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Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.

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ist die Gefahr einer europäischen Allianz gegen das
deutsche Reich gerückt
.

Soll das deutsche Volk in einer solchen Situation die Hände in
den Schooß legen? Die Volks vertretungen in den verschiedenen
deutschen Ländern, namentlich in Preußen, haben kein Auge für die
Wetterwolken, die sich über unserem Vaterlande zusammenziehen. Das
Volk selbst muß sich regen
. Und Pflicht unserer Presse
und unserer Agitatoren
ist es, ihm die Gefahr zu zeigen,
es zu einem nachdrücklichen Protest gegen die Politik zu be-
stimmen, welche uns in eine nationale Katastrophe zu
stürzen droht
.



Zur politischen Lage.
("Socialdemokratische Correspondenz" vom 20. Dezember 1877.)

Das Vermittlungsgesuch, welches die Pforte an die europäischen
Mächte gerichtet hat, ist den Leitern der russischen Politik und deren
Agenten sehr ungelegen gekommen. Jm russischen Lager rechnete man
darauf, daß die Pforte die Hoffnung nicht nur auf erfolgreiche Fort-
setzung des Krieges, sondern auch auf die Jntervention neutraler Mächte
aufgeben und in ihrer Verzweiflung sich Rußland zu Füßen werfen
und demüthig aus seinen Händen die seidne Schnur in Gestalt eines
Separatfriedens hinnehmen würde. Diese Erwartung hat sich nicht
erfüllt. Statt die Flinte ins Korn zu werfen, bereitet die Türkei sich
zum äußersten Widerstand vor, und statt durch einen Separatfrieden
mit Rußland den Harikari (den nobeln japanesischen Selbstmord durch
Bauchaufschlitzen) elegant zu vollziehen, macht die Pforte den Krieg
mit Rußland zu einer europäischen Angelegenheit, stellt sich unter den
Schutz des Völkerrechts und zwingt die europäische Diplomatie, nament-
lich die Signatar- (unterzeichnenden) Mächte des Pariser Friedens,
Farbe zu bekennen. Durch diesen Frieden wurde in bündigster Form
die Jntegrität (Gebietsunverletzlichkeit) der Türkei garantirt.

Nun sind Verträge und diplomatische Garantieen an sich zwar
keinen Schuß Pulver werth (hätten wir das nicht schon früher gewußt,
so würden wir es in den letzten dritthalb Jahren durch Rußland und
die russischen Satelliten gelernt haben) -- allein wenn hinter Ver-
trägen und diplomatischen Garantieen reale Jnteressen stehen, dann
ist es doch ein anderes Ding. Und von dreien der Mächte, an welche
die Pforte sich wendet, läßt sich mit Bestimmtheit sagen, daß sie ein
sehr reales Jnteresse haben, den Pariser Vertrag, insoweit er der Zer-
bröckelung oder Vernichtung der Türkei durch Rußland entgegen strebt,

iſt die Gefahr einer europäiſchen Allianz gegen das
deutſche Reich gerückt
.

Soll das deutſche Volk in einer ſolchen Situation die Hände in
den Schooß legen? Die Volks vertretungen in den verſchiedenen
deutſchen Ländern, namentlich in Preußen, haben kein Auge für die
Wetterwolken, die ſich über unſerem Vaterlande zuſammenziehen. Das
Volk ſelbſt muß ſich regen
. Und Pflicht unſerer Preſſe
und unſerer Agitatoren
iſt es, ihm die Gefahr zu zeigen,
es zu einem nachdrücklichen Proteſt gegen die Politik zu be-
ſtimmen, welche uns in eine nationale Kataſtrophe zu
ſtürzen droht
.



Zur politiſchen Lage.
(„Socialdemokratiſche Correſpondenz‟ vom 20. Dezember 1877.)

Das Vermittlungsgeſuch, welches die Pforte an die europäiſchen
Mächte gerichtet hat, iſt den Leitern der ruſſiſchen Politik und deren
Agenten ſehr ungelegen gekommen. Jm ruſſiſchen Lager rechnete man
darauf, daß die Pforte die Hoffnung nicht nur auf erfolgreiche Fort-
ſetzung des Krieges, ſondern auch auf die Jntervention neutraler Mächte
aufgeben und in ihrer Verzweiflung ſich Rußland zu Füßen werfen
und demüthig aus ſeinen Händen die ſeidne Schnur in Geſtalt eines
Separatfriedens hinnehmen würde. Dieſe Erwartung hat ſich nicht
erfüllt. Statt die Flinte ins Korn zu werfen, bereitet die Türkei ſich
zum äußerſten Widerſtand vor, und ſtatt durch einen Separatfrieden
mit Rußland den Harikari (den nobeln japaneſiſchen Selbſtmord durch
Bauchaufſchlitzen) elegant zu vollziehen, macht die Pforte den Krieg
mit Rußland zu einer europäiſchen Angelegenheit, ſtellt ſich unter den
Schutz des Völkerrechts und zwingt die europäiſche Diplomatie, nament-
lich die Signatar- (unterzeichnenden) Mächte des Pariſer Friedens,
Farbe zu bekennen. Durch dieſen Frieden wurde in bündigſter Form
die Jntegrität (Gebietsunverletzlichkeit) der Türkei garantirt.

