fühlte, als Jenny's Arm jetzt in dem seinen ruhte. Denn es gibt gewiß nichts Gleichgül- tigeres, als die Sitte, einer fremden Dame den Arm zu bieten, und doch fast nichts Süßeres, als wenn diese gleichgültige Sitte unter Per- sonen zur traulichen Gewohnheit wird, die es noch selbst nicht wissen, wie nahe sie schon zu einander gehören.
Was unverstanden wie eine dunkle Ahnung in Walter geschlummert hatte, das fühlte er plötzlich als unwiderstehliche Wahrheit. Er hatte Jenny immer schon geliebt und jetzt, da sie freundlich und doch sorglos, als müsse es so sein, seinen Schutz und seine Stütze annahm, jetzt ging die Sonne der Liebe glorreich in sei- nem Bewußtsein auf und er fragte sie inner- lichstselig: "Warum erst jetzt?"
Schweigend legten sie eine Strecke des We- ges zurück, denn Walter vermochte nicht zu sprechen vor innerer Wonne, und Jenny fühlte
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fühlte, als Jenny's Arm jetzt in dem ſeinen ruhte. Denn es gibt gewiß nichts Gleichgül- tigeres, als die Sitte, einer fremden Dame den Arm zu bieten, und doch faſt nichts Süßeres, als wenn dieſe gleichgültige Sitte unter Per- ſonen zur traulichen Gewohnheit wird, die es noch ſelbſt nicht wiſſen, wie nahe ſie ſchon zu einander gehören.
Was unverſtanden wie eine dunkle Ahnung in Walter geſchlummert hatte, das fühlte er plötzlich als unwiderſtehliche Wahrheit. Er hatte Jenny immer ſchon geliebt und jetzt, da ſie freundlich und doch ſorglos, als müſſe es ſo ſein, ſeinen Schutz und ſeine Stütze annahm, jetzt ging die Sonne der Liebe glorreich in ſei- nem Bewußtſein auf und er fragte ſie inner- lichſtſelig: „Warum erſt jetzt?“
Schweigend legten ſie eine Strecke des We- ges zurück, denn Walter vermochte nicht zu ſprechen vor innerer Wonne, und Jenny fühlte
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[201/0211]
fühlte, als Jenny's Arm jetzt in dem ſeinen
ruhte. Denn es gibt gewiß nichts Gleichgül-
tigeres, als die Sitte, einer fremden Dame den
Arm zu bieten, und doch faſt nichts Süßeres,
als wenn dieſe gleichgültige Sitte unter Per-
ſonen zur traulichen Gewohnheit wird, die es
noch ſelbſt nicht wiſſen, wie nahe ſie ſchon zu
einander gehören.
Was unverſtanden wie eine dunkle Ahnung
in Walter geſchlummert hatte, das fühlte er
plötzlich als unwiderſtehliche Wahrheit. Er hatte
Jenny immer ſchon geliebt und jetzt, da ſie
freundlich und doch ſorglos, als müſſe es ſo
ſein, ſeinen Schutz und ſeine Stütze annahm,
jetzt ging die Sonne der Liebe glorreich in ſei-
nem Bewußtſein auf und er fragte ſie inner-
lichſtſelig: „Warum erſt jetzt?“
Schweigend legten ſie eine Strecke des We-
ges zurück, denn Walter vermochte nicht zu
ſprechen vor innerer Wonne, und Jenny fühlte
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/211>, abgerufen am 23.11.2024.
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