Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.hatte und den geschrieben zu haben ich nach dem Opfertode des Geliebten tausendmal bereute. Mit schwerer Sorge öffnete ich das Couvert, der Brief enthielt die Entscheidung über meine ganze Zukunft. Ich las ihn in fliegender Eile. "Wo ein solches Opfer fiel", hieß es nach den ersten einleitenden Worten, "wo eine solche Sühne dargebracht worden ist, hört jedes Urtheil auf, und es bedarf jetzt meines Rathes, meiner Vergebung leider nicht mehr für dich, für Klemenz. Ich habe dir gegenüber, mein armes, theures Kind, nichts zu beklagen, als die unglückselige Verblendung, mit der ich, einer Eingebung des Augenblicks folgend, dein Glück auf meine Weise zu begründen glaubte. Ich fordere von dir keine Verzeihung dafür, ich habe auch dir nichts zu verzeihen. Jetzt, wo wir Beide blutenden Herzens den Tod des theuren Klemenz und der geliebten Mutter zu beklagen haben, bleibt uns nur die Aufgabe, an einander festzuhalten mit liebendem Vertrauen, und einander zu werden, was Jeder dem Andern zu sein im Stande ist. Ich kann dir weder die zärtlichste der Mütter, noch den edlen Jüngling wiedergeben, den dein Herz gewählt, und mit dem du glücklich geworden sein würdest, ohne mein Dazwischentreten. Aber ich verspreche dir, daß du Ruhe und die Liebe eines Vaters und eines Freundes an meiner Seite finden sollst, wird mir es gegönnt, zurückzukehren. Dich selber mache ich zum Herrn über unsere Zukunft. Du sollst entscheiden, was du mir hatte und den geschrieben zu haben ich nach dem Opfertode des Geliebten tausendmal bereute. Mit schwerer Sorge öffnete ich das Couvert, der Brief enthielt die Entscheidung über meine ganze Zukunft. Ich las ihn in fliegender Eile. „Wo ein solches Opfer fiel“, hieß es nach den ersten einleitenden Worten, „wo eine solche Sühne dargebracht worden ist, hört jedes Urtheil auf, und es bedarf jetzt meines Rathes, meiner Vergebung leider nicht mehr für dich, für Klemenz. Ich habe dir gegenüber, mein armes, theures Kind, nichts zu beklagen, als die unglückselige Verblendung, mit der ich, einer Eingebung des Augenblicks folgend, dein Glück auf meine Weise zu begründen glaubte. Ich fordere von dir keine Verzeihung dafür, ich habe auch dir nichts zu verzeihen. Jetzt, wo wir Beide blutenden Herzens den Tod des theuren Klemenz und der geliebten Mutter zu beklagen haben, bleibt uns nur die Aufgabe, an einander festzuhalten mit liebendem Vertrauen, und einander zu werden, was Jeder dem Andern zu sein im Stande ist. Ich kann dir weder die zärtlichste der Mütter, noch den edlen Jüngling wiedergeben, den dein Herz gewählt, und mit dem du glücklich geworden sein würdest, ohne mein Dazwischentreten. Aber ich verspreche dir, daß du Ruhe und die Liebe eines Vaters und eines Freundes an meiner Seite finden sollst, wird mir es gegönnt, zurückzukehren. Dich selber mache ich zum Herrn über unsere Zukunft. Du sollst entscheiden, was du mir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0121"/> hatte und den geschrieben zu haben ich nach dem Opfertode des Geliebten tausendmal bereute. Mit schwerer Sorge öffnete ich das Couvert, der Brief enthielt die Entscheidung über meine ganze Zukunft.</p><lb/> <p>Ich las ihn in fliegender Eile. „Wo ein solches Opfer fiel“, hieß es nach den ersten einleitenden Worten, „wo eine solche Sühne dargebracht worden ist, hört jedes Urtheil auf, und es bedarf jetzt meines Rathes, meiner Vergebung leider nicht mehr für dich, für Klemenz. Ich habe dir gegenüber, mein armes, theures Kind, nichts zu beklagen, als die unglückselige Verblendung, mit der ich, einer Eingebung des Augenblicks folgend, dein Glück auf meine Weise zu begründen glaubte. Ich fordere von dir keine Verzeihung dafür, ich habe auch dir nichts zu verzeihen. Jetzt, wo wir Beide blutenden Herzens den Tod des theuren Klemenz und der geliebten Mutter zu beklagen haben, bleibt uns nur die Aufgabe, an einander festzuhalten mit liebendem Vertrauen, und einander zu werden, was Jeder dem Andern zu sein im Stande ist. Ich kann dir weder die zärtlichste der Mütter, noch den edlen Jüngling wiedergeben, den dein Herz gewählt, und mit dem du glücklich geworden sein würdest, ohne mein Dazwischentreten. Aber ich verspreche dir, daß du Ruhe und die Liebe eines Vaters und eines Freundes an meiner Seite finden sollst, wird mir es gegönnt, zurückzukehren. Dich selber mache ich zum Herrn über unsere Zukunft. Du sollst entscheiden, was du mir<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0121]
hatte und den geschrieben zu haben ich nach dem Opfertode des Geliebten tausendmal bereute. Mit schwerer Sorge öffnete ich das Couvert, der Brief enthielt die Entscheidung über meine ganze Zukunft.
Ich las ihn in fliegender Eile. „Wo ein solches Opfer fiel“, hieß es nach den ersten einleitenden Worten, „wo eine solche Sühne dargebracht worden ist, hört jedes Urtheil auf, und es bedarf jetzt meines Rathes, meiner Vergebung leider nicht mehr für dich, für Klemenz. Ich habe dir gegenüber, mein armes, theures Kind, nichts zu beklagen, als die unglückselige Verblendung, mit der ich, einer Eingebung des Augenblicks folgend, dein Glück auf meine Weise zu begründen glaubte. Ich fordere von dir keine Verzeihung dafür, ich habe auch dir nichts zu verzeihen. Jetzt, wo wir Beide blutenden Herzens den Tod des theuren Klemenz und der geliebten Mutter zu beklagen haben, bleibt uns nur die Aufgabe, an einander festzuhalten mit liebendem Vertrauen, und einander zu werden, was Jeder dem Andern zu sein im Stande ist. Ich kann dir weder die zärtlichste der Mütter, noch den edlen Jüngling wiedergeben, den dein Herz gewählt, und mit dem du glücklich geworden sein würdest, ohne mein Dazwischentreten. Aber ich verspreche dir, daß du Ruhe und die Liebe eines Vaters und eines Freundes an meiner Seite finden sollst, wird mir es gegönnt, zurückzukehren. Dich selber mache ich zum Herrn über unsere Zukunft. Du sollst entscheiden, was du mir
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/121>, abgerufen am 26.07.2024. |