der Luft schwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt? Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den strengsten Be- weis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen werden kann, ohne daß die Säule umfällt.
Die Pflanzen- und Thierphysiologen verfahren aber in Be- ziehung auf den Asimilationsproceß nicht anders. Ohne die Bedingungen des Lebens, die Beschaffenheit und Nahrungs- mittel, die Natur und Bestandtheile der Organe zu kennen, stellen sie Versuche an, Versuche, denen man Beweiskraft zu- schreibt, während sie Mitleid und Bedauern erwecken.
Ist es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen, wenn man ihr nicht neben Wasser und Kohlensäure eine stick- stoffhaltige Materie giebt, die sie zur Erzeugung der stickstoff- haltigen Bestandtheile im Safte bedarf?
Muß sie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlensäure sterben, wenn die wenigen Blätter, die sich gebildet haben, den Stick- stoffgehalt des Saamens verzehrt haben?
Kann eine Pflanze überhaupt in carrarischem Marmor wach- sen, selbst wenn ihr eine stickstoffhaltige Materie dargeboten wird, wenn man den Marmor mit kohlensäurehaltigem Wasser begießt, was den Kalk auflös't und ein saures kohlensaures Kalksalz bildet? Eine Pflanze aus der Familie der Plumba- gineen, bei denen die Blattoberfläche aus feinen hornartigen oder schuppigen Auswüchsen von kristallisirtem kohlensauren Kalk besteht, würde vielleicht unter diesen Umständen zur Entwicke- lung kommen; daß aber die Kresse, der Kürbiß, die Balsami- nen bei Abwesenheit des Stickstoffs durch sauren kohlensauren Kalk nicht ernährt werden können, daß letzterer als Gift wirkt, dieß kann man als eine völlig durch diese Versuche bewiesene Thatsache annehmen, denn in reinem Wasser, ohne Kalk und Kohlensäure, bringen es diese Pflanzen noch weiter.
Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
der Luft ſchwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt? Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den ſtrengſten Be- weis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen werden kann, ohne daß die Säule umfällt.
Die Pflanzen- und Thierphyſiologen verfahren aber in Be- ziehung auf den Aſimilationsproceß nicht anders. Ohne die Bedingungen des Lebens, die Beſchaffenheit und Nahrungs- mittel, die Natur und Beſtandtheile der Organe zu kennen, ſtellen ſie Verſuche an, Verſuche, denen man Beweiskraft zu- ſchreibt, während ſie Mitleid und Bedauern erwecken.
Iſt es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen, wenn man ihr nicht neben Waſſer und Kohlenſäure eine ſtick- ſtoffhaltige Materie giebt, die ſie zur Erzeugung der ſtickſtoff- haltigen Beſtandtheile im Safte bedarf?
Muß ſie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlenſäure ſterben, wenn die wenigen Blätter, die ſich gebildet haben, den Stick- ſtoffgehalt des Saamens verzehrt haben?
Kann eine Pflanze überhaupt in carrariſchem Marmor wach- ſen, ſelbſt wenn ihr eine ſtickſtoffhaltige Materie dargeboten wird, wenn man den Marmor mit kohlenſäurehaltigem Waſſer begießt, was den Kalk auflöſ’t und ein ſaures kohlenſaures Kalkſalz bildet? Eine Pflanze aus der Familie der Plumba- gineen, bei denen die Blattoberfläche aus feinen hornartigen oder ſchuppigen Auswüchſen von kriſtalliſirtem kohlenſauren Kalk beſteht, würde vielleicht unter dieſen Umſtänden zur Entwicke- lung kommen; daß aber die Kreſſe, der Kürbiß, die Balſami- nen bei Abweſenheit des Stickſtoffs durch ſauren kohlenſauren Kalk nicht ernährt werden können, daß letzterer als Gift wirkt, dieß kann man als eine völlig durch dieſe Verſuche bewieſene Thatſache annehmen, denn in reinem Waſſer, ohne Kalk und Kohlenſäure, bringen es dieſe Pflanzen noch weiter.
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Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
der Luft ſchwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt?
Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den ſtrengſten Be-
weis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen
werden kann, ohne daß die Säule umfällt.
Die Pflanzen- und Thierphyſiologen verfahren aber in Be-
ziehung auf den Aſimilationsproceß nicht anders. Ohne die
Bedingungen des Lebens, die Beſchaffenheit und Nahrungs-
mittel, die Natur und Beſtandtheile der Organe zu kennen,
ſtellen ſie Verſuche an, Verſuche, denen man Beweiskraft zu-
ſchreibt, während ſie Mitleid und Bedauern erwecken.
Iſt es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen,
wenn man ihr nicht neben Waſſer und Kohlenſäure eine ſtick-
ſtoffhaltige Materie giebt, die ſie zur Erzeugung der ſtickſtoff-
haltigen Beſtandtheile im Safte bedarf?
Muß ſie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlenſäure ſterben,
wenn die wenigen Blätter, die ſich gebildet haben, den Stick-
ſtoffgehalt des Saamens verzehrt haben?
Kann eine Pflanze überhaupt in carrariſchem Marmor wach-
ſen, ſelbſt wenn ihr eine ſtickſtoffhaltige Materie dargeboten
wird, wenn man den Marmor mit kohlenſäurehaltigem Waſſer
begießt, was den Kalk auflöſ’t und ein ſaures kohlenſaures
Kalkſalz bildet? Eine Pflanze aus der Familie der Plumba-
gineen, bei denen die Blattoberfläche aus feinen hornartigen
oder ſchuppigen Auswüchſen von kriſtalliſirtem kohlenſauren Kalk
beſteht, würde vielleicht unter dieſen Umſtänden zur Entwicke-
lung kommen; daß aber die Kreſſe, der Kürbiß, die Balſami-
nen bei Abweſenheit des Stickſtoffs durch ſauren kohlenſauren
Kalk nicht ernährt werden können, daß letzterer als Gift wirkt,
dieß kann man als eine völlig durch dieſe Verſuche bewieſene
Thatſache annehmen, denn in reinem Waſſer, ohne Kalk und
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/59>, abgerufen am 22.07.2024.
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