barung! Als ob es eine göttlichere, unwider- stehlichere geben könnte, als diese. Wer sollte nicht glauben an Den, der so zu uns spricht? Das ist Gott! Das ist der Gott, den ich anbete, und der keines Mittlers, keiner sinnverwirren- den Lehren von Kreuz und Blut und Tod be- darf, um uns fühlen zu lassen, daß sein die Macht und Er die Liebe ist."
Thränen der seligsten Begeisterung flossen aus Jenny's Augen. Kein Gedanke, als die anbetende Verehrung, die tiefste Demuth vor Gott war in ihrer Seele, als Walter mit einem Ausruf von Entzücken sich vor Jenny nieder- warf und ihre gefalteten Hände an seine glü- henden Lippen preßte. Erschreckt und unan- genehm durch diese leidenschaftliche Berührung in ihrer Andacht gestört, stand Jenny auf und sagte mit einem Tone des Vorwurfs: "Ent- weihen Sie die Stunde nicht. Knien Sie nicht vor dem Geschöpf, wenn der Schöpfer selbst
barung! Als ob es eine göttlichere, unwider- ſtehlichere geben könnte, als dieſe. Wer ſollte nicht glauben an Den, der ſo zu uns ſpricht? Das iſt Gott! Das iſt der Gott, den ich anbete, und der keines Mittlers, keiner ſinnverwirren- den Lehren von Kreuz und Blut und Tod be- darf, um uns fühlen zu laſſen, daß ſein die Macht und Er die Liebe iſt.“
Thränen der ſeligſten Begeiſterung floſſen aus Jenny's Augen. Kein Gedanke, als die anbetende Verehrung, die tiefſte Demuth vor Gott war in ihrer Seele, als Walter mit einem Ausruf von Entzücken ſich vor Jenny nieder- warf und ihre gefalteten Hände an ſeine glü- henden Lippen preßte. Erſchreckt und unan- genehm durch dieſe leidenſchaftliche Berührung in ihrer Andacht geſtört, ſtand Jenny auf und ſagte mit einem Tone des Vorwurfs: „Ent- weihen Sie die Stunde nicht. Knien Sie nicht vor dem Geſchöpf, wenn der Schöpfer ſelbſt
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barung! Als ob es eine göttlichere, unwider-
ſtehlichere geben könnte, als dieſe. Wer ſollte
nicht glauben an Den, der ſo zu uns ſpricht?
Das iſt Gott! Das iſt der Gott, den ich anbete,
und der keines Mittlers, keiner ſinnverwirren-
den Lehren von Kreuz und Blut und Tod be-
darf, um uns fühlen zu laſſen, daß ſein die
Macht und Er die Liebe iſt.“
Thränen der ſeligſten Begeiſterung floſſen
aus Jenny's Augen. Kein Gedanke, als die
anbetende Verehrung, die tiefſte Demuth vor
Gott war in ihrer Seele, als Walter mit einem
Ausruf von Entzücken ſich vor Jenny nieder-
warf und ihre gefalteten Hände an ſeine glü-
henden Lippen preßte. Erſchreckt und unan-
genehm durch dieſe leidenſchaftliche Berührung
in ihrer Andacht geſtört, ſtand Jenny auf und
ſagte mit einem Tone des Vorwurfs: „Ent-
weihen Sie die Stunde nicht. Knien Sie nicht
vor dem Geſchöpf, wenn der Schöpfer ſelbſt
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/215>, abgerufen am 24.11.2024.
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