Es wäre aller Vernunft entgegen, wenn man annehmen wollte, die Stillung des Hungers, das Bedürfniß nach Speise habe keinen andern Zweck, als die Erzeugung von Harnstoff, Harnsäure, Kohlensäure und den andern Excrementen, von Materien, die der Körper ausstößt, in seiner Haushaltung also zu nichts verwendet.
Die Speisen dienen in dem erwachsenen Thiere zum Er- satz an verbrauchtem Stoff, gewisse Theile der Organe ha- ben ihren Zustand des Lebens verloren, sie sind aus der Substanz der Organe ausgetreten, sie haben sich zu neuen und zwar formlosen Verbindungen umgesetzt.
Die Speise des Fleischfressers wurde zur Blutbildung ver- wendet und aus dem neuerzeugten Blute haben sich die um- gesetzten Organe wieder neu gebildet. Der Kohlenstoff und Stickstoff der Nahrung sind zu Bestandtheilen des Organis- mus geworden.
Eben so viel Kohlenstoff und Stickstoff als die Organe abgegeben haben, genau so viel ist ihnen durch das Blut und in letzter Form durch die Speise wieder ersetzt worden.
Wo sind denn aber, kann man fragen, die neuen Verbin- dungen hingekommen, welche durch die Umsetzung der Be- standtheile der Organe, der Muskelfaser, der Substanz der Membranen und Zellen, der Nerven- und Gehirnsubstanz, entstanden sind?
Diese neuen Verbindungen, sie konnten keinen Moment, insofern sie löslich waren, an dem Platze beharren, wo sie entstanden sind, denn eine sehr wohlbekannte Thätigkeit, die
Der chemiſche Proceß der
Es wäre aller Vernunft entgegen, wenn man annehmen wollte, die Stillung des Hungers, das Bedürfniß nach Speiſe habe keinen andern Zweck, als die Erzeugung von Harnſtoff, Harnſäure, Kohlenſäure und den andern Excrementen, von Materien, die der Körper ausſtößt, in ſeiner Haushaltung alſo zu nichts verwendet.
Die Speiſen dienen in dem erwachſenen Thiere zum Er- ſatz an verbrauchtem Stoff, gewiſſe Theile der Organe ha- ben ihren Zuſtand des Lebens verloren, ſie ſind aus der Subſtanz der Organe ausgetreten, ſie haben ſich zu neuen und zwar formloſen Verbindungen umgeſetzt.
Die Speiſe des Fleiſchfreſſers wurde zur Blutbildung ver- wendet und aus dem neuerzeugten Blute haben ſich die um- geſetzten Organe wieder neu gebildet. Der Kohlenſtoff und Stickſtoff der Nahrung ſind zu Beſtandtheilen des Organis- mus geworden.
Eben ſo viel Kohlenſtoff und Stickſtoff als die Organe abgegeben haben, genau ſo viel iſt ihnen durch das Blut und in letzter Form durch die Speiſe wieder erſetzt worden.
Wo ſind denn aber, kann man fragen, die neuen Verbin- dungen hingekommen, welche durch die Umſetzung der Be- ſtandtheile der Organe, der Muskelfaſer, der Subſtanz der Membranen und Zellen, der Nerven- und Gehirnſubſtanz, entſtanden ſind?
Dieſe neuen Verbindungen, ſie konnten keinen Moment, inſofern ſie löslich waren, an dem Platze beharren, wo ſie entſtanden ſind, denn eine ſehr wohlbekannte Thätigkeit, die
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Der chemiſche Proceß der
Es wäre aller Vernunft entgegen, wenn man annehmen
wollte, die Stillung des Hungers, das Bedürfniß nach Speiſe
habe keinen andern Zweck, als die Erzeugung von Harnſtoff,
Harnſäure, Kohlenſäure und den andern Excrementen, von
Materien, die der Körper ausſtößt, in ſeiner Haushaltung
alſo zu nichts verwendet.
Die Speiſen dienen in dem erwachſenen Thiere zum Er-
ſatz an verbrauchtem Stoff, gewiſſe Theile der Organe ha-
ben ihren Zuſtand des Lebens verloren, ſie ſind aus der
Subſtanz der Organe ausgetreten, ſie haben ſich zu neuen
und zwar formloſen Verbindungen umgeſetzt.
Die Speiſe des Fleiſchfreſſers wurde zur Blutbildung ver-
wendet und aus dem neuerzeugten Blute haben ſich die um-
geſetzten Organe wieder neu gebildet. Der Kohlenſtoff und
Stickſtoff der Nahrung ſind zu Beſtandtheilen des Organis-
mus geworden.
Eben ſo viel Kohlenſtoff und Stickſtoff als die Organe
abgegeben haben, genau ſo viel iſt ihnen durch das Blut und
in letzter Form durch die Speiſe wieder erſetzt worden.
Wo ſind denn aber, kann man fragen, die neuen Verbin-
dungen hingekommen, welche durch die Umſetzung der Be-
ſtandtheile der Organe, der Muskelfaſer, der Subſtanz der
Membranen und Zellen, der Nerven- und Gehirnſubſtanz,
entſtanden ſind?
Dieſe neuen Verbindungen, ſie konnten keinen Moment,
inſofern ſie löslich waren, an dem Platze beharren, wo ſie
entſtanden ſind, denn eine ſehr wohlbekannte Thätigkeit, die
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/82>, abgerufen am 16.02.2025.
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