Dogmen als eine Nebensache zu betrachten, und, um Reinhard's Meinung zu schonen, endlich ein Glaubensbekenntniß zu Stande brachte, das in Spitzfindigkeit dem ältesten Jesuiten Ehre gemacht hätte. Mit großem Geschick hatte sie vermie- den, jener Lehren von der Kindschaft Christi, der Erlösung durch seinen Tod und der damit gegebenen Genugthuung zu erwähnen, ohne irgend Zweifel an ihrem Glauben bei Rein- hard dadurch zu veranlassen, der sich ganz ein- verstanden mit dem Glaubensbekenntnisse erklärte, als Jenny es ihm mit innerster Beschämung vorlegte. Des Geliebten Beifall, seine Freude über ihre Erkenntniß waren Dolchstöße für ihr Gefühl. Er liebte sie, er freute sich über sie, während sie ihn in Dem betrog, was ihm das Heiligste war. Sie sagte sich, daß sie Rein- hard's Vertrauen unwürdig hintergehe; sie hätte ihm gern die Wahrheit gestanden, wenn er nur gleich ihr dem Gedanken Raum gegeben hätte,
Dogmen als eine Nebenſache zu betrachten, und, um Reinhard's Meinung zu ſchonen, endlich ein Glaubensbekenntniß zu Stande brachte, das in Spitzfindigkeit dem älteſten Jeſuiten Ehre gemacht hätte. Mit großem Geſchick hatte ſie vermie- den, jener Lehren von der Kindſchaft Chriſti, der Erlöſung durch ſeinen Tod und der damit gegebenen Genugthuung zu erwähnen, ohne irgend Zweifel an ihrem Glauben bei Rein- hard dadurch zu veranlaſſen, der ſich ganz ein- verſtanden mit dem Glaubensbekenntniſſe erklärte, als Jenny es ihm mit innerſter Beſchämung vorlegte. Des Geliebten Beifall, ſeine Freude über ihre Erkenntniß waren Dolchſtöße für ihr Gefühl. Er liebte ſie, er freute ſich über ſie, während ſie ihn in Dem betrog, was ihm das Heiligſte war. Sie ſagte ſich, daß ſie Rein- hard's Vertrauen unwürdig hintergehe; ſie hätte ihm gern die Wahrheit geſtanden, wenn er nur gleich ihr dem Gedanken Raum gegeben hätte,
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Dogmen als eine Nebenſache zu betrachten, und,
um Reinhard's Meinung zu ſchonen, endlich ein
Glaubensbekenntniß zu Stande brachte, das in
Spitzfindigkeit dem älteſten Jeſuiten Ehre gemacht
hätte. Mit großem Geſchick hatte ſie vermie-
den, jener Lehren von der Kindſchaft Chriſti,
der Erlöſung durch ſeinen Tod und der damit
gegebenen Genugthuung zu erwähnen, ohne
irgend Zweifel an ihrem Glauben bei Rein-
hard dadurch zu veranlaſſen, der ſich ganz ein-
verſtanden mit dem Glaubensbekenntniſſe erklärte,
als Jenny es ihm mit innerſter Beſchämung
vorlegte. Des Geliebten Beifall, ſeine Freude
über ihre Erkenntniß waren Dolchſtöße für ihr
Gefühl. Er liebte ſie, er freute ſich über ſie,
während ſie ihn in Dem betrog, was ihm das
Heiligſte war. Sie ſagte ſich, daß ſie Rein-
hard's Vertrauen unwürdig hintergehe; ſie hätte
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/32>, abgerufen am 23.11.2024.
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