Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Wein- und Biergährung.
Zeichen der im Innern vorgehenden Zersetzung, ohne daß sie
aber eher als vollendet angesehen werden kann, als bis sie
völlig verschwinden.

Die langsam fortdauernde Zersetzung nach der schnell ein-
tretenden stürmischen oder lebhaften Gasentwickelung nennt
man Nachgährung; bei dem Weine, wie bei dem Biere,
dauert sie bis zur völligen Verschwindung ihres Zuckergehaltes
fort, das specifische Gewicht der Flüssigkeit nimmt viele Mo-
nate hindurch noch ab. Die Nachgährung ist in den meisten
Fällen eine wahre Untergährung, in welcher zum Theil die
Metamorphose des noch aufgelös'ten Zuckers in Folge der fort-
schreitenden Zersetzung der Unterhefe bewirkt wird, ohne daß
übrigens damit bei Luftausschluß eine vollkommene Ausschei-
dung der gelös'ten stickstoffhaltigen Materien bedingt wird.

In mehreren deutschen Staaten hat man den günstigen
Einfluß eines rationellen Gährungsverfahrens auf die Quali-
tät der Biere sehr wohl erkannt; man hat z. B. im Großher-
zogthum Hessen beträchtliche Preise auf die Darstellung von
Bier nach dem baier'schen Gährungsverfahren ausgesetzt, und
diese Preise werden Demjenigen zuerkannt, welcher nachweisen
kann, daß sein Fabricat sich 6 Monate lang in Lagerfässern
aufbewahren ließ, ohne sauer zu werden. Hunderte von Fäs-
sern Bier sind an den meisten Orten im Anfange zu Essig ge-
worden, bis man zu einer empirischen Kenntniß der Bedingun-
gen gelangte, deren Einfluß durch die Theorie vorausgesetzt
und zum Bewußtsein gebracht wird.

Weder der Alkoholgehalt, noch der Hopfen allein, noch beide
zusammen, schützen das Bier vor dem Sauerwerden; in Eng-
land gelingt es mit einem Verlust der Zinsen eines ungeheuern
Kapitals, die besseren Sorten Ale und Porter vor dem Ueber-
gang in Säure dadurch zu schützen, indem man sie in damit

Wein- und Biergährung.
Zeichen der im Innern vorgehenden Zerſetzung, ohne daß ſie
aber eher als vollendet angeſehen werden kann, als bis ſie
völlig verſchwinden.

Die langſam fortdauernde Zerſetzung nach der ſchnell ein-
tretenden ſtürmiſchen oder lebhaften Gasentwickelung nennt
man Nachgährung; bei dem Weine, wie bei dem Biere,
dauert ſie bis zur völligen Verſchwindung ihres Zuckergehaltes
fort, das ſpecifiſche Gewicht der Flüſſigkeit nimmt viele Mo-
nate hindurch noch ab. Die Nachgährung iſt in den meiſten
Fällen eine wahre Untergährung, in welcher zum Theil die
Metamorphoſe des noch aufgelöſ’ten Zuckers in Folge der fort-
ſchreitenden Zerſetzung der Unterhefe bewirkt wird, ohne daß
übrigens damit bei Luftausſchluß eine vollkommene Ausſchei-
dung der gelöſ’ten ſtickſtoffhaltigen Materien bedingt wird.

In mehreren deutſchen Staaten hat man den günſtigen
Einfluß eines rationellen Gährungsverfahrens auf die Quali-
tät der Biere ſehr wohl erkannt; man hat z. B. im Großher-
zogthum Heſſen beträchtliche Preiſe auf die Darſtellung von
Bier nach dem baier’ſchen Gährungsverfahren ausgeſetzt, und
dieſe Preiſe werden Demjenigen zuerkannt, welcher nachweiſen
kann, daß ſein Fabricat ſich 6 Monate lang in Lagerfäſſern
aufbewahren ließ, ohne ſauer zu werden. Hunderte von Fäſ-
ſern Bier ſind an den meiſten Orten im Anfange zu Eſſig ge-
worden, bis man zu einer empiriſchen Kenntniß der Bedingun-
gen gelangte, deren Einfluß durch die Theorie vorausgeſetzt
und zum Bewußtſein gebracht wird.