Nun ſind Verträge und diplomatiſche Garantieen an ſich zwar
keinen Schuß Pulver werth (hätten wir das nicht ſchon früher gewußt,
ſo würden wir es in den letzten dritthalb Jahren durch Rußland und
die ruſſiſchen Satelliten gelernt haben) — allein wenn hinter Ver-
trägen und diplomatiſchen Garantieen reale Jntereſſen ſtehen, dann
iſt es doch ein anderes Ding. Und von dreien der Mächte, an welche
die Pforte ſich wendet, läßt ſich mit Beſtimmtheit ſagen, daß ſie ein
ſehr reales Jntereſſe haben, den Pariſer Vertrag, inſoweit er der Zer-
bröckelung oder Vernichtung der Türkei durch Rußland entgegen ſtrebt,

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[29/0033] iſt die Gefahr einer europäiſchen Allianz gegen das deutſche Reich gerückt. Soll das deutſche Volk in einer ſolchen Situation die Hände in den Schooß legen? Die Volks vertretungen in den verſchiedenen deutſchen Ländern, namentlich in Preußen, haben kein Auge für die Wetterwolken, die ſich über unſerem Vaterlande zuſammenziehen. Das Volk ſelbſt muß ſich regen. Und Pflicht unſerer Preſſe und unſerer Agitatoren iſt es, ihm die Gefahr zu zeigen, es zu einem nachdrücklichen Proteſt gegen die Politik zu be- ſtimmen, welche uns in eine nationale Kataſtrophe zu ſtürzen droht. Zur politiſchen Lage. („Socialdemokratiſche Correſpondenz‟ vom 20. Dezember 1877.) Das Vermittlungsgeſuch, welches die Pforte an die europäiſchen Mächte gerichtet hat, iſt den Leitern der ruſſiſchen Politik und deren Agenten ſehr ungelegen gekommen. Jm ruſſiſchen Lager rechnete man darauf, daß die Pforte die Hoffnung nicht nur auf erfolgreiche Fort- ſetzung des Krieges, ſondern auch auf die Jntervention neutraler Mächte aufgeben und in ihrer Verzweiflung ſich Rußland zu Füßen werfen und demüthig aus ſeinen Händen die ſeidne Schnur in Geſtalt eines Separatfriedens hinnehmen würde. Dieſe Erwartung hat ſich nicht erfüllt. Statt die Flinte ins Korn zu werfen, bereitet die Türkei ſich zum äußerſten Widerſtand vor, und ſtatt durch einen Separatfrieden mit Rußland den Harikari (den nobeln japaneſiſchen Selbſtmord durch Bauchaufſchlitzen) elegant zu vollziehen, macht die Pforte den Krieg mit Rußland zu einer europäiſchen Angelegenheit, ſtellt ſich unter den Schutz des Völkerrechts und zwingt die europäiſche Diplomatie, nament- lich die Signatar- (unterzeichnenden) Mächte des Pariſer Friedens, Farbe zu bekennen. Durch dieſen Frieden wurde in bündigſter Form die Jntegrität (Gebietsunverletzlichkeit) der Türkei garantirt. Nun ſind Verträge und diplomatiſche Garantieen an ſich zwar keinen Schuß Pulver werth (hätten wir das nicht ſchon früher gewußt, ſo würden wir es in den letzten dritthalb Jahren durch Rußland und die ruſſiſchen Satelliten gelernt haben) — allein wenn hinter Ver- trägen und diplomatiſchen Garantieen reale Jntereſſen ſtehen, dann iſt es doch ein anderes Ding. Und von dreien der Mächte, an welche die Pforte ſich wendet, läßt ſich mit Beſtimmtheit ſagen, daß ſie ein ſehr reales Jntereſſe haben, den Pariſer Vertrag, inſoweit er der Zer- bröckelung oder Vernichtung der Türkei durch Rußland entgegen ſtrebt,

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Zitationshilfe: Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878/33>, abgerufen am 23.11.2024.