der Menschen, daß Lob oder Tadel seiner Um- gebung ihn kalt ließe, und es könnte für Jen- ny's Glück eine harte Probe werden, wenn sie es erleben müßte, Walter's Entschluß von sei- nen Standesgenossen getadelt und ihn dadurch verletzt zu sehen. Ihre erste Verlobung brachte sie in geistiger Beziehung in einen traurigen Conflikt, diese könnte sie in ein schwer zu über- windendes Mißverhältniß zu den äußern Um- ständen versetzen und sie leicht ebenso unglücklich machen, als jene. Wie ich Jenny beurtheile, fühlt sie das selbst und hat Scheu vor Walter's unverkennbarer Neigung, weil sie sich nicht den Muth zutraut, seiner Liebe und seiner Werbung zu widerstehen. Bei Walter's persönlichen Eigen- schaften und seiner Stellung in der Welt würde es vielleicht jedem Mädchen schwer, da keines von Eitelkeit frei und Walter ganz der Mann ist, Liebe und Zutrauen zu erwecken. Doch bin ich überzeugt, daß diese Heirath früher oder
der Menſchen, daß Lob oder Tadel ſeiner Um- gebung ihn kalt ließe, und es könnte für Jen- ny's Glück eine harte Probe werden, wenn ſie es erleben müßte, Walter's Entſchluß von ſei- nen Standesgenoſſen getadelt und ihn dadurch verletzt zu ſehen. Ihre erſte Verlobung brachte ſie in geiſtiger Beziehung in einen traurigen Conflikt, dieſe könnte ſie in ein ſchwer zu über- windendes Mißverhältniß zu den äußern Um- ſtänden verſetzen und ſie leicht ebenſo unglücklich machen, als jene. Wie ich Jenny beurtheile, fühlt ſie das ſelbſt und hat Scheu vor Walter's unverkennbarer Neigung, weil ſie ſich nicht den Muth zutraut, ſeiner Liebe und ſeiner Werbung zu widerſtehen. Bei Walter's perſönlichen Eigen- ſchaften und ſeiner Stellung in der Welt würde es vielleicht jedem Mädchen ſchwer, da keines von Eitelkeit frei und Walter ganz der Mann iſt, Liebe und Zutrauen zu erwecken. Doch bin ich überzeugt, daß dieſe Heirath früher oder
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0231"n="221"/><lb/>
der Menſchen, daß Lob oder Tadel ſeiner Um-<lb/>
gebung ihn kalt ließe, und es könnte für Jen-<lb/>
ny's Glück eine harte Probe werden, wenn ſie<lb/>
es erleben müßte, Walter's Entſchluß von ſei-<lb/>
nen Standesgenoſſen getadelt und ihn dadurch<lb/>
verletzt zu ſehen. Ihre erſte Verlobung brachte<lb/>ſie in geiſtiger Beziehung in einen traurigen<lb/>
Conflikt, dieſe könnte ſie in ein ſchwer zu über-<lb/>
windendes Mißverhältniß zu den äußern Um-<lb/>ſtänden verſetzen und ſie leicht ebenſo unglücklich<lb/>
machen, als jene. Wie ich Jenny beurtheile,<lb/>
fühlt ſie das ſelbſt und hat Scheu vor Walter's<lb/>
unverkennbarer Neigung, weil ſie ſich nicht den<lb/>
Muth zutraut, ſeiner Liebe und ſeiner Werbung<lb/>
zu widerſtehen. Bei Walter's perſönlichen Eigen-<lb/>ſchaften und ſeiner Stellung in der Welt würde<lb/>
es vielleicht jedem Mädchen ſchwer, da keines<lb/>
von Eitelkeit frei und Walter ganz der Mann<lb/>
iſt, Liebe und Zutrauen zu erwecken. Doch<lb/>
bin ich überzeugt, daß dieſe Heirath früher oder<lb/></p></div></body></text></TEI>
[221/0231]
der Menſchen, daß Lob oder Tadel ſeiner Um-
gebung ihn kalt ließe, und es könnte für Jen-
ny's Glück eine harte Probe werden, wenn ſie
es erleben müßte, Walter's Entſchluß von ſei-
nen Standesgenoſſen getadelt und ihn dadurch
verletzt zu ſehen. Ihre erſte Verlobung brachte
ſie in geiſtiger Beziehung in einen traurigen
Conflikt, dieſe könnte ſie in ein ſchwer zu über-
windendes Mißverhältniß zu den äußern Um-
ſtänden verſetzen und ſie leicht ebenſo unglücklich
machen, als jene. Wie ich Jenny beurtheile,
fühlt ſie das ſelbſt und hat Scheu vor Walter's
unverkennbarer Neigung, weil ſie ſich nicht den
Muth zutraut, ſeiner Liebe und ſeiner Werbung
zu widerſtehen. Bei Walter's perſönlichen Eigen-
ſchaften und ſeiner Stellung in der Welt würde
es vielleicht jedem Mädchen ſchwer, da keines
von Eitelkeit frei und Walter ganz der Mann
iſt, Liebe und Zutrauen zu erwecken. Doch
bin ich überzeugt, daß dieſe Heirath früher oder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/231>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.