schleier geschmückt, den sie jetzt abzulegen sich nicht entschließen konnte. Sie fühlte ihre wach- sende Neigung für den Grafen, aber sie kämpfte dagegen, wie gegen ein Unrecht, weil sie sich scheute, den Ihrigen zu sagen: "Ich liebe wie- der!" und doch zu wahrhaft war, um eine Verbindung mit Walter, die sie trotz aller Be- denken wünschte, für eine bloße Convenienz auszugeben, was außerdem kränkend für ihn gewesen wäre.
Nach Jahren innern Friedens mit sich selbst machte dieser Zwiespalt ihrer Seele ihr doppelte Unruhe und gab ihr einen Anstrich von Kälte, die Walter irre an ihr zu machen drohte; da ohnehin die Sorge für Clara's ihr anvertraute Kinder und für die kranke Frau, welche sie am Wege gefunden, ihr einen Grund gab, den Grafen weniger zu sehen, als es früher der Fall gewesen war. Dadurch trat eine Art von Spannung zwischen Walter und Jenny ein,
ſchleier geſchmückt, den ſie jetzt abzulegen ſich nicht entſchließen konnte. Sie fühlte ihre wach- ſende Neigung für den Grafen, aber ſie kämpfte dagegen, wie gegen ein Unrecht, weil ſie ſich ſcheute, den Ihrigen zu ſagen: „Ich liebe wie- der!“ und doch zu wahrhaft war, um eine Verbindung mit Walter, die ſie trotz aller Be- denken wünſchte, für eine bloße Convenienz auszugeben, was außerdem kränkend für ihn geweſen wäre.
Nach Jahren innern Friedens mit ſich ſelbſt machte dieſer Zwieſpalt ihrer Seele ihr doppelte Unruhe und gab ihr einen Anſtrich von Kälte, die Walter irre an ihr zu machen drohte; da ohnehin die Sorge für Clara's ihr anvertraute Kinder und für die kranke Frau, welche ſie am Wege gefunden, ihr einen Grund gab, den Grafen weniger zu ſehen, als es früher der Fall geweſen war. Dadurch trat eine Art von Spannung zwiſchen Walter und Jenny ein,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0244"n="234"/>ſchleier geſchmückt, den ſie jetzt abzulegen ſich<lb/>
nicht entſchließen konnte. Sie fühlte ihre wach-<lb/>ſende Neigung für den Grafen, aber ſie kämpfte<lb/>
dagegen, wie gegen ein Unrecht, weil ſie ſich<lb/>ſcheute, den Ihrigen zu ſagen: „Ich liebe wie-<lb/>
der!“ und doch zu wahrhaft war, um eine<lb/>
Verbindung mit Walter, die ſie trotz aller Be-<lb/>
denken wünſchte, für eine bloße Convenienz<lb/>
auszugeben, was außerdem kränkend für ihn<lb/>
geweſen wäre.</p><lb/><p>Nach Jahren innern Friedens mit ſich ſelbſt<lb/>
machte dieſer Zwieſpalt ihrer Seele ihr doppelte<lb/>
Unruhe und gab ihr einen Anſtrich von Kälte,<lb/>
die Walter irre an ihr zu machen drohte; da<lb/>
ohnehin die Sorge für Clara's ihr anvertraute<lb/>
Kinder und für die kranke Frau, welche ſie am<lb/>
Wege gefunden, ihr einen Grund gab, den<lb/>
Grafen weniger zu ſehen, als es früher der<lb/>
Fall geweſen war. Dadurch trat eine Art von<lb/>
Spannung zwiſchen Walter und Jenny ein,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[234/0244]
ſchleier geſchmückt, den ſie jetzt abzulegen ſich
nicht entſchließen konnte. Sie fühlte ihre wach-
ſende Neigung für den Grafen, aber ſie kämpfte
dagegen, wie gegen ein Unrecht, weil ſie ſich
ſcheute, den Ihrigen zu ſagen: „Ich liebe wie-
der!“ und doch zu wahrhaft war, um eine
Verbindung mit Walter, die ſie trotz aller Be-
denken wünſchte, für eine bloße Convenienz
auszugeben, was außerdem kränkend für ihn
geweſen wäre.
Nach Jahren innern Friedens mit ſich ſelbſt
machte dieſer Zwieſpalt ihrer Seele ihr doppelte
Unruhe und gab ihr einen Anſtrich von Kälte,
die Walter irre an ihr zu machen drohte; da
ohnehin die Sorge für Clara's ihr anvertraute
Kinder und für die kranke Frau, welche ſie am
Wege gefunden, ihr einen Grund gab, den
Grafen weniger zu ſehen, als es früher der
Fall geweſen war. Dadurch trat eine Art von
Spannung zwiſchen Walter und Jenny ein,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/244>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.