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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842.

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Der chemische Proceß der
Thieren, so führen die gewöhnlichsten Beobachtungen auf
einen großen Unterschied.

Eine Spinne, welche mit dem größten Heißhunger das
Blut der ersten Fliege aussaugt, wird durch die zweite und
dritte Fliege in ihrer Ruhe nicht gestört; eine Katze frißt
die erste, vielleicht die zweite Maus, und wenn sie auch die
dritte tödtet, sie wird von ihr nicht verzehrt. Ganz ähnliche
Beobachtungen hat man an Löwen und Tigern gemacht; sie
verzehren ihre Beute erst dann, wenn sich in ihnen das Be-
dürfniß des Hungers regt. Zur bloßen Erhaltung bedürfen
die fleischfressenden Thiere an sich einer geringeren Menge
von Nahrung schon deshalb, weil ihre Haut keine Schweiß-
poren hat, weil sie also bei gleichem Volum weit weniger
Wärme verlieren, als die Grasfresser, welche die verlorne
Wärme durch die Nahrung ersetzen müssen.

Wie ganz anders zeigt sich die Stärke und Intensität des
vegetativen Lebens bei den pflanzenfressenden Thieren! Ein
Schaf, eine Kuh auf der Weide, sie fressen mit geringer Un-
terbrechung so lange die Sonne am Himmel steht. Ihr Or-
ganismus besitzt die Fähigkeit, alle Nahrung, die sie mehr
genießen, als sie zur Reproduction bedürfen, in Bestand-
theile ihres Körpers zu verwandeln.

Alles Blut, was mehr erzeugt wird, als zum Ersatz an
verbrauchtem Stoff erforderlich ist, wird zur Zelle und
Muskelfaser; das pflanzenfressende Thier wird bei gesteiger-
ter Nahrung fleischig oder feist, während das Fleisch des
fleischfressenden ungenießbar, zähe und sehnenartig bleibt.


Der chemiſche Proceß der
Thieren, ſo führen die gewöhnlichſten Beobachtungen auf
einen großen Unterſchied.

Eine Spinne, welche mit dem größten Heißhunger das
Blut der erſten Fliege ausſaugt, wird durch die zweite und
dritte Fliege in ihrer Ruhe nicht geſtört; eine Katze frißt
die erſte, vielleicht die zweite Maus, und wenn ſie auch die
dritte tödtet, ſie wird von ihr nicht verzehrt. Ganz ähnliche
Beobachtungen hat man an Löwen und Tigern gemacht; ſie
verzehren ihre Beute erſt dann, wenn ſich in ihnen das Be-
dürfniß des Hungers regt. Zur bloßen Erhaltung bedürfen
die fleiſchfreſſenden Thiere an ſich einer geringeren Menge
von Nahrung ſchon deshalb, weil ihre Haut keine Schweiß-
poren hat, weil ſie alſo bei gleichem Volum weit weniger
Wärme verlieren, als die Grasfreſſer, welche die verlorne
Wärme durch die Nahrung erſetzen müſſen.

Wie ganz anders zeigt ſich die Stärke und Intenſität des
vegetativen Lebens bei den pflanzenfreſſenden Thieren! Ein
Schaf, eine Kuh auf der Weide, ſie freſſen mit geringer Un-
terbrechung ſo lange die Sonne am Himmel ſteht. Ihr Or-
ganismus beſitzt die Fähigkeit, alle Nahrung, die ſie mehr
genießen, als ſie zur Reproduction bedürfen, in Beſtand-
theile ihres Körpers zu verwandeln.

Alles Blut, was mehr erzeugt wird, als zum Erſatz an
verbrauchtem Stoff erforderlich iſt, wird zur Zelle und
Muskelfaſer; das pflanzenfreſſende Thier wird bei geſteiger-
ter Nahrung fleiſchig oder feiſt, während das Fleiſch des
fleiſchfreſſenden ungenießbar, zähe und ſehnenartig bleibt.


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[82/0106] Der chemiſche Proceß der Thieren, ſo führen die gewöhnlichſten Beobachtungen auf einen großen Unterſchied. Eine Spinne, welche mit dem größten Heißhunger das Blut der erſten Fliege ausſaugt, wird durch die zweite und dritte Fliege in ihrer Ruhe nicht geſtört; eine Katze frißt die erſte, vielleicht die zweite Maus, und wenn ſie auch die dritte tödtet, ſie wird von ihr nicht verzehrt. Ganz ähnliche Beobachtungen hat man an Löwen und Tigern gemacht; ſie verzehren ihre Beute erſt dann, wenn ſich in ihnen das Be- dürfniß des Hungers regt. Zur bloßen Erhaltung bedürfen die fleiſchfreſſenden Thiere an ſich einer geringeren Menge von Nahrung ſchon deshalb, weil ihre Haut keine Schweiß- poren hat, weil ſie alſo bei gleichem Volum weit weniger Wärme verlieren, als die Grasfreſſer, welche die verlorne Wärme durch die Nahrung erſetzen müſſen. Wie ganz anders zeigt ſich die Stärke und Intenſität des vegetativen Lebens bei den pflanzenfreſſenden Thieren! Ein Schaf, eine Kuh auf der Weide, ſie freſſen mit geringer Un- terbrechung ſo lange die Sonne am Himmel ſteht. Ihr Or- ganismus beſitzt die Fähigkeit, alle Nahrung, die ſie mehr genießen, als ſie zur Reproduction bedürfen, in Beſtand- theile ihres Körpers zu verwandeln. Alles Blut, was mehr erzeugt wird, als zum Erſatz an verbrauchtem Stoff erforderlich iſt, wird zur Zelle und Muskelfaſer; das pflanzenfreſſende Thier wird bei geſteiger- ter Nahrung fleiſchig oder feiſt, während das Fleiſch des fleiſchfreſſenden ungenießbar, zähe und ſehnenartig bleibt.

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/106>, abgerufen am 22.11.2024.