Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.An demselben Tage sprach sie auch mit mir von Carolinen. Ich fürchte, meinte sie, Caroline giebt sich wieder falschen Hoffnungen hin, Klemenz liebt sie nicht. Ich habe sie gewarnt, sie wollte mich nicht verstehen. Ich habe dann offen mit ihr gesprochen, das hat sie erbittert. Das Mißtrauen, das die Großmutter so unglücklich in sie gesäet, ist nicht auszurotten. Sie ließ es mich auch diesmal wieder fühlen. Sie sagte, du wärest reich durch deinen Mann, Antonie sei ebenfalls vermögend, der Bruder habe ja das Geschäft, es sei also niemand da, dem daran gelegen sein könne, sie zu beerben, und doch lege man es darauf an, daß sie sich nicht verheirathe. Man streue Zweifel in ihr Gemüth, sobald es sich erschließe, auch jetzt wolle ich sie irre machen; sie sei freilich nicht so jung wie du, indessen sei es doch nicht unmöglich, daß sie Liebe wecke und erwerbe. Sie war zornig, traurig, heftig, Alles mit einem Uebermaße ihres Wesens. Was macht man mit dem Mädchen? Unser Zusammenleben wurde immer melancholischer. Von meinem Mann erhielt ich öfter Nachrichten; er war hergestellt und wollte seinem Regimente folgen, das vorwärts gegangen war. Er schrieb mir immer mit der gewohnten ruhigen Güte und wußte nicht, welchen Kummer gerade diese Güte mir erregte. Ich wartete stets mit Scheu auf diese Briefe, jedoch mit noch größerem Bangen dachte ich des Tages, an dem ich Klemenz irgendwo begegnen, an dem er etwa gar zu uns kommen würde. An demselben Tage sprach sie auch mit mir von Carolinen. Ich fürchte, meinte sie, Caroline giebt sich wieder falschen Hoffnungen hin, Klemenz liebt sie nicht. Ich habe sie gewarnt, sie wollte mich nicht verstehen. Ich habe dann offen mit ihr gesprochen, das hat sie erbittert. Das Mißtrauen, das die Großmutter so unglücklich in sie gesäet, ist nicht auszurotten. Sie ließ es mich auch diesmal wieder fühlen. Sie sagte, du wärest reich durch deinen Mann, Antonie sei ebenfalls vermögend, der Bruder habe ja das Geschäft, es sei also niemand da, dem daran gelegen sein könne, sie zu beerben, und doch lege man es darauf an, daß sie sich nicht verheirathe. Man streue Zweifel in ihr Gemüth, sobald es sich erschließe, auch jetzt wolle ich sie irre machen; sie sei freilich nicht so jung wie du, indessen sei es doch nicht unmöglich, daß sie Liebe wecke und erwerbe. Sie war zornig, traurig, heftig, Alles mit einem Uebermaße ihres Wesens. Was macht man mit dem Mädchen? Unser Zusammenleben wurde immer melancholischer. Von meinem Mann erhielt ich öfter Nachrichten; er war hergestellt und wollte seinem Regimente folgen, das vorwärts gegangen war. Er schrieb mir immer mit der gewohnten ruhigen Güte und wußte nicht, welchen Kummer gerade diese Güte mir erregte. Ich wartete stets mit Scheu auf diese Briefe, jedoch mit noch größerem Bangen dachte ich des Tages, an dem ich Klemenz irgendwo begegnen, an dem er etwa gar zu uns kommen würde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <pb facs="#f0111"/> <p>An demselben Tage sprach sie auch mit mir von Carolinen. Ich fürchte, meinte sie, Caroline giebt sich wieder falschen Hoffnungen hin, Klemenz liebt sie nicht. Ich habe sie gewarnt, sie wollte mich nicht verstehen. Ich habe dann offen mit ihr gesprochen, das hat sie erbittert. Das Mißtrauen, das die Großmutter so unglücklich in sie gesäet, ist nicht auszurotten. Sie ließ es mich auch diesmal wieder fühlen. Sie sagte, du wärest reich durch deinen Mann, Antonie sei ebenfalls vermögend, der Bruder habe ja das Geschäft, es sei also niemand da, dem daran gelegen sein könne, sie zu beerben, und doch lege man es darauf an, daß sie sich nicht verheirathe. Man streue Zweifel in ihr Gemüth, sobald es sich erschließe, auch jetzt wolle ich sie irre machen; sie sei freilich nicht so jung wie du, indessen sei es doch nicht unmöglich, daß sie Liebe wecke und erwerbe. Sie war zornig, traurig, heftig, Alles mit einem Uebermaße ihres Wesens. Was macht man mit dem Mädchen?</p><lb/> <p>Unser Zusammenleben wurde immer melancholischer. Von meinem Mann erhielt ich öfter Nachrichten; er war hergestellt und wollte seinem Regimente folgen, das vorwärts gegangen war. Er schrieb mir immer mit der gewohnten ruhigen Güte und wußte nicht, welchen Kummer gerade diese Güte mir erregte. Ich wartete stets mit Scheu auf diese Briefe, jedoch mit noch größerem Bangen dachte ich des Tages, an dem ich Klemenz irgendwo begegnen, an dem er etwa gar zu uns kommen würde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
An demselben Tage sprach sie auch mit mir von Carolinen. Ich fürchte, meinte sie, Caroline giebt sich wieder falschen Hoffnungen hin, Klemenz liebt sie nicht. Ich habe sie gewarnt, sie wollte mich nicht verstehen. Ich habe dann offen mit ihr gesprochen, das hat sie erbittert. Das Mißtrauen, das die Großmutter so unglücklich in sie gesäet, ist nicht auszurotten. Sie ließ es mich auch diesmal wieder fühlen. Sie sagte, du wärest reich durch deinen Mann, Antonie sei ebenfalls vermögend, der Bruder habe ja das Geschäft, es sei also niemand da, dem daran gelegen sein könne, sie zu beerben, und doch lege man es darauf an, daß sie sich nicht verheirathe. Man streue Zweifel in ihr Gemüth, sobald es sich erschließe, auch jetzt wolle ich sie irre machen; sie sei freilich nicht so jung wie du, indessen sei es doch nicht unmöglich, daß sie Liebe wecke und erwerbe. Sie war zornig, traurig, heftig, Alles mit einem Uebermaße ihres Wesens. Was macht man mit dem Mädchen?
Unser Zusammenleben wurde immer melancholischer. Von meinem Mann erhielt ich öfter Nachrichten; er war hergestellt und wollte seinem Regimente folgen, das vorwärts gegangen war. Er schrieb mir immer mit der gewohnten ruhigen Güte und wußte nicht, welchen Kummer gerade diese Güte mir erregte. Ich wartete stets mit Scheu auf diese Briefe, jedoch mit noch größerem Bangen dachte ich des Tages, an dem ich Klemenz irgendwo begegnen, an dem er etwa gar zu uns kommen würde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/111 |
Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/111>, abgerufen am 26.07.2024. |