allen Richtungen hin mit Gründen auszustat- ten, und sich so ein Gebäude zu errichten, das den Schein der Festigkeit und Vollendung an sich trägt, ohne irgend eine wirkliche Basis in der Ueberzeugung Desjenigen zu haben, der es aufgeführt. Wie der Dichter, namentlich in seiner Jugend, die Geschöpfe seines Geistes kaum von den um ihn her lebenden Menschen zu un- terscheiden vermag; wie Kinder sich spielend so fest in die erfundenen Verhältnisse ihrer Pup- pen hineindenken, daß sie unwillkürlich Erfun- denes und Wirkliches vermischen und nicht mehr trennen können, so ging es in gewisser Art Jenny mit ihrer religiösen Erkenntniß. Nach- dem sie vergebens versucht, die Symbole des Christenthums mit dem Verstande zu erfassen, bemächtigte sich einst plötzlich ihre Einbildungs- kraft derselben, und sie wurde mit Ueberraschung gewahr, daß sie Vieles sich denken und in sei- nen Folgen und Veranlassung ausmalen, ja es
allen Richtungen hin mit Gründen auszuſtat- ten, und ſich ſo ein Gebäude zu errichten, das den Schein der Feſtigkeit und Vollendung an ſich trägt, ohne irgend eine wirkliche Baſis in der Ueberzeugung Desjenigen zu haben, der es aufgeführt. Wie der Dichter, namentlich in ſeiner Jugend, die Geſchöpfe ſeines Geiſtes kaum von den um ihn her lebenden Menſchen zu un- terſcheiden vermag; wie Kinder ſich ſpielend ſo feſt in die erfundenen Verhältniſſe ihrer Pup- pen hineindenken, daß ſie unwillkürlich Erfun- denes und Wirkliches vermiſchen und nicht mehr trennen können, ſo ging es in gewiſſer Art Jenny mit ihrer religiöſen Erkenntniß. Nach- dem ſie vergebens verſucht, die Symbole des Chriſtenthums mit dem Verſtande zu erfaſſen, bemächtigte ſich einſt plötzlich ihre Einbildungs- kraft derſelben, und ſie wurde mit Ueberraſchung gewahr, daß ſie Vieles ſich denken und in ſei- nen Folgen und Veranlaſſung ausmalen, ja es
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allen Richtungen hin mit Gründen auszuſtat-
ten, und ſich ſo ein Gebäude zu errichten, das
den Schein der Feſtigkeit und Vollendung an
ſich trägt, ohne irgend eine wirkliche Baſis in
der Ueberzeugung Desjenigen zu haben, der es
aufgeführt. Wie der Dichter, namentlich in
ſeiner Jugend, die Geſchöpfe ſeines Geiſtes kaum
von den um ihn her lebenden Menſchen zu un-
terſcheiden vermag; wie Kinder ſich ſpielend ſo
feſt in die erfundenen Verhältniſſe ihrer Pup-
pen hineindenken, daß ſie unwillkürlich Erfun-
denes und Wirkliches vermiſchen und nicht mehr
trennen können, ſo ging es in gewiſſer Art
Jenny mit ihrer religiöſen Erkenntniß. Nach-
dem ſie vergebens verſucht, die Symbole des
Chriſtenthums mit dem Verſtande zu erfaſſen,
bemächtigte ſich einſt plötzlich ihre Einbildungs-
kraft derſelben, und ſie wurde mit Ueberraſchung
gewahr, daß ſie Vieles ſich denken und in ſei-
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/25>, abgerufen am 24.11.2024.
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