fürchten? -- Ketten und Gefängniß? Darüber erhebt ihn sein Selbstgefühl; -- den Tod? Er hat sein Weib und seine Söhne sterben sehen und Gott getraut, er kann den Tod für sich nicht fürchten. Feigheit ist nur die Schwäche kleiner Seelen; wer sich wie Nathan frei em- pfindet, fürchtet Niemand und fühlt sich, selbst als verachteter Jude, den Besten gleich!"
Sei es, daß Jenny durch Steinheim's frü- here Behauptung über die nothwendige Gleich- heit in der Ehe verstimmt worden war, oder daß der Ausdruck "verachteter Jude", den er jetzt gebraucht, ihr in Walter's Anwesenheit unangenehm gewesen, genug, sie fühlte einen Unmuth in sich, der ihr fast Thränen erpreste. Mit ungewohnter Heftigkeit hatte sie die letzten Worte gesprochen und stand dann schnell auf, um ihrem Vater entgegenzugehen . Sie fiel ihm um den Hals und küßte seine Hände: "Du weiser Mann, Du armer verachteter
fürchten? — Ketten und Gefängniß? Darüber erhebt ihn ſein Selbſtgefühl; — den Tod? Er hat ſein Weib und ſeine Söhne ſterben ſehen und Gott getraut, er kann den Tod für ſich nicht fürchten. Feigheit iſt nur die Schwäche kleiner Seelen; wer ſich wie Nathan frei em- pfindet, fürchtet Niemand und fühlt ſich, ſelbſt als verachteter Jude, den Beſten gleich!“
Sei es, daß Jenny durch Steinheim's frü- here Behauptung über die nothwendige Gleich- heit in der Ehe verſtimmt worden war, oder daß der Ausdruck „verachteter Jude“, den er jetzt gebraucht, ihr in Walter's Anweſenheit unangenehm geweſen, genug, ſie fühlte einen Unmuth in ſich, der ihr faſt Thränen erpreſte. Mit ungewohnter Heftigkeit hatte ſie die letzten Worte geſprochen und ſtand dann ſchnell auf, um ihrem Vater entgegenzugehen . Sie fiel ihm um den Hals und küßte ſeine Hände: „Du weiſer Mann, Du armer verachteter
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fürchten? — Ketten und Gefängniß? Darüber
erhebt ihn ſein Selbſtgefühl; — den Tod? Er
hat ſein Weib und ſeine Söhne ſterben ſehen
und Gott getraut, er kann den Tod für ſich
nicht fürchten. Feigheit iſt nur die Schwäche
kleiner Seelen; wer ſich wie Nathan frei em-
pfindet, fürchtet Niemand und fühlt ſich, ſelbſt
als verachteter Jude, den Beſten gleich!“
Sei es, daß Jenny durch Steinheim's frü-
here Behauptung über die nothwendige Gleich-
heit in der Ehe verſtimmt worden war, oder
daß der Ausdruck „verachteter Jude“, den er
jetzt gebraucht, ihr in Walter's Anweſenheit
unangenehm geweſen, genug, ſie fühlte einen
Unmuth in ſich, der ihr faſt Thränen erpreſte.
Mit ungewohnter Heftigkeit hatte ſie die letzten
Worte geſprochen und ſtand dann ſchnell auf,
um ihrem Vater entgegenzugehen . Sie fiel
ihm um den Hals und küßte ſeine Hände:
„Du weiſer Mann, Du armer verachteter
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/262>, abgerufen am 28.11.2024.
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