Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wieder zurück. Niemand tadelte meine Ungeduld, Jeder fand sie natürlich. Nur Caroline lächelte darüber, und als ich wieder einmal an das Fenster trat, an dem sie saß, sagte sie leise: Klemenz wird vergessen haben, daß dein Geburtstag ist. Alles Blut schoß mir in das Gesicht, ich wußte nicht, wie mir geschah, aber in dem Augenblicke sah ich Klemenz von der andern Seite der Straße unserer Wohnung zuschreiten und eilte hinaus, die Treppe hinunter, ihm entgegen. Auf der Hälfte der untern Treppe erreichte ich ihn. Er sah mich kommen, griff in die Brusttasche und rief: Ich bringe einen Brief und von ihm selbst. Damit zog er den Brief heraus, aber weil er auch ein Bouquet in der Hand hielt und ich so heftig nach dem Briefe langte, stießen wir gegen einander, der Brief sank zur Erde, und als ich und Klemenz sich gleichzeitig bückten, ihn aufzuheben, fiel aus seiner Brust ein Ring hervor, den eine goldene Kette festhielt. Er verbarg ihn mit Blitzesschnelle, aber ich hatte es gesehen, es war mein Ring, es war meine Kette. Klemenz konnte keine Silbe sprechen. Er war blaß wie der Tod, als er in das Zimmer trat, und wie ich hinausgekommen, weiß ich selbst nicht mehr. Ich hielt das Rosenbouquet und den Brief in meinen Händen, ich lachte und weinte durcheinander, ich fiel meiner Mutter, meiner Schwester, den anwesenden Damen um den Hals, drückte mein Gesicht in die Rosen -- aber den Brief zu öffnen, hatte ich vergessen. wieder zurück. Niemand tadelte meine Ungeduld, Jeder fand sie natürlich. Nur Caroline lächelte darüber, und als ich wieder einmal an das Fenster trat, an dem sie saß, sagte sie leise: Klemenz wird vergessen haben, daß dein Geburtstag ist. Alles Blut schoß mir in das Gesicht, ich wußte nicht, wie mir geschah, aber in dem Augenblicke sah ich Klemenz von der andern Seite der Straße unserer Wohnung zuschreiten und eilte hinaus, die Treppe hinunter, ihm entgegen. Auf der Hälfte der untern Treppe erreichte ich ihn. Er sah mich kommen, griff in die Brusttasche und rief: Ich bringe einen Brief und von ihm selbst. Damit zog er den Brief heraus, aber weil er auch ein Bouquet in der Hand hielt und ich so heftig nach dem Briefe langte, stießen wir gegen einander, der Brief sank zur Erde, und als ich und Klemenz sich gleichzeitig bückten, ihn aufzuheben, fiel aus seiner Brust ein Ring hervor, den eine goldene Kette festhielt. Er verbarg ihn mit Blitzesschnelle, aber ich hatte es gesehen, es war mein Ring, es war meine Kette. Klemenz konnte keine Silbe sprechen. Er war blaß wie der Tod, als er in das Zimmer trat, und wie ich hinausgekommen, weiß ich selbst nicht mehr. Ich hielt das Rosenbouquet und den Brief in meinen Händen, ich lachte und weinte durcheinander, ich fiel meiner Mutter, meiner Schwester, den anwesenden Damen um den Hals, drückte mein Gesicht in die Rosen — aber den Brief zu öffnen, hatte ich vergessen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0090"/> wieder zurück. Niemand tadelte meine Ungeduld, Jeder fand sie natürlich. Nur Caroline lächelte darüber, und als ich wieder einmal an das Fenster trat, an dem sie saß, sagte sie leise: Klemenz wird vergessen haben, daß dein Geburtstag ist. Alles Blut schoß mir in das Gesicht, ich wußte nicht, wie mir geschah, aber in dem Augenblicke sah ich Klemenz von der andern Seite der Straße unserer Wohnung zuschreiten und eilte hinaus, die Treppe hinunter, ihm entgegen.</p><lb/> <p>Auf der Hälfte der untern Treppe erreichte ich ihn. Er sah mich kommen, griff in die Brusttasche und rief: Ich bringe einen Brief und von ihm selbst. Damit zog er den Brief heraus, aber weil er auch ein Bouquet in der Hand hielt und ich so heftig nach dem Briefe langte, stießen wir gegen einander, der Brief sank zur Erde, und als ich und Klemenz sich gleichzeitig bückten, ihn aufzuheben, fiel aus seiner Brust ein Ring hervor, den eine goldene Kette festhielt. Er verbarg ihn mit Blitzesschnelle, aber ich hatte es gesehen, es war mein Ring, es war meine Kette.</p><lb/> <p>Klemenz konnte keine Silbe sprechen. Er war blaß wie der Tod, als er in das Zimmer trat, und wie ich hinausgekommen, weiß ich selbst nicht mehr. Ich hielt das Rosenbouquet und den Brief in meinen Händen, ich lachte und weinte durcheinander, ich fiel meiner Mutter, meiner Schwester, den anwesenden Damen um den Hals, drückte mein Gesicht in die Rosen — aber den Brief zu öffnen, hatte ich vergessen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
wieder zurück. Niemand tadelte meine Ungeduld, Jeder fand sie natürlich. Nur Caroline lächelte darüber, und als ich wieder einmal an das Fenster trat, an dem sie saß, sagte sie leise: Klemenz wird vergessen haben, daß dein Geburtstag ist. Alles Blut schoß mir in das Gesicht, ich wußte nicht, wie mir geschah, aber in dem Augenblicke sah ich Klemenz von der andern Seite der Straße unserer Wohnung zuschreiten und eilte hinaus, die Treppe hinunter, ihm entgegen.
Auf der Hälfte der untern Treppe erreichte ich ihn. Er sah mich kommen, griff in die Brusttasche und rief: Ich bringe einen Brief und von ihm selbst. Damit zog er den Brief heraus, aber weil er auch ein Bouquet in der Hand hielt und ich so heftig nach dem Briefe langte, stießen wir gegen einander, der Brief sank zur Erde, und als ich und Klemenz sich gleichzeitig bückten, ihn aufzuheben, fiel aus seiner Brust ein Ring hervor, den eine goldene Kette festhielt. Er verbarg ihn mit Blitzesschnelle, aber ich hatte es gesehen, es war mein Ring, es war meine Kette.
Klemenz konnte keine Silbe sprechen. Er war blaß wie der Tod, als er in das Zimmer trat, und wie ich hinausgekommen, weiß ich selbst nicht mehr. Ich hielt das Rosenbouquet und den Brief in meinen Händen, ich lachte und weinte durcheinander, ich fiel meiner Mutter, meiner Schwester, den anwesenden Damen um den Hals, drückte mein Gesicht in die Rosen — aber den Brief zu öffnen, hatte ich vergessen.
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/90>, abgerufen am 05.07.2024. |