Weder der Alkoholgehalt, noch der Hopfen allein, noch beide
zuſammen, ſchützen das Bier vor dem Sauerwerden; in Eng-
land gelingt es mit einem Verluſt der Zinſen eines ungeheuern
Kapitals, die beſſeren Sorten Ale und Porter vor dem Ueber-
gang in Säure dadurch zu ſchützen, indem man ſie in damit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0296" n="278"/><fw place="top" type="header">Wein- und Biergährung.</fw><lb/>
Zeichen der im Innern vorgehenden Zer&#x017F;etzung, ohne daß &#x017F;ie<lb/>
aber eher als vollendet ange&#x017F;ehen werden kann, als bis &#x017F;ie<lb/>
völlig ver&#x017F;chwinden.</p><lb/>
          <p>Die lang&#x017F;am fortdauernde Zer&#x017F;etzung nach der &#x017F;chnell ein-<lb/>
tretenden &#x017F;türmi&#x017F;chen oder lebhaften Gasentwickelung nennt<lb/>
man <hi rendition="#g">Nachgährung</hi>; bei dem Weine, wie bei dem Biere,<lb/>
dauert &#x017F;ie bis zur völligen Ver&#x017F;chwindung ihres Zuckergehaltes<lb/>
fort, das &#x017F;pecifi&#x017F;che Gewicht der Flü&#x017F;&#x017F;igkeit nimmt viele Mo-<lb/>
nate hindurch noch ab. Die Nachgährung i&#x017F;t in den mei&#x017F;ten<lb/>
Fällen eine wahre Untergährung, in welcher zum Theil die<lb/>
Metamorpho&#x017F;e des noch aufgelö&#x017F;&#x2019;ten Zuckers in Folge der fort-<lb/>
&#x017F;chreitenden Zer&#x017F;etzung der Unterhefe bewirkt wird, ohne daß<lb/>
übrigens damit bei Luftaus&#x017F;chluß eine vollkommene Aus&#x017F;chei-<lb/>
dung der gelö&#x017F;&#x2019;ten &#x017F;tick&#x017F;toffhaltigen Materien bedingt wird.</p><lb/>
          <p>In mehreren deut&#x017F;chen Staaten hat man den gün&#x017F;tigen<lb/>
Einfluß eines rationellen Gährungsverfahrens auf die Quali-<lb/>
tät der Biere &#x017F;ehr wohl erkannt; man hat z. B. im Großher-<lb/>
zogthum He&#x017F;&#x017F;en beträchtliche Prei&#x017F;e auf die Dar&#x017F;tellung von<lb/>
Bier nach dem baier&#x2019;&#x017F;chen Gährungsverfahren ausge&#x017F;etzt, und<lb/>
die&#x017F;e Prei&#x017F;e werden Demjenigen zuerkannt, welcher nachwei&#x017F;en<lb/>
kann, daß &#x017F;ein Fabricat &#x017F;ich 6 Monate lang in Lagerfä&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
aufbewahren ließ, ohne &#x017F;auer zu werden. Hunderte von Fä&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ern Bier &#x017F;ind an den mei&#x017F;ten Orten im Anfange zu E&#x017F;&#x017F;ig ge-<lb/>
worden, bis man zu einer empiri&#x017F;chen Kenntniß der Bedingun-<lb/>
gen gelangte, deren Einfluß durch die Theorie vorausge&#x017F;etzt<lb/>
und zum Bewußt&#x017F;ein gebracht wird.</p><lb/>
          <p>Weder der Alkoholgehalt, noch der Hopfen allein, noch beide<lb/>
zu&#x017F;ammen, &#x017F;chützen das Bier vor dem Sauerwerden; in Eng-<lb/>
land gelingt es mit einem Verlu&#x017F;t der Zin&#x017F;en eines ungeheuern<lb/>
Kapitals, die be&#x017F;&#x017F;eren Sorten Ale und Porter vor dem Ueber-<lb/>
gang in Säure dadurch zu &#x017F;chützen, indem man &#x017F;ie in damit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0296] Wein- und Biergährung. Zeichen der im Innern vorgehenden Zerſetzung, ohne daß ſie aber eher als vollendet angeſehen werden kann, als bis ſie völlig verſchwinden. Die langſam fortdauernde Zerſetzung nach der ſchnell ein- tretenden ſtürmiſchen oder lebhaften Gasentwickelung nennt man Nachgährung; bei dem Weine, wie bei dem Biere, dauert ſie bis zur völligen Verſchwindung ihres Zuckergehaltes fort, das ſpecifiſche Gewicht der Flüſſigkeit nimmt viele Mo- nate hindurch noch ab. Die Nachgährung iſt in den meiſten Fällen eine wahre Untergährung, in welcher zum Theil die Metamorphoſe des noch aufgelöſ’ten Zuckers in Folge der fort- ſchreitenden Zerſetzung der Unterhefe bewirkt wird, ohne daß übrigens damit bei Luftausſchluß eine vollkommene Ausſchei- dung der gelöſ’ten ſtickſtoffhaltigen Materien bedingt wird. In mehreren deutſchen Staaten hat man den günſtigen Einfluß eines rationellen Gährungsverfahrens auf die Quali- tät der Biere ſehr wohl erkannt; man hat z. B. im Großher- zogthum Heſſen beträchtliche Preiſe auf die Darſtellung von Bier nach dem baier’ſchen Gährungsverfahren ausgeſetzt, und dieſe Preiſe werden Demjenigen zuerkannt, welcher nachweiſen kann, daß ſein Fabricat ſich 6 Monate lang in Lagerfäſſern aufbewahren ließ, ohne ſauer zu werden. Hunderte von Fäſ- ſern Bier ſind an den meiſten Orten im Anfange zu Eſſig ge- worden, bis man zu einer empiriſchen Kenntniß der Bedingun- gen gelangte, deren Einfluß durch die Theorie vorausgeſetzt und zum Bewußtſein gebracht wird. Weder der Alkoholgehalt, noch der Hopfen allein, noch beide zuſammen, ſchützen das Bier vor dem Sauerwerden; in Eng- land gelingt es mit einem Verluſt der Zinſen eines ungeheuern Kapitals, die beſſeren Sorten Ale und Porter vor dem Ueber- gang in Säure dadurch zu ſchützen, indem man ſie in damit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/296
Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/296>, abgerufen am 28.11.2024.