Unglück begegnet und man habe ihr Walter entgegengeschickt, sie davon in Kenntniß zu setzen. "Wie ging es meinem Vater, als sie ihn ver- ließen?" fragte sie bebend.
"Er war wohl und munter, und hatte sich zur Ruhe begeben, ehe ich fortging", antwor- tete der Graf, und Jenny, als sie in diesem Augenblick ihre Wohnung erreichten, machte ihren Arm aus dem des Grafen los und sank tief aufathmend auf den Sitz vor ihrer Thüre nieder. Sie hätte weinen mögen, so bewegt war ihr Herz; sie wollte aufstehen und noch in das Zimmer ihres Vaters ge- hen, um sich zu überzeugen, daß er wohl sei, und war doch so erschöpft von der Beängsti- gung auf dem Wege, daß sie kein Glied zu rühren vermochte. Schweigend saß Walter ne- ben ihr.
Die tiefste Stille herrschte ringsum; nur das Rauschen der Blätter, das leise Rieseln des
Unglück begegnet und man habe ihr Walter entgegengeſchickt, ſie davon in Kenntniß zu ſetzen. „Wie ging es meinem Vater, als ſie ihn ver- ließen?“ fragte ſie bebend.
„Er war wohl und munter, und hatte ſich zur Ruhe begeben, ehe ich fortging“, antwor- tete der Graf, und Jenny, als ſie in dieſem Augenblick ihre Wohnung erreichten, machte ihren Arm aus dem des Grafen los und ſank tief aufathmend auf den Sitz vor ihrer Thüre nieder. Sie hätte weinen mögen, ſo bewegt war ihr Herz; ſie wollte aufſtehen und noch in das Zimmer ihres Vaters ge- hen, um ſich zu überzeugen, daß er wohl ſei, und war doch ſo erſchöpft von der Beängſti- gung auf dem Wege, daß ſie kein Glied zu rühren vermochte. Schweigend ſaß Walter ne- ben ihr.
Die tiefſte Stille herrſchte ringsum; nur das Rauſchen der Blätter, das leiſe Rieſeln des
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0213"n="203"/>
Unglück begegnet und man habe ihr Walter<lb/>
entgegengeſchickt, ſie davon in Kenntniß zu ſetzen.<lb/>„Wie ging es meinem Vater, als ſie ihn ver-<lb/>
ließen?“ fragte ſie bebend.</p><lb/><p>„Er war wohl und munter, und hatte ſich<lb/>
zur Ruhe begeben, ehe ich fortging“, antwor-<lb/>
tete der Graf, und Jenny, als ſie in dieſem<lb/>
Augenblick ihre Wohnung erreichten, machte<lb/>
ihren Arm aus dem des Grafen los und<lb/>ſank tief aufathmend auf den Sitz vor ihrer<lb/>
Thüre nieder. Sie hätte weinen mögen, ſo<lb/>
bewegt war ihr Herz; ſie wollte aufſtehen<lb/>
und noch in das Zimmer ihres Vaters ge-<lb/>
hen, um ſich zu überzeugen, daß er wohl ſei,<lb/>
und war doch ſo erſchöpft von der Beängſti-<lb/>
gung auf dem Wege, daß ſie kein Glied zu<lb/>
rühren vermochte. Schweigend ſaß Walter ne-<lb/>
ben ihr.</p><lb/><p>Die tiefſte Stille herrſchte ringsum; nur<lb/>
das Rauſchen der Blätter, das leiſe Rieſeln des<lb/></p></div></body></text></TEI>
[203/0213]
Unglück begegnet und man habe ihr Walter
entgegengeſchickt, ſie davon in Kenntniß zu ſetzen.
„Wie ging es meinem Vater, als ſie ihn ver-
ließen?“ fragte ſie bebend.
„Er war wohl und munter, und hatte ſich
zur Ruhe begeben, ehe ich fortging“, antwor-
tete der Graf, und Jenny, als ſie in dieſem
Augenblick ihre Wohnung erreichten, machte
ihren Arm aus dem des Grafen los und
ſank tief aufathmend auf den Sitz vor ihrer
Thüre nieder. Sie hätte weinen mögen, ſo
bewegt war ihr Herz; ſie wollte aufſtehen
und noch in das Zimmer ihres Vaters ge-
hen, um ſich zu überzeugen, daß er wohl ſei,
und war doch ſo erſchöpft von der Beängſti-
gung auf dem Wege, daß ſie kein Glied zu
rühren vermochte. Schweigend ſaß Walter ne-
ben ihr.
Die tiefſte Stille herrſchte ringsum; nur
das Rauſchen der Blätter, das leiſe Rieſeln des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/213>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.