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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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weil er weltklug genug ist, Niemand beleidigen
zu wollen. Er erscheint feig und arrogant
zugleich."

Frau von Meining lächelte und stimmte
dem Grafen bei, auch Jenny schien seine An-
sicht zu theilen.

"Dergleichen Reden hören sich gut an, doch
hat es allerlei Bedenkliches damit!" sagte
Steinheim. "Vor Allem vergessen Sie nicht,
daß Nathan, der Unterdrückte, der verachtete
Jude, zu seinem Herrn und Unterdrücke spricht.
Das mag die bescheidene, fast furchtsame Weise
seines Auftretens bei aller seiner Selbstschätzung
entschuldigen."

"Im Gegentheil!" rief Jenny. "Wenn er
es fühlt, daß er ein freier Mensch ist vor den
Augen des Schöpfers, wenn er die Qual em-
pfindet, unterdrückt, verachtet zu sein, so muß
ihn das nur stolzer gegen seinen Unterdrücker
machen. Was kann ein Mann wie Nathan


weil er weltklug genug iſt, Niemand beleidigen
zu wollen. Er erſcheint feig und arrogant
zugleich.“

Frau von Meining lächelte und ſtimmte
dem Grafen bei, auch Jenny ſchien ſeine An-
ſicht zu theilen.

„Dergleichen Reden hören ſich gut an, doch
hat es allerlei Bedenkliches damit!“ ſagte
Steinheim. „Vor Allem vergeſſen Sie nicht,
daß Nathan, der Unterdrückte, der verachtete
Jude, zu ſeinem Herrn und Unterdrücke ſpricht.
Das mag die beſcheidene, faſt furchtſame Weiſe
ſeines Auftretens bei aller ſeiner Selbſtſchätzung
entſchuldigen.“

„Im Gegentheil!“ rief Jenny. „Wenn er
es fühlt, daß er ein freier Menſch iſt vor den
Augen des Schöpfers, wenn er die Qual em-
pfindet, unterdrückt, verachtet zu ſein, ſo muß
ihn das nur ſtolzer gegen ſeinen Unterdrücker
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[251/0261] weil er weltklug genug iſt, Niemand beleidigen zu wollen. Er erſcheint feig und arrogant zugleich.“ Frau von Meining lächelte und ſtimmte dem Grafen bei, auch Jenny ſchien ſeine An- ſicht zu theilen. „Dergleichen Reden hören ſich gut an, doch hat es allerlei Bedenkliches damit!“ ſagte Steinheim. „Vor Allem vergeſſen Sie nicht, daß Nathan, der Unterdrückte, der verachtete Jude, zu ſeinem Herrn und Unterdrücke ſpricht. Das mag die beſcheidene, faſt furchtſame Weiſe ſeines Auftretens bei aller ſeiner Selbſtſchätzung entſchuldigen.“ „Im Gegentheil!“ rief Jenny. „Wenn er es fühlt, daß er ein freier Menſch iſt vor den Augen des Schöpfers, wenn er die Qual em- pfindet, unterdrückt, verachtet zu ſein, ſo muß ihn das nur ſtolzer gegen ſeinen Unterdrücker machen. Was kann ein Mann wie Nathan

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/261>, abgerufen am 28.11.2024.