott -- Unsterblichkeit,
Uns unerklärlich Schauer überliefen,
Wenn wir der Liebe Sphinx zu deuten suchten.
So saßen oft wir, fernab von den Freunden.
Es floß der Waldbach plätschernd uns zu Füßen,
Der Buchfink trillerte, die Drossel pfiff,
Und stieß der Falke seinen kurzen Schrei
In all' die Stille, flogen wir zusammen.
Wie viele Jahre sind seitdem vorüber.
Du stehst im Leben aufrecht, und des Weges
Gehst wohlbewußt du, klar, und ohne Schwanken.
Doch denkst du noch zurück an jene Stunden,
Wenn Buchenkronen dir zu Häupten rauschen,
Und hoch am Himmel schrill der Falke schreit?


An einen Freund.


Noch ſeh’ ich deine ſchwermutsvollen Augen,
Dein blaß Geſichtchen und den herben Zug,
Den deine Lippen auch als Mann behielten.
Wir hatten, Knaben, in die Waldesſchatten
Uns ſcheu zurückgezogen von den Spielen,
Und ſprachen wichtig über Welt und Menſchen.
Ich fühle noch das Grau’n, als erſte Zweifel
Uns kamen über Gott — Unſterblichkeit,
Uns unerklärlich Schauer überliefen,
Wenn wir der Liebe Sphinx zu deuten ſuchten.
So ſaßen oft wir, fernab von den Freunden.
Es floß der Waldbach plätſchernd uns zu Füßen,
Der Buchfink trillerte, die Droſſel pfiff,
Und ſtieß der Falke ſeinen kurzen Schrei
In all’ die Stille, flogen wir zuſammen.
Wie viele Jahre ſind ſeitdem vorüber.
Du ſtehſt im Leben aufrecht, und des Weges
Gehſt wohlbewußt du, klar, und ohne Schwanken.
Doch denkſt du noch zurück an jene Stunden,
Wenn Buchenkronen dir zu Häupten rauſchen,
Und hoch am Himmel ſchrill der Falke ſchreit?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0013" n="[5]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">An einen Freund.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l><hi rendition="#in">N</hi>och &#x017F;eh&#x2019; ich deine &#x017F;chwermutsvollen Augen,</l><lb/>
            <l>Dein blaß Ge&#x017F;ichtchen und den herben Zug,</l><lb/>
            <l>Den deine Lippen auch als Mann behielten.</l><lb/>
            <l>Wir hatten, Knaben, in die Waldes&#x017F;chatten</l><lb/>
            <l>Uns &#x017F;cheu zurückgezogen von den Spielen,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;prachen wichtig über Welt und Men&#x017F;chen.</l><lb/>
            <l>Ich fühle noch das Grau&#x2019;n, als er&#x017F;te Zweifel</l><lb/>
            <l>Uns kamen über Gott &#x2014; Un&#x017F;terblichkeit,</l><lb/>
            <l>Uns unerklärlich Schauer überliefen,</l><lb/>
            <l>Wenn wir der Liebe Sphinx zu deuten &#x017F;uchten.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l> <hi rendition="#et">So &#x017F;aßen oft wir, fernab von den Freunden.</hi> </l><lb/>
            <l>Es floß der Waldbach plät&#x017F;chernd uns zu Füßen,</l><lb/>
            <l>Der Buchfink trillerte, die Dro&#x017F;&#x017F;el pfiff,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;tieß der Falke &#x017F;einen kurzen Schrei</l><lb/>
            <l>In all&#x2019; die Stille, flogen wir zu&#x017F;ammen.</l><lb/>
            <l>Wie viele Jahre &#x017F;ind &#x017F;eitdem vorüber.</l><lb/>
            <l>Du &#x017F;teh&#x017F;t im Leben aufrecht, und des Weges</l><lb/>
            <l>Geh&#x017F;t wohlbewußt du, klar, und ohne Schwanken.</l><lb/>
            <l>Doch denk&#x017F;t du noch zurück an jene Stunden,</l><lb/>
            <l>Wenn Buchenkronen dir zu Häupten rau&#x017F;chen,</l><lb/>
            <l>Und hoch am Himmel &#x017F;chrill der Falke &#x017F;chreit?</l>
          </lg>
        </lg>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[5]/0013] An einen Freund. Noch ſeh’ ich deine ſchwermutsvollen Augen, Dein blaß Geſichtchen und den herben Zug, Den deine Lippen auch als Mann behielten. Wir hatten, Knaben, in die Waldesſchatten Uns ſcheu zurückgezogen von den Spielen, Und ſprachen wichtig über Welt und Menſchen. Ich fühle noch das Grau’n, als erſte Zweifel Uns kamen über Gott — Unſterblichkeit, Uns unerklärlich Schauer überliefen, Wenn wir der Liebe Sphinx zu deuten ſuchten. So ſaßen oft wir, fernab von den Freunden. Es floß der Waldbach plätſchernd uns zu Füßen, Der Buchfink trillerte, die Droſſel pfiff, Und ſtieß der Falke ſeinen kurzen Schrei In all’ die Stille, flogen wir zuſammen. Wie viele Jahre ſind ſeitdem vorüber. Du ſtehſt im Leben aufrecht, und des Weges Gehſt wohlbewußt du, klar, und ohne Schwanken. Doch denkſt du noch zurück an jene Stunden, Wenn Buchenkronen dir zu Häupten rauſchen, Und hoch am Himmel ſchrill der Falke ſchreit?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/13
Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. [5]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/13>, abgerufen am 21.11.2024.